Christine Thürmer über Wandermythen "Wer unterwegs zu sich finden will, hat eigentlich schon verloren"

"Unterwegs wird man zum Einzelgänger": Seit 20 Jahren wandert Christine Thürmer um die Welt
"Unterwegs wird man zum Einzelgänger": Seit 20 Jahren wandert Christine Thürmer um die Welt
© Andrew Burns
Christine Thürmer gilt als meistgewanderte Frau der Welt. Im Interview erklärt sie, weshalb teure Ausrüstung überbewertet ist, warum Wandern nicht als Selbsthilfemaßnahme taugt und worin für sie das Glück unterwegs liegt.

Frau Thürmer, wir wollen über Glaubenssätze rund ums Wandern sprechen. Fangen wir doch gleich mal mit dem hier an: Wer weit wandern will, muss sportlich sein.
Das geht ja gut los. Gleich einer dieser Sätze, die mich ärgern, weil sie so falsch sind. Ich beweise doch das Gegenteil. Ich bin 56 Jahre alt, ich habe Plattfüße, X-Beine und hin und wieder ein paar Kilo Übergewicht. Und trotzdem habe ich schon mehr als 62.000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Vor 20 Jahren wollte ich zum ersten Mal durch Nord- und Mittelamerika gehen. Am Startpunkt der Route traf ich Surferboys, Endzwanziger, durchtrainierte Typen. Mir kamen leichte Zweifel: Bin ich fit genug, packe ich das? Die Surfer gaben nach zwei Wochen auf. Ich lief noch Monate weiter. Beim Wandern geht es um Ausdauer, weniger um Kraft. Ob man eine Strecke schafft, entscheidet sich oft nicht in den Beinen, sondern im Kopf.

Weiter geht’s mit der nächsten Behauptung: Wandern ist eine Männerdomäne.
Stimmt leider. Dabei sind Frauen wahrscheinlich die besseren Weitwanderer, die langen Distanzen liegen ihnen. Sie brechen viel seltener ab als junge Männer. Die haben zwar mehr Kraft, aber sie teilen sie sich oft schlechter ein.