Mami, ich muss nächste Woche ein Referat über Wale halten, mit Cassian zusammen." "Okay, dann setzen wir uns da gleich mal dran". Und dann googelt Mami wie wild, die Mami von Cassian wird angerufen und es entsteht ein wunderbares Teamwork - zwischen den Müttern. Die Präsentation der zwei Sechstklässler im Bio-Unterricht wird dann mit einer glatten Eins bewertet. Und die Mamis freuen sich, dass sie es geschafft haben.
Schule bestimmt den Alltag in Familien
Immer mehr Mütter und Väter machen für ihre Kinder die Hausaufgaben, üben Vokabeln und Mathe-Formeln, erarbeiten mit ihnen Referate und legen auch mal selbst Hand an. Schule bestimmt den Alltag in Familien, immer mehr und immer intensiver. Klar, denn ein guter Abschluss ist wichtig in unserer heutigen Leistungsgesellschaft. Ohne Abschluss gibt’s später keinen guten Job, das wissen schon die Kleinsten.
Eltern klagen darüber, dass das Schulsystem sie dazu zwingen würde, ihre Kinder mit allen Mitteln zu unterstützen. "Lucia geht jetzt in die siebte Klasse auf dem Gymnasium", erzählt Anne Rieper aus Hamburg, "Ich muss sehr oft helfen, denn die Anforderungen sind hoch". Sie gibt zu: "Manchmal mache ich auch die Hausaufgaben für sie, diktiere ihr einen Aufsatz oder so. Sie soll doch gute Noten haben."
Dass sie ihren Kindern mit ihrer tatkräftigen Hilfe auf die Dauer nichts Gutes tun, ahnen viele Eltern. Aber der Bitte der Lehrer, die Kinder ihre Aufgaben allein machen zu lassen, müsse man leider ab und zu ignorieren, denn Hausaufgaben und Mappenführung würden eben doch bewertet und können die Gesamtnote verschlechtern. Also greifen die Eltern ein.
Der mit den klügeren Eltern gewinnt
Katrin Janz, Gymnasial-Lehrerin für Deutsch und Spanisch an der Elsa-Brandström-Schule in Hannover, kann ein Lied davon singen: "Neulich saß mir beim Elternsprechtag tatsächlich eine Mutter gegenüber, die über die vielen Hausaufgaben schimpfte und mir erklärte, sie wüsste nicht mehr, wie sie das alles schaffen sollte." Nach ihrer Erfahrung ist das kein Einzelphänomen: "Ich sehe, dass immer mehr Eltern die Aufgaben für ihre Kinder erledigen. Man könnte das auch so formulieren: Oft fließen die Talente der Eltern in die Leistungsbeurteilung der Schüler mit ein." Ihrer Meinung nach ist Elternhilfe jedoch fatal für die Kinder: "Sie werden träge, der Antrieb zum Lernen ist nicht mehr da. Ihnen wird alles abgenommen, sie kennen nicht das Gefühl, sich durchbeißen zu müssen. Sie kennen auch nicht das Erfolgserlebnis, wenn sie etwas geschafft haben."
Gerade in der Oberstufe bekommt sie oft Hausarbeiten vorgelegt, die eindeutig nicht von den Schülern stammen: "Ich merke sofort, wenn die Eltern ihre Hand im Spiel hatten", sagt sie, "ich kenne doch meine Kinder aus dem Unterricht, ich weiß genau, was sie leisten können". Aber: "Ich kann das ja nicht beweisen". Was sie kann: Im Unterricht nachforschen, wie weit der Schüler die Interpretation verstanden hat, die er da so brilliant niedergeschrieben haben will.
Hausaufgaben von Mama sind für die ganze Klasse fatal
Auch Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hält die Mitarbeit der Eltern bei den Schulaufgaben für grundsätzlich falsch: "Hausaufgaben sind ein Kontrollmittel, mit dem der Lehrer sehen kann, ob die Kinder den Stoff verstanden haben", sagt er. "Hausaufgaben werden nicht bewertet. Sie sind Teil des Lernprozesses und ganz wichtig für die Eigenkontrolle der Schüler. Wenn sie von den Eltern gemacht werden, bekommt der Lehrer ein falsches Bild vom Leistungsstand der Klasse". Natürlich sollten Eltern darauf achten, dass ihre Sprösslinge ihre Hausaufgaben gut und richtig erledigen: "Man kann Tipps und Anregungen geben, den Rest müssen die Kinder allein machen".
Die Schüler selbst erkennen durchaus, dass es nicht immer gut ist, wenn ihnen die Eltern helfen: "Meine Mutter macht die Referate für mich“, erzählt der 17-Jährige Julian aus Hamburg, "sie wird schnell ungeduldig, wenn ich nicht weiß, wo ich nach Infos suchen muss und keine ordentliche Gliederung hinkriege."
Er lacht: "Neulich musste ich eins über Kommunismus machen, viel Stoff und echt anstrengend. Ich habe hinterher auswendig gelernt, was sie geschrieben hat. Dann hab’ ich noch ein paar Sätze umgestellt und Fehler eingebaut, damit die Lehrerin nicht merkt, dass der Text nicht von mir ist. Ich habe zwar eine Eins bekommen - aber gleich alles wieder vergessen. In der Arbeit über Kommunismus habe ich dann eine Fünf geschrieben ..."