Als Pilger ist er gekommen, auf den Spuren seines Vorgängers, des glühenden Marienverehrers Johannes Paul II.: Bei dem viertägigen Portugal-Besuch zog es Benedikt XVI. wie magisch zu der weltweit bekannten Marienwallfahrtsstätte Fátima etwa 120 Kilometer nördlich der Hauptstadt Lissabon. Hunderttausende Pilger, angereist mit Zelten, in Campingwagen oder auch zu Fuß, empfangen den Pontifex mit Jubelrufen und Fahnen schwenkend - ein wenig Balsam für die Seele eines Papstes, der auch in Portugal auf den Missbrauchsskandal seiner Kirche zurückkommen musste. Auf der Esplanade des Wallfahrtsortes ist diese Sorge zumindest für ein paar Stunden vergessen. Man feiert den Jahrestag der Marienerscheinung, die drei Hirtenkinder dort erlebten.
Und "Buße" hatte das deutsche Kirchenoberhaupt vor seiner Reise an diesen geheimnisvollen kleinen Ort in den portugiesischen Bergen auf seine Weise auch schon getan: Beim Anflug auf die Metropole Lissabon beklagte Benedikt schon am Dienstag demütig: "Die Sünde existiert in der Kirche." Diese wird vom Bösen angegriffen, und zwar vor allem von innen - der Missbrauchsskandal. In Fátima setzte er seine Botschaft vor Kirchenleuten fort: Seine Kirche müsse durch "heilige Priester" erneuert werden, die dem Weltlichen und dem Bösen standhalten können. Darum bat er die Muttergottes an der ihr geweihten Wallfahrtsstätte.
Portugal hat sich für "Bento" hübsch gemacht, es ist geflaggt, überall begrüßen begeisterte Menschen den deutschen Papst. In dem westlichsten Land Europas machen keine Priester Schlagzeilen, die sich an Kindern vergehen oder sie prügeln. Und doch konnte Benedikt nicht in aller Ruhe den Geheimnissen der drei Seherkinder von Fátima nachspüren. Die "Sünde in der Kirche" verfolgt ihn. So ruft er einmal mehr nach Reinigung, Vergebung und juristischer Aufarbeitung. "Attacken des Bösen" nennt er das, und solche Angriffe werde es immer geben. Doch Christus sei letztlich der Stärkere. Hier in Fátima, wo der Puls der katholischen Kirche schlägt, glaubt man dem Pontifex.
Fátima war nach der Legende die schöne Tochter eines maurischen Fürsten, die sich nach einem christlichen Ritter verzehrte und sich darum taufen ließ. Für die katholische Kirche ist der Ort, den Jahr für Jahr Millionen Pilger aufsuchen, so wichtig wie Lourdes in den französischen Pyrenäen oder das österreichische Mariazell. Und was in diesem Jahr an Christi Himmelfahrt in Fátima gefeiert wurde, das war der eigentliche Anlass des päpstlichen Besuchs in Portugal. Nach der ersten von insgesamt sechs Erscheinungen soll die Muttergottes Lúcia, Jacinta und Francisco dort 1917 drei Geheimnisse anvertraut haben.
Als Benedikt im Helikopter in dem wundersamen Wallfahrtsort an der Straße nach Coimbra ankam, hatten Tausende von Pilgern den Weg dorthin bereits zu Fuß hinter sich gebracht. Der 83-jährige Pontifex setzt darauf, dass Fátima - zumal in diesen so schweren Zeiten seiner Kirche - ihnen "einen reinen Blick schenkt", wie es Vatikan-Sprecher Federico Lombardi sagt. Ein strahlender Wegweiser für alle Gläubigen im dritten Jahrtausend soll diese Madonna sein: "Wir brauchen einen solchen unschuldigen Blick, wie die Hirtenkinder, die die Jungfrau sahen." Benedikt verbindet sehr viel mit Fátima. Als Kardinal Joseph Ratzinger leitete er eine große Wallfahrt dorthin. Und er analysierte den besonders dunklen Teil dieser "Geheimnisse".
Vor allem das am längsten gehütete dritte Geheimnis hatte es allen angetan, auch Joseph Ratzinger. Johannes Paul II. bezog es sofort auf sich, als er 1981, ausgerechnet am 13. Mai, nur wie durch ein Wunder dem Tod durch eine Kugel des Attentäters Mehmet Ali Agca entging. Der polnische Papst reiste also ein drittes Mal nach Fátima, brachte das Geschoss mit - es wurde in die Krone der Madonna eingesetzt. Dieses düstere dritte Geheimnis der Fátima-Madonna sprach von einem in Weiß gekleideten Bischof, der unter den Kugeln von Soldaten zusammenbrach.
Für den ebenso konservativen wie oftmals stark pessimistischen Ratzinger war dies ein Sinnbild für den Weg der Kirche durch das 20. Jahrhundert. Und das begonnene Jahrhundert, das jetzt schon von dem Missbrauchsskandal gezeichnet ist? Unter die Leiden, die der Kirche prophezeit worden sind, zählt Joseph Ratzinger auch diese Attacken, die zu einem "schuldig im Namen der Kirche" geführt haben. Das war ein Grund mehr, bei der Madonna von Fátima innezuhalten und zu beten.