Festnahme auf dem Rollfeld Nawalny kehrt nach Russland zurück – seine Ankunft in Moskau droht in einem Drama zu enden

Festnahme auf dem Rollfeld : Nawalny kehrt nach Russland zurück – seine Ankunft in Moskau droht in einem Drama zu enden
© Sefa Karacan / Picture Alliance
Sein Flug ist schon gebucht. Am 17. Januar, fünf Monate nach der Vergiftung durch den russischen Geheimdienst, will Alexej Nawalny nach Russland heimkehren. Doch was erwartet ihn dort? Eine Festnahme direkt auf dem Rollfeld oder ein triumphaler Empfang?

Daran, dass er nach Russland zurückkehren will, hat Alexej Nawalny nie Zweifel gelassen. Seit August hält sich die Galionsfigur der russischen Opposition in Deutschland auf, nachdem er mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden ist. Nun fühle er sich soweit genesen, dass er in seine Heimat zurückkehren kann, verkündete Nawalny am Mittwoch in einer Videobotschaft, die er über die sozialen Netzwerke verbreitete. "Die Frage, ob ich zurückkehre oder nicht, hat sich mir nie gestellt."  Er habe Russland nicht eigenständig verlassen, erinnerte er. "Ich bin in einer Wiederbelebungskiste in Deutschland gelandet. Und das aus einem einzigen Grund: Man hat versucht, mich zu ermorden", so der Kreml-Gegner.

Nun steht der Zeitpunkt für Nawalnys Rückkehr fest. Er habe einen Flug für den 17. Januar mit der russische Billigfluglinie Pobeda gebucht. Laut Flugplan gibt es am kommenden Sonntag nur einen einzigen Flug nach Moskau. Demnach wird die Maschine um 19.20 Uhr Ortszeit (17.20 Uhr MEZ) auf dem Flughafen Wnukowo landen. "Empfangt mich!", schrieb Nawalny.

Die Taktik hinter solch konkreten Angaben liegt auf der Hand: Seine Anhänger und Mitstreiter sollen dem Kreml-Gegner eine triumphale Rückkehr bereiten. Im Netz organisierten sich bereits zahlreiche Gruppen, um Nawalny am Flughafen in Empfang zu nehmen – und womöglich Zeuge seiner Verhaftung zu werden. 

Russische Behörden greifen zur Tücke 

Seit dem 29. Dezember steht Nawalny in Russland auf der Fahndungsliste – auf der Grundlage einer Verurteilung aus dem Jahr 2014. Damals wurde er des Betrugs schuldig gesprochen und zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Später wurde die Strafe um ein Jahr verlängert – bis zum 30. Dezember 2020.

Einen Tag vor Ablauf der Bewährungszeit schrieben die Behörden Nawalny jedoch zu Fahndung aus. Der Oppositionspolitiker entziehe sich absichtlich der Kontrolle und man sei nicht über seinen Aufenthaltsort unterrichtet, argumentierte man. Es wurde angeordnet, dass Nawalny bis 9 Uhr am folgenden Tag bei der Aufsichtsbehörde zur Registrierung erscheine – obwohl man darüber informiert war, dass der Politiker sich zu diesem Zeitpunkt zur Rehabilitation in Deutschland aufhielt. Eine unerfüllbare Forderung, auf deren Grundlage aber nun der Antrag gestellt wurde, die Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe umzuwandeln. 

Wenn Nawalny also am Sonntag aus dem Flugzeug steigt, droht ihm nicht nur die unmittelbare Verhaftung sondern auch eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Und das, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verurteilung Nawalnys bereits 2017 für rechtswidrig erklärt und ihm einen Schadensersatz in Höhe von 55.000 Euro zugesprochen hat. Außerdem drohen ihm mindestens zwei neue Strafverfahren, wegen Veruntreuung von Spendengeldern und Verleumdung –weil er Putin des Mordanschlags auf sich beschuldigt hat. 

