Hochstimmung herrschte im »Club der 300« in New York, wieder einmal. Die Inhaberin Texas Guinan, blond und schön, rekelte sich auf dem Klavier, einen Sektkelch in der Hand. Chinesische Laternen schaukelten im Rhythmus einer ausgelassenen Menge, die sich auf der Tanzfläche drängte. An diesem 4. Juli des Jahres 1926 gab es einen guten Grund zu feiern: Der Golfer Bobby Jones hatte die British Open gewonnen, und seine Freunde - darunter zwei US-Senatoren, ein Ex-Präsident von Kuba und der Kapitän des Kreuzfahrtschiffs »Aquitania« - begossen das mit viel Champagner. Auch fünf Herren in dunklen Anzügen und zwei Damen in knappen Kleidern schienen sich prächtig zu amüsieren - bis sie morgens um drei ihre Polizeimarken zückten.
Der Grund für den jähen Abbruch der wilden Party: Der Genuss von Getränken, die auch nur ein halbes Prozent Alkohol enthielten, war verboten, schon seit sechs Jahren. Konservative und religiöse Gruppen hatten bereits im 19. Jahrhundert in 28 US-Staaten ein Alkoholverbot erkämpft, am 17. Januar 1920 trat dann ein Gesetz in Kraft, das die gesamte Nation und besonders den Sündenpfuhl New York auf einen Schlag trocken legen sollte.
»Prohibition ist die Mode der Stunde«, schrieb die »New York Times« begeistert, »genau wie Alkohol vorher in Mode war.« Ein grandioser Irrtum, denn jetzt ging die Party erst richtig los. In illegalen Kneipen, so genannten Speakeasys, floss hinter verschlossenen Türen der Alkohol weiterhin; der Reiz des Verbotenen ließ ihn noch attraktiver werden. In nur wenigen Jahren machte die Prohibition Gangster zu Millionären, Politiker zu Schmiergeldempfängern und einen Großteil der erwachsenen Bevölkerung Amerikas zu Gesetzesbrechern.
Diverse Male verhaftet
Eine der Gewinnerinnen der Prohibition war Mary Louise Cecilia Guinan, besser bekannt unter ihrem Spitznamen Texas. Sie war aus der texanischen Kleinstadt Waco nach New York gekommen und stieg während der wilden Zwanziger auf zur ungekrönten Königin des New Yorker Nachtlebens. In ihren Clubs verkehrten Mitglieder der Regierung, Prominenz aus Unterhaltung und Unterwelt, doch wenn Texas auf ihrer Trillerpfeife pfiff, spurten sie alle und erlagen ihrem scharfen, leicht ordinären Humor. Breitbeinig hockte sie auf einem umgedrehten Stuhl in der Mitte des Raumes und begrüßte jeden Stammgast mit einem lauten »Hello, sucker!« Ihre Respektlosigkeit brachte Texas Guinan in der rauen Männerwelt jener wilden Zeit die Zuneigung vieler einflussreicher Persönlichkeiten ein.
So blieb die Razzia bei Bobbys Siegesparty ohne Folgen; Golfer und Senatoren verschwanden in der Nacht, der Ex-Präsident und der Kapitän wedelten wohl mit Papieren, die ihnen diplomatische Immunität bescheinigten, und folgten den Golfern und den Senatoren. Tex blätterte tausend Dollar Kaution auf den Tisch und konnte sich am anderen Morgen in ihr eigenes Federbett fallen lassen.
Um den Hals trug Texas Guinan eine Kette mit vielen kleinen Schlössern; sie standen für die unzähligen Male, die Tex bereits verhaftet, ihre Clubs geschlossen und der Alkohol konfisziert worden war. Diese ständigen Versuche, sie hinter Gitter zu bringen, waren für Tex ein Spiel, das auch ordentlich inszeniert werden musste. Bei der nächsten Razzia am 16. Februar 1927 hielt die New Yorker Polizei es nicht mehr für nötig, sich in Kostüme zu zwängen, sondern rückte gleich in Uniform an.
