Julia Nawalnaja in Hamburg Eine Kämpferin, die eigentlich nur nach Hause will

Die russische Oppositionelle Julia Nawalnaja hielt eine Rede in Hamburg
"Der beste Weg, keine Angst zu haben, ist, nicht darüber nachzudenken", sagt die russische Oppositionelle Julia Nawalnaja in Hamburg
© Peter Kneffel / DPA
Mit dem Tod von Alexej Nawalny erbte Julia Nawalnaja den Freiheitskampf ihres Mannes. Im Exil will sie Putin die Stirn bieten. Wie es ihr damit geht, verriet sie in Hamburg.

Durch den Kleinen Saal der Elbphilharmonie tönen am Mittwochabend russische Satzfetzen. Menschen strömen hinein. Und dann ist sie plötzlich da: Julia Nawalnaja. Die Witwe des verstorbenen russischen Oppositionellen Alexey Nawalny steht so selbstverständlich im Raum, als sei sie ein Gast. Dabei ist sie der Star des Abends, der Grund, warum die gut 500 Stühle bis auf den letzten Platz besetzt sind.

Nawalnaja soll hier über das Exil sprechen. Es ist der traditionelle Höhepunkt eines einmonatigen Veranstaltungsprogramms der Körber-Stiftung. Persönlichkeiten wie die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Herta Müller, die belarussische Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja oder die UN-Sonderbotschafterin Nadio Murad durften hier schon ihre Exil-Erfahrungen schildern.

Zum zehnten Jubiläum ist Julia Nawalnaja nicht nur Rednerin der Reihe, sondern gleichzeitig Schirmherrin. Auch die Ex-Sprecherin von Alexej Nawalny, Kira Jarmysch, und der im Exil lebende russische Oppositionelle Leonid Wolkow sind da. Doch nur Nawalnaja wird Zeugnis über den Verlust der Heimat ablegen. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie dafür nach Hamburg gereist. Mit dabei: Sohn Sachar und ein Leibwächter.

Julia Nawalnajas Referat über das Exil

Ihre Rede fällt in eine politisch wie gesellschaftlich aufgeladene Zeit: Fast genau drei Jahre schon dauert Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine an. Im Weißen Haus ist mit Donald Trump wieder ein Mann eingezogen, der mit seinen Beziehungen zu Wladimir Putin prahlt, dem Kremlchef den Rücken stärkt, der von Russland überfallenen Ukraine die Hilfen entziehen will und den ukrainischen Präsidenten als "Diktator" diffamiert.

In diesen Zeiten steht Julia Nawalnaja nun in Deutschland – einem Land, in dem beide Großmächte ihre Spuren hinterlassen haben – in Rot gekleidet an einem Tresen auf einer Bühne in der Elbphilharmonie.

Einen Nerv trifft sie aber nicht so richtig.

Ich war zerstört und ängstlich. Aber konnte ich Putin siegen lassen?

Ihre Rede dreht sich ums Exil. Aber sie spricht mehr darüber, als dass sie davon erzählt. Eine Brille mit schwarzem Rand macht ihr Gesicht ernster, als es ist. Genau so könnte die Oppositionelle auch in einem Fernsehstudio die Nachrichten verlesen. Nawalnaja rezitiert Daten und Zahlen über Vertriebene aus der Ukraine, Russland und anderen Teilen der Welt. Lediglich knapp acht Prozent der Menschen dieser Welt lebten in einer reinen Demokratie. Deutlich mehr Menschen dagegen in anderen, repressiven Systemen. "Die Demokratien machen keinen guten Job", schlussfolgert Nawalnaja.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Schwer vorstellbar, dass da vorn gerade die Frau steht, die vor gut einem Jahr den Tränen nahe an einem Pult bei der Münchener Sicherheitskonferenz öffentlich über den Verlust ihrer großen Liebe sprach. Schwer vorstellbar auch, dass Nawalnaja voll "Wut, Zorn und Hass", wie sie selbst einmal sagte, mit dem Mann im Kreml abrechnen, ihn am liebsten im Gefängnis sehen, ja ihm vielleicht sogar die Präsidentschaft streitig machen möchte. In der Elphi wirkt sie eher so, als wäre sie gern wieder die "unsichtbare Helferin" ihres Mannes, als die sie sich selbst in einem Interview im Jahr 2014 bezeichnet hatte.

