Tritte, Schläge, aggressives Zerren: Ein Mann geht auf Klimaaktivisten los, die auf einem Zebrastreifen die Straße blockieren, zeigt ein Video, das in den sozialen Medien kursiert (der stern berichtete). In einem anderen Video ist zu sehen, wie ein Autofahrer die auf einer Straße Festgeklebten zunächst beschimpft, handgreiflich wird und anschließend in seinen Wagen steigt und losfährt. Einem Aktivisten entfährt ein lauter Schrei, als das Auto seinen Fuß überrollt.
Viele Menschen sind offenbar nicht nur genervt, sondern wütend auf die Klimaaktivisten. "Breite gesellschaftliche Unterstützung ist wünschenswert, aber nicht immer die einzige Messlatte, an der Aktionsformen gemessen werden sollten", hält Soziologe Stefan Aykut, der ein Projekt am am Exzellenzcluster Climate, Climatic Chance, and Society (CLICCS) der Universität Hamburg leitet, dagegen. In Debatten über den (Un-)Sinn der Klimaproteste geht es schon länger um Fragen wie diese: Schaden die Aktivisten damit ihrem eigentlichen Anliegen, dem Klimaschutz? Spalten sie die Gesellschaft oder verprellen sie ganz?
Unterstützung für Klimabewegung hat sich halbiert
Vielleicht nicht ganz, aber immer mehr, zeigt eine aktuelle Studie der Initiative More in Common. Im Mai wurden dafür mehr als 2000 Bürger ab 18 Jahren befragt. 34 Prozent gaben in der Umfrage an, die Aktivisten grundsätzlich zu unterstützen. 2021 waren es noch 64 Prozent. Klebeaktionen auf Straßen und Autobahnen, Schmierereien auf Gemälden oder Protestmärsche kommen bei den Befragten schlecht an. Acht Prozent haben Verständnis für die Straßenblockaden.
"Alle Gesellschaftsteile stehen der Klimabewegung heute deutlich kritischer gegenüber als vor zwei Jahren – bei niemandem hat sie hinzugewonnen oder ihren Stand gehalten", fassen die Studieninitiatoren zusammen. 85 Prozent der Befragten finden, dass die Klimaaktivisten mit ihren Aktionen übers Ziel hinausschießen. Zwei Jahre zuvor sagte das nur jeder Zweite.
Zustimmung erhält, wer an Meinungen und Überzeugungen anknüpft. "Nur Aktivismus ist kein Beliebtheitswettbewerb", sagt Aykut, der nicht an der Studie beteiligt war, dem stern. Indem Aktivisten provozieren, stoßen sie auch Debatten an und üben Druck auf Entscheidungsträger aus. "Die Letzte Generation hat beispielsweise das Thema Verkehrswende, das in Deutschland lange vernachlässigt wurde, in die Debatten gebracht." Tempolimit und Bahn statt Auto zählen zu den wunden Punkten in der deutschen Mobilitätsdebatte. Auch, weil viele Deutsche auf ihre Autos angewiesen sind und sich nicht auf die chronische Unpünktlichkeit der Bahn verlassen wollen.
Wer den Deutschen das Autofahren aber erschweren möchte, erntet schnell kritische Blicke – auch das zeigt die Studie. Der Aussage "Die Klima- und Umweltbewegung hat das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick" stimmten nur noch 25 Prozent zu. Bei der letzten Befragung war es noch über die Hälfte der Teilnehmer.
Können die Klimaaktivisten die Sympathien zurückgewinnen?
Die Klimaaktivisten werden als zunehmend unnahbar wahrgenommen. Weniger als ein Drittel der Befragten hat das Gefühl, dass die Klima- und Umweltbewegung "offen dafür ist, dass Leute wie ich bei ihr mitmachen". 2021 glaubten noch 63 Prozent daran. Statt einladend, wirke die Bewegung abschreckend, heißt es in der Studie. Klimasoziologe Aykut hält das für problematisch. "Um eine gewisse Polarisierung kommen wir nicht herum, aber um gesellschaftliche Kämpfe zu gewinnen, muss man auch außerhalb seiner eigenen Bubble, oder seines eigenen Kreises von Unterstützer*innen, überzeugen können."
Gleichzeitig nimmt Aykut die Klimaaktivisten in Schutz: Die Bedingungen für den Aktivismus hätten sich verändert. Verhärtete Fronten in der Klimapolitik zeigten, dass gesellschaftliche Veränderungen abgelehnt werden. Und je mehr ein Thema diskutiert wird, desto größer die Uneinigkeit. Solange es darum geht, Probleme zu beschreiben, seien sich Menschen schnell einig. "Sobald es aber konkret um Lösungen, und damit um Verteilungsfragen geht, ist es vorbei mit der Einigkeit", erklärt Aykut.

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Das belegen weitere Umfragen zur Zustimmung zu Klimaprotesten in der Bevölkerung. Die Mehrheit findet das Thema Klimaschutz wichtig, distanziert sich aber von Straßenblockaden oder Angriffen auf Kunstwerke, zeigt eine Untersuchung von Forschern des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Die Klimadebatte ist damit aber nicht vom Tisch. Es finde "ein Denk- und Lernprozess statt, mit offenem Ausgang", sagt Aykut. Klimathemen würden stärker mit der Frage nach Gerechtigkeit in Verbindung gebracht. "Das ist ein vielversprechender Ansatz, der weiter verfolgt werden sollte", sagt der Soziologe.