Der Broadway feierte ihren Triumph
Tex befahl der Band, den »Gefangenenchor« aus der Oper »Nabucco« zu spielen, marschierte zu den Klängen Verdis lächelnd auf die Polizisten zu und streckte ihnen artig die Handgelenke entgegen. Die Cops spielten mit. »Gebt dem kleinen Mädchen eine große Handschelle«, befahl einer von ihnen - in Anspielung auf Tex' übliche Aufforderung zum Applaus, wenn eines ihrer Mädchen auf die Bühne trat: »Give the little lady a great big hand!«
Ein Jahr später startete der US-Generalstaatsanwalt Mabel Walker Willebrandt, besser bekannt unter dem Namen »Mad Mabel«, eine Razzia in allen Etablissements der Stadt, in denen er Alkohol vermutete. Die Lokale von Texas Guinan vergaß er. Tief beleidigt marschierte Tex zum Gericht und verursachte einen solchen Aufruhr, dass sie gleich dort bleiben durfte. Als endlich ihre Verhandlung begann, wandte ihr Anwalt sich an die Geschworenen. Er rechnete ihnen vor, dass der Champagnerkonsum der vier Undercover-Agenten, die Mad Mabel zur ständigen Beobachtung in Tex' Clubs postiert hatte, den Steuerzahler bereits 75.000 Dollar gekostet habe - und wieder einmal durfte Texas Guinan als freie Frau den Gerichtssaal verlassen. Der Broadway feierte ihren Triumph; gute Freunde schickten Glückwunsch-Telegramme, unter ihnen viele Senatoren. Mit den Glückwünschen kamen auch Angebote für Jobs, vor allem eines reizte Tex: der Vertrag für ihren ersten Tonfilm, »Queen of the Night Club«, eine Art Autobiografie.
Die Schauspielerei war für sie nicht neu. Bevor Texas Guinan begonnen hatte, das New Yorker Nachtleben aufzumischen, hatte sie für eine Reihe von Stummfilmen vor der Kamera gestanden. Ob »Die Gewehr-Frau« oder »Die wilde Katze«, immer wieder hatte sie die Rolle gespielt, die ihr am besten stand: eine blonde Frau im Wilden Westen, die mit ihrer scharfen Zunge genauso schnell war wie mit der Pistole und sich erfolgreich in der Männerwelt der Saloons behaupten konnte.
Diese Rolle entsprach teils ihrem Charakter, teils entstand sie aus den Mythen, die Tex um ihre eigene Person spann. Reportern erzählte sie stets, dass sie bereits als Kind auf halbwilden Pferden über die Farm ihrer Eltern gejagt sei und die Rinder zusammengetrieben habe. In Wirklichkeit besaß ihr Vater einen Krämerladen, und Mary Louise Cecilia Guinans Sonntagsvergnügungen bestand im Mitsingen beim Kirchenchor. Schwindel war auch die Eliteschule in Virginia, von der sie angeblich türmte, um mit einem Zirkus durchzubrennen. Wahr an den Geschichten ihrer Kindheit war lediglich die tief katholische Erziehung.
Das Glück in Europa versuchen
Ihren Stammgästen aber war ohnehin egal, woher Texas Guinan kam, für sie zählte nur, wer sie war. Energisch und entschlossen verteidigte sie ihren Platz in der Männerwelt der verrauchten Clubs. Mit dem Versprechen »Einen Faustkampf pro Nacht oder das Geld zurück!« pries sie die rauen Sitten des New Yorker Nachtlebens an. Gleichzeitig hing sie mit kindlicher Liebe an ihrer Familie. Als der Vater sein Geschäft aufgeben musste, holte sie die Eltern nach New York und teilte viele Jahre mit ihnen ihr Apartment in der 8. Straße. Und manchmal, wenn die letzten Gäste ihre Zigaretten ausgedrückt und den Rest Champagner hinuntergespült hatten, sammelte Texas einige ihrer Mädchen zusammen und fuhr mit ihnen an einen einsamen Strand auf Long Island, um den Sonnenaufgang zu genießen.
Als nach dem Börsencrash 1929 auch ihren Stammgästen die Dollars nicht mehr so locker saßen, scharte Texas Guinan eine Gruppe von Mädchen um sich und stellte eine Bühnenshow zusammen, um ihr Glück in Europa zu versuchen. Doch weder die Engländer noch die Franzosen wollten die Truppe aus Übersee sehen; sie hatten ihre eigenen Künstler durchzufüttern. Texas trug die Ablehnung mit Fassung: »Ich wurde schon aus besseren Löchern als diesem hinausgeworfen«, sagte sie und tourte wieder durch die USA. Ihre Show pries sie nun an mit dem Etikett »Zu heiß für Paris«.
Am 5. November 1933, kurz bevor die Prohibition aufgehoben wurde, starb Texas Guinan mit 49 Jahren im kanadischen Vancouver an einer Bauchfellentzündung. »Ich möchte ein Begräbnis wie eine Partynacht, mit einer Motorradeskorte und College-Jungs, die auf dem Friedhof für mich singen«, hatte Tex einmal gesagt. Dieser letzte Wunsch ging nicht in Erfüllung. Immerhin gaben ihr 12.000 Menschen das letzte Geleit. Das Licht von Kameras leuchtete ihrem Sarg den Weg, bis die ersten Schaufeln Erde auf ihn fielen. Die tote Texas Guinan hält mit beiden Händen fest, woran sie auch im Leben hing: in der einen Hand ein Häufchen Diamanten, in der anderen einen Rosenkranz.
Angelika Franz, 30, ist freie Journalistin in Hamburg und kennt das Nachtleben in ihrer Stadt sowohl vor als auch hinter dem Tresen.