Zum Leben im Exil verdammt

Emotionaler wird Nawalnaja, als sie auf den Tod ihres Mannes zu sprechen kommt: "Ich war zerstört und ängstlich. Aber konnte ich Putin siegen lassen?" Russland sei immer noch ihr Zuhause. Die meiste Zeit träume sie davon, dorthin zurückzukehren.

Julia Nawalnaja spricht in der Elbphilharmonie Hamburg
Professionell wie im Fernsehstudio: Julia Nawalnaja spricht in der Elbphilharmonie Hamburg
© Claudia Höhne / Körber-Stiftung

Doch das ist praktisch ausgeschlossen. Nach ihrer Ankündigung, den Freiheitskampf von Alexej Nawalny fortzuführen, erließ ein Moskauer Gericht einen Haftbefehl gegen sie wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer "extremistischen Organisation". Politische Veränderungen muss sie vom Ausland aus anstoßen. "Dafür werde ich alles tun", sagt Nawalnaja und beendet die Rede mit einem Dank an die Unterstützer und jene, die die Hoffnung nicht aufgeben. "Niemals aufgeben!", das war das Motto von Alexej Nawalny.

Der Saal applaudiert. Nawalnaja entspannt sich, nimmt Blumen an, die ihr Gäste aus den Reihen auf die Bühne bringen. Abgesehen von einem Leibwächter neben ihrem Sitzplatz ist von Sicherheitspersonal keine Spur zu sehen. Die Atmosphäre ist entspannt angesichts des Umstands, dass der Kreml sie im Visier hat.

Der beste Weg, keine Angst zu haben, ist, nicht darüber nachzudenken.

Wäre ihr Mann noch am Leben, stünde er jetzt vielleicht auf einer Bühne der Elbphilharmonie. Immerhin war er der Politiker im Rampenlicht. Für seine politische Arbeit opferte die studierte Ökonomin ihre Karriere. Auf das öffentliche Parkett trat Nawalnaja erst 2013, als Alexej für das Bürgermeisteramt in Moskau kandidierte. Die Wahl brachte ihm damals den zweiten Platz und ihr den Namen als "First Lady" des Oppositionspolitikers ein.

Für Schmerzen und Angst hat Nawalnaja kaum Zeit

Nach der Rede will die Moderatorin der Veranstaltung wissen, wie schwierig es sei, im Exil Opposition zu betreiben. "Ich glaube, mein Mann lag richtig", sagt Nawalnaja und meint damit Alexejs Entscheidung, nach dem Giftanschlag in Omsk im Jahr 2020 und der Behandlung an der Berliner Charité wieder nach Russland zurückzukehren. "Er hatte den Mut."

Julia Nawalnaja in Gedanken an die Heimat
In Gedanken an die Heimat
© Claudia Höhne / Körber-Stiftung

Dass sie selbst einmal im Exil leben würde, hätte sie nie gedacht. Wie sie mit den Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann umgehe? Nawalnaja lächelt. "Ich habe kaum Zeit, über den Schmerz nachzudenken." Seit sie im Exil lebe, verbringe sie viel Zeit in Hotels, in Fliegern, immer auf dem Sprung. Sie lerne neue Leute kennen. Das lenkt offenbar ab.

Wo Nawalnaja seit dem Tod ihres Mannes genau wohnt, ist aus Sicherheitsgründen unbekannt. Der ständigen Gefahr ist sie sich aber wohl bewusst. Doch auf der Bühne wischt sie die lachend beiseite. "Der beste Weg, keine Angst zu haben, ist, nicht darüber nachzudenken." Das bedeute nicht, die Gefahr zu ignorieren. Aber etwas Sinnvolles zu tun, um etwas zu verändern, helfe ihr über die negativen Gefühle hinweg. Trotzdem fehle ihr Russland. Die Menschen im Exil seien zwar sehr nett. "Aber ich habe nicht das Gefühl, zu Hause zu sein."

Hinweis: In einer ersten Version hieß es, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauere seit fast vier Jahren an. Dies wurde korrigiert.

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