Nawalny versetzt Putin in Zwangslage 

Die Frage ist nun: Was wird der Kreml tun? Verzichtet Putin auf eine Verhaftung, könnte ihm dies von den eigenen Gefolgsleuten als Schwäche ausgelegt werden. Lässt er ihn verhaften, könnte das aber genauso als Schwäche gedeutet werden: "Uns stehen Parlamentswahlen und Regionalwahlen bevor. Die Inhaftierung Nawalnys würde jetzt nur die Schwäche der Regierung demonstrieren, ihre Feigheit, ihre Angst, in eine offene Diskussion und einen fairen Wettbewerb zu treten", sagt der stellvertretende Vorsitzende der linksliberalen Oppositionspartei Jabloko Boris Wischnewskij. Eine Inhaftierung werde die Proteststimmungen im Land, die bereits ziemlich ausgeprägt ist, nur anheizen und den Wahlempfehlungen, die Nawalny auch aus der Haft heraus abgeben werde, mehr Gewicht verleihen. "Die Regierung hat bei einer Inhaftierung nichts zu gewinnen, außer dem eigenen Stolz Genugtuung zu verschaffen und den Rachedurst zu stillen", so der Politiker in einer Diskussionsrunde bei "Radio Swoboda". 

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Lässt Putin Nawalny festnehmen, zementiert er damit die Vorwürfe gegen sich selbst. Denn es ist der Kreml-Chef selbst, den Nawalny für den Mordanschlag auf seine Person verantwortlich macht. "Momentan kann man nichts ausschließen", sagt der russische Politologe Abbas Galljamow. "Der Kreml ist in so einer dummen Situation, in die er sich teilweise selbst hineingetrieben hat, dass egal, was jetzt unternommen wird, alles falsch ist. Daher könnten sich die Kreml-Leute auch zu sehr seltsamen Maßnahmen entschließen", vermutet der Experte. Selbst ein Szenario, in dem der Kreml das Flugzeug Nawalnys nicht in Moskau landen lässt und nach Minsk umleitet, traut Galljamow Putin zu. In der belarussischen Hauptstadt könnte dann Alexander Lukaschenko die unliebsame Arbeit übernehmen und den 44-Jährigen verhaften.

Die Zwangslage, in die Nawalny Putin mit seiner Rückkehr bringt, ist politisches Kalkül. Mit seiner Rückkehr wird er wieder von einem Dissidenten zum wichtigsten Oppositionellen, dessen Popularität in den vergangenen Monaten trotz Kreml-Propaganda gestiegen ist. Und auch der Zeitpunkt dürfte nicht per Zufall gewählt worden sein. Am 20. Januar tritt Joe Biden das Amt des US-Präsidenten an. Ein Termin, dem man im Kreml mit Sorge entgegenblickt, hat doch der Demokrat eine härtere Linie gegenüber Moskau angekündigt. Vorbei sind dann die Zeiten, in denen "Putins Schoßhündchen", wie Biden einst Trump tituliert hat, in Washington das Ruder geführt hat.

In den kommenden Wochen wird Putin sich mit einem neuen Gegenspieler arrangieren müssen. Ein Oppositionsführer im Gefängnis wird da nicht hilfreich sein. Doch in der Vergangenheit hat Putin bereits mehrfach lieber seinem Rachedurst gefrönt als taktische Vernunft walten zu lassen.

Die Zeichen stehen auf Festnahme

Die russischen Behörden bereiten sich offenbar nun in aller Eile auf eine Verhaftung vor. Man werde alle "erforderlichen Maßnahmen ergreifen", um den "Gesetzesbrecher Nawalny" festzunehmen, bis ein Gericht darüber entscheidet, ob seine Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe umgeändert wird oder nicht, teilte die zuständige Behörde am Donnerstagabend mit.

Währenddessen versuchen Kreml-Getreue offenbar eine Gegenaktion zu organisieren, um einen triumphalen Empfang in Moskau zu verhindern. In den sozialen Netzwerken kursieren Aufrufe, in denen Menschen angeworben werden, "um eine gewisse Person am Flughafen Wnukowo zu empfangen", am 17. Januar, 19 Uhr Ortszeit. Versprochen wird eine Vergütung von 1000 Rubel und die Übernahme der Anfahrtskosten. Das erklärte Ziel der Organisatoren: Die Besetzung des Ankunftsareals des Flughafens. 

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