Politik trifft auf Protest", unter diesem Thema stand die Sendung von Günther Jauch am Sonntag. Dazu kam erstmals mit Kathrin Oertel auch ein Mitglied aus dem Organisationsteam von Pegida. Jauch wandte sich in den ersten Minuten ausschließlich ihr zu, auch, weil die für Montag geplante Demonstration in Dresden aufgrund einer Terrorwarnung abgesagt wurde. Oertel bestätigte, dass die Morddrohung gegen Lutz Bachmann ausgesprochen wurde.
Gefragt nach ihrer Motivation, nach Monaten doch mit Jauch zu sprechen, erklärte sie, dass die Menschen es verdient hätten "objektiv gehört zu werden." Wer genau denn die Leute seien, die da jeden Montag auf die Straße gingen, fragte Jauch. "Menschen wie Sie und ich", gab Oertel zur Antwort. "Wie Sie vielleicht, aber nicht wie ich", positionierte sich Günther Jauch sofort.
Meinungsäußerung für alle
Wolfgang Thierse, der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages, als auch Jens Spahn, Bundestagsabgeordneter der CDU, sprachen sich ebenfalls gegen Pegida aus. Dennoch sahen sie nicht in jedem Demonstranten einen Hooligan oder Rechtsradikalen. Besonders Thierse bemühte sich um ein differenziertes Bild. "Die Freiheit der Meinungsäußerung gilt für alle", sagte er. Er sah die Absage aller öffentlichen Versammlungen in Dresden, genau wie alle anderen Anwesenden, als einen eklatanten Eingriff in die Grundrechte.
Allerdings ginge Sicherheit eben vor. Spahn hoffte, dass "die Organisation von Pegida das nicht ausschlachten" wird, diese konkrete Bedrohung durch Anschläge aus dem Kreis von Islamisten. Alexander Gauland, Stellvertretender Parteichef der AfD, schlug allerdings sofort in diese Kerbe. "Es ist der Beginn der Islamisierung, wenn wir ein solches Grundrecht [auf Demonstrationsfreiheit] nicht mehr ausüben dürfen", fand er. Spahn wies Gauland sofort zurecht, er hätte mehr "Differenzierung" erwartet, statt "Instrumentalisierung".
Pegida ist ein vielschichtiges Problem
Frank Richter, Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ist auf Pegida-Demonstrationen mitgelaufen, weil er wissen wollte, was die Menschen bewegt. Er wies darauf hin, dass er mit denen, die gesprächsbereit waren, schon zweimal Gespräche geführt hatte. Erreichen kann er aber längst nicht alle. "Pegida ist ein vielschichtiges Problem, am Rande haben wir Hooligans und Ausländerhasser", aber in der Mitte gäbe es eben auch viele Menschen, die Frust und Sorgen hätten, die nichts mit einer Islamisierung zu tun haben.
"Sind Sie frustriert?" wollte Jauch von Oertel wissen. "Ich persönlich nicht, aber es sind viele Menschen dabei, die frustriert sind", antwortete Oertel. Gauland erzählte, dass auch er schon auf Demonstrationen mitgelaufen sei, ihm aber dort keinerlei Fremdenhass aufgefallen wäre. Einzig am Wort "Lügenpresse" würde auch er sich stören, sei dies doch ein Hinweis auf Joseph Goebbels. Das fände auch er bedenklich.
Mehr Dialog, weniger Vorurteile
Kathrin Oertel verschwieg nicht, dass bei Pegida auch Nazis mitlaufen. Aber sie war der Meinung "man kann nicht sagen, dass Ausländer hier nicht hergehören. Wir brauchen eine gewisse Art von Einwanderung." Jens Spahn ging drauf ein und gab Oertel in diesem Punkt Recht. Die Politik hätte in den letzten Monaten aber Maßnahmen ergriffen, dass Asylbewerber, deren Ayslantrag abgelehnt wurde, in Zukunft schneller abgeschoben werden. Oertel ging darauf nicht ein. Dafür blätterte sie hektisch in ihren Notizen, auf der Suche nach neuen Belegen für ihre Thesen. Mehrere Din A4-Seiten hatte die freiberuflich Tätige in der Hand, vieles darauf war angestrichen. Sie wirkte in diesen Momenten hilflos. Bedrohlich dagegen einige der Männer, die im Publikum saßen und wohlwollend zu Oertels Ausführungen nickten. Einer wollte nicht erkannt werden und hielt sich verschämt die Hand vors Gesicht.
Wolfgang Thierse glaubte, dass bislang nicht genug miteinander geredet wurde. Sein Ziel an diesem Abend war klar: Er wollte aufklären, Vorurteile entkräften und auf die Pegida-Demonstranten zugehen, die von der aktuellen Flüchtlingswelle verunsichert sind.
"Nur ein Diktator kann schnell entscheiden"
"Es gibt weltweit 50 Millionen Flüchtlinge, 200.000 haben in Deutschland Asyl gesucht", und längst nicht jeder würde auch positiv beschieden. Thierse und Richter waren sich einig, dass die Probleme der meisten Pegida-Demonstranten nicht mit der Islamisierung zu tun habe. Beide wünschten sich "eine Kultur des Dialogs". Oertel ging darauf nicht ein, statt dessen wiederholte sie stets, dass die Demonstranten sich eben nicht von der Politik verstanden fühlten.
Thierse warf Oertel vor, den 1989 so wichtigen Ausruf "Wir sind das Volk" für ihre Zwecke zu missbrauchen, immerhin lehnen Dreiviertel der Deutschen Pegida ab. Oertel verteidigte sich, die Demonstranten hätten diesen Satz von sich aus gerufen, sie seien eben auch das Volk. Sie wünschte sich "direkte Demokratie", bei der sich die Bürger aktiv beteiligen können. Wolfgang Thierse begrüßte diese Idee, allerdings machte er deutlich, dass dafür die parlamentarische Mehrheit nötig sei. Demokratie brauche Zeit sagte er, "sie ist langsam. Nur ein Diktator kann schnell entscheiden."
Gegen die Abholzung des Regenwaldes
Wieso haben die Demonstranten in Sachsen, wo nachweislich unter ein Prozent der Bevölkerung Muslime sind, solche Angst vor der Islamisierung wollte Günther Jauch wissen. Oertels schwache Antwort: In der Bundesrepublik würde auch "gegen die Abholzung des Regenwaldes" demonstriert. Dass dieses Argument sehr weit hergeholt war, merkte sie selbst. Gauland sprang ihr zur Seite und meinte "die Dresdner sind die Ersten, die die Probleme sehen". Von welchen Problemen genau er sprach, ließ sich zwischen den Zeilen erahnen. Spahn ließ sich das nicht bieten, fuhr ihm über den Mund. Als Gauland darum bat auszusprechen, unterbrach Spahn ihn abermals. "Es wird doch nicht besser", sagte er.
Sowohl Wolfgang Thierse als auch Jens Spahn machten den Pegida-Demonstranten mehrfach das Angebot, sich politisch zu engagieren. Denn, nur aus den Demonstrationen heraus wird es keine Veränderung geben. Auch Oertel betonte "wir sind eine Bürgerbewegung, keine Partei". Spahn will in den nächsten Wochen das Angebot von Frank Richter annehmen und bei einer der nächsten Gesprächsrunden mit Demonstranten mit am Tisch sitzen. Er und Thierse zeigten deutliches Interesse an denen, die keine Ressentiments gegen Muslime hegen, sondern politikverdrossen sind.