Mit einem Appell zur Pflege einer nachbarschaftlich offenen Nationalkultur hat am Mittwochabend Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eine Ausstellung über »Bürgerliche Kunst und Kultur im 19. Jahrhundert« im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg eröffnet. Statt sich nach außen abzugrenzen und »Ängste vor Identitätsverlusten« aufzubauen, müsse deutsche Kultur aufnahmebereit für Fremdes sein und sich durch »kulturelle Neugier« auszeichnen - »so wie Goethe alles Mögliche aus aller Welt aufgesogen hat, und daraus deutsche Kunst und Kultur geformt hat«, sagte Thierse.
Lücke geschlossen
Die neue Dauerausstellung schließt eine historische Lücke in dem Haus, das sich als größtes Museum deutscher Kunst und Kultur versteht. Die Lücke war 1991 mit der Verlagerung der privaten Sammlung Schäfer nach Schweinfurt gerissen worden. Inzwischen habe das Nürnberger Museum mit eigenen Werken und Leihgaben eine neue Ausstellung über die Epoche zwischen französischer Revolution und der Neuzeit aufgebaut, berichtete der Generaldirektor des Museums, Ulrich Großmann. Damit biete das Museum wieder eine historisch lückenlose Gesamtschau deutscher Kultur.
Abbildung einer Epoche
Die neue Dauerausstellung präsentiert unter anderem Malerei, Skulpturen, Literatur, Kunstgewerbe, Möbel, Mode, Schmuck und Uniformen sowie wissenschaftliche und technische Objekte aus der Zeit der Romantik, des Biedermeiers und aus der Frühzeit der industriellen Revolution. Die Präsentation sei bewusst nicht als Kunstausstellung angelegt. Im Vordergrund stehe die Abbildung einer Epoche, hob die für das 19. und 20. Jahrhundert zuständige Leiterin, Ursula Peters, hervor.
Zu den herausragenden Ausstellungsstücken gehören neben einer Erstausgabe von Lessings »Nathan der Weise« auch das von Hand illustrierte Originalmanuskript des Kinderbuchs »Der Struwwelpeter«. Auch mehrere Werke des Malers Carl Spitzweg sind zu sehen, darunter auch sein berühmtestes Bild »Der arme Poet«, mit dem Spitzweg in pointierter Weise die biedermeierliche Suche nach dem »Glück im privaten Winkel« beschrieb. Am Eingang der Ausstellung stößt der Besucher auf die einzige in Deutschland noch funktionstüchtige Guillotine. Der Schreibtisch der Brüder Grimm wird ebenso gezeigt wie Kants visionärer Schrift »Zum Ewigen Frieden«. Die Eröffnung der neuen Schausammlung zur Kunst und Kultur im 19. Jahrhundert bildet zugleich den Auftakt des Jubiläum-Programms zum 150-jährigen Bestehen des Germanischen Nationalmuseums. Thierse sagte, das Museum sei ein »Haus voller Überraschungen«. Dem Besucher öffneten sich spannende Einblicke in die Geschichte unserer Kultur und unserer Institutionen. Damit sei es zugleich ein »Ort kultureller Selbstvergewisserung«. Das Germanische Nationalmuseum war 1852 vom Gesamtverband der Geschichts- und Altertumsvereine zur Sammlung und Erforschung deutschen Kulturguts gegründet worden.