Sie schreiben Gesetze für sich selbst, sie verwalten die staatlichen Budgets, sie sitzen in den Kontrollgremien: Bauunternehmer sind die Herrscher von Nowosibirsk. Zu dieser Schlussfolgerung kommt man unweigerlich, betrachtet man das dichte Netzwerk, das die Bauherren wie Spinnweben über der drittgrößten Stadt Russlands ausgebreitet haben. Es war dieses kriminelle Netzwerk, das Alexej Nawalny und sein Fond zur Korruptionsbekämpfung (FBK) in den letzten Wochen entwirrten – unmittelbar bevor der Oppositionspolitiker auf seiner Rückreise aus Sibirien vergiftet wurde. Mittlerweile ist er in der Berliner Charité wieder aus dem Koma erwacht und meldet sich über Twitter zu Wort.
Nach Angaben der Bundesregierung wurde "der zweifelsfreie Nachweis" für eine Vergiftung mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe erbracht. Woran aber hatten er und seine Mitstreiter eigentlich recherchiert? Es geht um Machenschaften in Nowosibirsk. "Wer die Hauptstadt Sibiriens eingenommen hat und wie man sie wieder befreit", lautet der Titel ihres 40-minütigen Films.
Abgeordnete des Stadtrats sind die Hauptfiguren. Mehr als ein Drittel der Mitglieder der städtischen Regierung sind Bauunternehmer oder deren Vertreter. 18 der 50 Angeordneten gehören ganz offiziell dieser Kaste an, wie auch die Recherchen des sterns ergeben haben. Die entsprechenden Informationen sind in öffentlichen Registern für jedermann einsehbar.
Die Zahl derer aber, die auf dem Lohnzettel dieser Bauunternehmer stehen, dürfte bei weitem höher sein, vermuten Nawalny und seine Mitstreiter. "Die Baumonopolisten haben einen ganzen Machtzweig an sich gerissen. Sie schrieben Gesetzte für sich selbst, sie verabschieden Gesetzte für sich selbst, sie verwalten das städtische Budget und sie übernehmen auch noch die Kontrollfunktion über sich selbst. Sie regieren einfach die Stadt", fasst der Oppositionspolitiker in dem Film seine Recherchen zusammen.
Das Imperium des Alexej Dzhulaj
Im Zentrum des Netzwerks der Baumonopolisten steht ein Mann namens Alexej Dzhulaj. Er gehört zu den reichsten und einflussreichsten Männern in Nowosibirsk. Allein in der Datenbank "Rusprofile" wird er als Direktor von 22 Unternehmen und Gründer von 82 Firmen geführt. Unter anderem nennt der Baumogul die Immobilienfirma "Diskus Plus" sowie die Bauunternehmen "Molresurs" und "Siskus Stroj" sein eigen. Ebenso ist er Eigentümer einer Betonfabrik und einer Firma, die Metalltüren und -fenster herstellt. Hier wird das Baumaterial für die unzähligen Plattenbauten produziert, mit denen Dzhulaj Nowosibirsk vollstellt.
Zu Dzhulajs Imperium gehören Wohnsiedlungen, in denen ihm jedes Steinchen gehört – angefangen mit den Gebäuden über die Parkplätze bis hin zu den Tante-Emma-Läden an den Ecken. Viele der Häuser sind, obwohl gerade erst errichtet, in einem katastrophalen Zustand. Die Wände bröckeln, zwischen den Betonpaneelen pfeift der Wind, teilweise gibt es keinen Strom. Und um in den 10. Stock zu gelangen, müssen die Bewohner die Treppe nehmen. Denn in den Schächten, in denen die Aufzüge sein sollten, herrscht gähnende Leere.
Trotz der gravierenden Mängel beanstandet die Stadtverwaltung nicht den Zustand der Plattenbauten und erlaubt den Bezug. Aber wirft man einen Blick auf die Liste der Stadträte, die auf der Seite der Stadtverwaltung einsehbar ist, wird deutlich warum. In der Kommission für Stadtplanung und kommunales Eigentum sitzt kein geringerer als Dzhulaj.
