LEIPZIG Mit dem Daumen quer durchs Land

Von Holz aus Schweden, Schlitzohren und »Right Said Fred« im Stau

Von Holz aus Schweden, Schlitzohren und »Right Said Fred« im Stau

Halb neun wollten Ani und ich an der Autobahn sein. Leipzig-Freiburg sind 800 Kilometer, verteilt auf A9, A6 und A5. In Freiburg wohnt Maite, ihr Geburtstag ist heute und wir sind die Überraschungsgäste.

Um halb zwölf stehen wir dann tatsächlich an der A9 auf dem Parkplatz. Die ersten potentiellen Opfer fahren alle »an der nächsten ab« - wohlerzogene Variante für »Tramper nehmen wir nicht mit!«.

Achim fährt 'nen dicken Brummi, 40 Tonnen. Beladen mit Holz aus Schweden will er nach Karlsruhe. Wo Freiburg liegt, weiß er nicht, aber wir: An der A5, genau wie Karlsruhe. Zunächst muss Achim pausieren: 45 Minuten - verlangt der Fahrtenschreiber.

Ani und ich wechseln uns hinten in der Koje ab, denn zu dritt im Führerhaus ist verboten. Achim stößt uns immer an, wenn wir uns vor grün-weißen Autos verstecken sollen. Als wir nach sieben Stunden vorsichtig andeuten, an der nächsten Raststätte könne er uns rauslassen, ist er fast ein bisschen beleidigt. Für ihn waren wir eine angenehme Abwechslung im Fernfahrer-Alltag.

An der Raststätte sind wir nicht die einzigen! Die Konkurrenz trägt Schlapphut und Zylinder, schwarze Cordhosen mit Riesenschlag und Ring im Ohr. Stefan und Alex - Zimmermann und Maler - sind seit mehr als einem Jahr auf Wanderschaft. Ihre Route verläuft von Hamburg nach Freiburg. Die Wette ist flugs geschlossen: Wer steht eher bei Maite vor der Tür?

Als wir um 23.15 Uhr ankommen liegt da schon ein Zettel: »Waren um 22.15 hier«. Die Profis haben uns eine ganze Stunde abgenommen! Kein Wunder, die »dürfen« trampen. Uns hat man fürsorglich in Emmerdingen am Bahnhof abgesetzt, wo wir eine Stunde auf den nächsten Bummelzug warten mussten.

Maite weint vor Freude, einen Tag sind wir Stargäste. Auf der Party am Abend sind die Gesellen auch da. Wanderschaftslateinstunde: Was ist ein Schlitzohr? Im Mittelalter rissen die Meister den aufsässigen Gesellen den goldenen Ring aus dem Ohr - das Statussymbol des Gesellen. Mit so einem Schlitz im Ohr gab es keine neue Anstellung.

Ingrid und »Right Said Fred«

Am nächsten Tag sind wir »on the road again«. Heute geht's nach Soest in Westfalen, da wohnen Mama und Papa. Aber nicht nur wir sind unterwegs, auch Holland hat mal wieder Ferien. Autos mit gelben Nummernschildern und vollbesetzt dominieren die Autobahn.

Wir haben Glück mit einem Schweizer Ehepaar. Allerdings geraten wir mit denen viel zu weit nach Westen. Plötzlich liegt das Ruhrgebiet zwischen uns und Westfalen, und außer einem Wust von Autobahnen scheint es im Ruhrgebiet nicht viel zu geben.

Unser Glück heißt Ingrid, ist über 60 Jahre alt, fährt einen Nissan-Sportwagen und trägt eine verspiegelte Sonnenbrille im Haar. Sie hat es verdammt eilig, packt uns aber trotzdem ein.

Früher ist sie selbst getrampt, zum Leute kennen lernen. Und weil wir im Stau stehen sucht sie für uns Lied 13 auf ihrer »Raid Said Fred«-CD: »Das höre ich immer im Stau, gibt mir Energie!« Und uns den letzten Schwung von Wuppertal bis Soest.

Mit neun Autos vom Südwesteck bis in den mittleren Westen des Landes. Und Ingrids Adresse in Hamburg, im Falle eines Falles. (iw)

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