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Corona-Hotspot Indiens traumatisierte Waisenkinder: Corona raubt Tausenden die Eltern

Ein indisches Kind steht allein auf einem Markt
Seit Pandemiebeginn sind in Indien offiziell 1742 Kinder zu Corona-Waisen und 7464 zu Corona-Halbwaisen geworden. In Wirklichkeit liegt die Zahl wahrscheinlich noch deutlich höher.
© Soumyabrata Roy / Picture Alliance
Bilder von brennenden Scheiterhaufen aus Indien gingen um die Welt. Sie zeigten das große Sterben einer heftigen Infektionswelle. Zurück bleiben viele Kinder, die nun ohne Eltern sind.

Corona hat Divyesh und Neha kurz nacheinander beide Eltern geraubt. Sie starben im April während der heftigen zweiten Infektionswelle in Indien. Der 15-jährige Divyesh verlor daraufhin jede Hoffnung. Seine zwei Jahre ältere Schwester Neha handelte und rief eine Hotline der Kinderschutzbehörde in der Hauptstadt Neu Delhi an. So erzählt es der Chef der Behörde, Anurag Kundu, der Deutschen Presse-Agentur. Divyesh sei schwer traumatisiert, Verwandte kümmerten sich jetzt um die Geschwister.

Die Behörde habe mit mehreren Corona-Waisen und -Halbwaisen Kontakt. "Es ist schwierig zu verstehen, was in ihnen vorgeht", sagt Kundu. "Schlafstörungen, Angstzustände, weniger Appetit und das Gefühl, allein zu sein, sind ein Teufelskreis, aus dem sehr schwer freizukommen ist."

Corona-Waisen kämpfen ums Überleben

Hilfsorganisationen haben überall in Indien Hilferufe erreicht. Besonders bei Kindern aus ärmeren Familien wird befürchtet, dass Corona-Waisen und -Halbwaisen ein höheres Risiko haben, selbst arbeiten zu müssen, um überleben zu können, dass Mädchen früh verheiratet werden, damit ihre Familien nicht mehr für sie sorgen müssen oder dass sie Opfer sexueller Gewalt werden. Kinderarbeit und zu einem gewissen Grad auch Kinderehen waren schon vor der Pandemie nicht ungewöhnlich in dem Riesenland.

Die nationale Kinderschutzbehörde Indiens hat seit Pandemiebeginn 1742 Corona-Waisen und 7464 Corona-Halbwaisen erfasst. Hilfsorganisationen gehen aber davon aus, dass deutlich mehr Kinder ihre Mutter und/oder ihren Vater verloren haben. In dem Land mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Menschen starben nach offiziellen Angaben bisher mehr als 330.000 Menschen an oder mit Covid-19. Experten gehen davon aus, dass die tatsächliche Totenzahl deutlich höher liegt.

Situation in Indien ruft Kinderhändler auf den Plan

Besonders um den Höhepunkt der zweiten Welle herum zirkulierten Nachrichten wie diese in sozialen Netzwerken: "Wenn jemand ein Mädchen adoptieren möchte, bitte kontaktieren Sie Priyanka unter *Telefonnummer*. Ein Mädchen ist drei Tage alt, ein anderes sechs Monate alt, sie haben ihre Eltern an Covid verloren. Bitte helfen Sie, diesen Kindern ein neues Leben zu geben, sagen Sie das weiter."

Teils dürften besorgte Menschen im Umfeld der Kinder solche Nachrichten versandt – und dabei wohl auch Kinderhändler erreicht haben, sagt Prabhat Kumar von der Hilfsorganisation "Save the Children". Teils hätten aber auch Betrügerinnen und Betrüger Nachrichten verschickt, um interessierten Adoptiveltern Geld abzuknöpfen. Er und sein Team hätten die Nummern jeweils angerufen und an die Polizei weitergegeben. Kundu von der Kinderschutzbehörde sagt, dass manche Absender solcher Nachrichten um die 5600 Euro (500.000 Rupien) für ein Mädchen und 8900 Euro (800.000 Rupien) für einen Jungen verlangt hätten.

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Viele Menschen warten auf ein Adoptivkind

Die Nachfrage nach Kindern zur Adoption sei in Indien groß, sagt Kinderrechtsaktivistin Meera Marthi, Gründerin der Gruppe "Where are India’s Children". 30.000 Leute in Indien hoffen ihr zufolge auf ein Adoptivkind. Gleichzeitig seien nur etwa 2200 Kinder offiziell zur Adoption freigegeben. Viele Kinder würden allerdings nie erfasst, andere lebten zwar in Waisenhäusern, erfüllten aber die Kriterien zur Adoption nicht.

Oft sei es für Waisenkinder am besten, wie Divyesh und Neha bei Angehörigen untergebracht zu werden, sagt Prabhat Kumar von "Save the Children". Da es für viele ärmere Familien gerade jetzt in der Pandemie schwer sei, noch für ein weiteres Kind zu sorgen, würden solche Familien mit Essen unterstützt.

epp / Anne-Sophie Galli und Siddhartha Kumar DPA

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