Stadtbudget in der Hand
Dabei gelingt es dem Politiker, der Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" angehört, sogar um die Pacht für die Grundstücke zu kommen. Und das obwohl diesbezüglich Hunderte Anzeigen und Beschwerden eingegangen sind, wie Gerichtsakte belegen. "Aber Dzhulaj zahlt einfach nicht", beschreibt Alexej Nawalny die Situation in Nowosibirsk: "Wie das möglich ist? Er ist die Macht!"
Außerdem bedient sich Dzhulaj ganz offen am Stadtbudget. Das System dahinter sei ganz simpel, erklärte Sergej Bojko, der im vergangenen Jahr für das Amt des Bürgermeisters kandidiert hatte. Zunächst bewillige der Baumogul in seiner Rolle als Mitglied der Kommission für Stadtplanung und kommunales Eigentum Gelder für den Einkauf von staatlichen Immobilien, die die Stadt etwa an Waisenkinder verteilt. Dann verkaufe er der Stadt die entsprechenden Wohnungen aus seinem Bestand, die er auf dem freien Markt nicht losgeworden ist. "Mehr als eine Milliarde Rubel hat die Stadt allein für den Einkauf von Wohnungen allein in diesem Bezirk ausgegeben", sagt Bojko, während er zusammen mit Nawalny die verfallenen Häuser eines Wohnblocks von Dzhulaj besichtigt.
Die geschäftstüchtigen Kinder des Ewgenij Jakowenko
Ein anderer Mann, der zu den Herrschern von Nowosibirsk gehört, ist Ewgenij Jakowenko. Auch er ist Abgeordneter des Stadtrats, sogar dessen stellvertretender Vorsitzender. Auch er gehört der Partei "Einiges Russland an". Und auch er ist ein Baumogul. Wobei Jakowenko es bevorzugt, seine Unternehmen auf seine Verwandtschaft zu registrieren, wie Recherchen des stern zeigen. Sein 25-jähriger Sohn ist als Generaldirektor einer Immobilienfirma, eines Bauunternehmens und einer Verwaltungsgesellschaft eingetragen. Außerdem ist er auf dem Papier Gründer von sieben weiteren Unternehmen, die Immobilen bauen, verkaufen oder vermieten.
Die Tochter des Politikers, die eigentlich in Dubai lebt, ist Besitzerin von Geschäften in der Nowosibirsker Metro – eines sehr einträglichen Geschäfts. "Dies haben wir durch Zufall erfahren", erzählt Bojko. "Gegen die Firma der Angeordneten-Tochter war ein Verfahren eingleitet worden, weil in ihren Geschäften Fälschungen verkauft wurden und die staatlichen Räume illegal an sie vermietet worden sind."
Das Bestattungsunternehmen des Sergej Bondarenko
Der Vorsitzender der Kommission für kommunales Eigentum, Sergej Bondarenko, hat neben dem Bausektor ein anders profitables Geschäft für sich enteckt: das Geschäft mit dem Tod. Der Politiker der Partei "Einiges Russland" sitzt seit Jahren dem kommunalen Unternehmen "Bestattungshaus IMI" vor. Das brachte ihn offenbar auf eine Idee. Er gründete ein privates Bestattungsunternehmen mit dem selben Namen, wie Daten von Rusprofile belegen.
"In Nowosibirsk wissen alle: Stirbt ein Angehöriger, ruft man die Nummer 063 an", erklärt Nawalny das Geschäftsmodell von Bondarenko. Doch anders als erwartet, würden hier nicht nur die Dienstleistungen des staatlichen Instituts verkauft, sondern auch die des privaten Bestattungsunternehmens von Bondarenko.
Die Basistarife bediene die staatliche IMI. "Aber es gibt auch wesentlich teurere Zusatzleistungen, wie das Herrichten des Toten oder die Schließung der Grabstätte. Die Angehörigen werden genötigt, all dies zu bezahlen, weil eine Bestattung anders kaum möglich ist. Das Geld fließt in diesen Fällen aber an die kommerzielle IMI und andere private Gesellschaften, die von Vertrauten von Bondarenko verwaltet werden", so Nawalny. Bondarenko habe es auf diese Weise geschafft, nicht bloß ein staatlichen Unternehmen zu privatisieren. "Unser Abgeordneter von 'Einiges Russland' hat es geschafft, Tote zu privatisieren!"