Klimaaktivismus Extinction Rebellion ändert seine Protestform. Ist das schon Kapitulation oder noch Taktik?

Klimaprotest Extinction Rebellion
"Non Violent" – nicht gewaltsam – steht auf einer Weste einer Klimaaktivistin der Gruppe Extinction Rebellion
© Andy Buchanan / AFP
Seit dem letzten Jahr werden die Klimaaktivisten immer radikaler. Oder? Zumindest manche Politiker sind dieser Meinung. Forscher sehen das anders. Dabei geht es vor allem um eine Frage: Welche Protestbewegung ist am Ende am erfolgreichsten?

Wenn die Klimaaktivsten als Partei im deutschen Bundestag säßen, dann hätten sie zuletzt massiv an Stimmen eingebüßt. Der Grund für eine mögliche Wahlschlappe wäre ganz klar der unglückliche Vorfall in Berlin, bei dem Aktivisten der Letzten Generation den Rettungsweg für einen Krankenwagen blockierten. Ob die verunglückte Radfahrerin ohne die Klimaaktivisten gerettet worden wäre, wird man vermutlich nie erfahren. Der Vorwurf, die Straßenblockade der Protestler habe den Tod der Frau begünstigt, weil die Rettung erschwert wurde, steht zumindest im Raum. Auch wenn für den unglücklichen Zufall um die Festklebeaktion kaum ein Aktivist etwas konnte.

Und so sahen die Umfragewerte für die Letzte Generation im November alles andere als rosig aus, wie eine Umfrage des ZDF zeigt. Von den 1300 Befragten waren demnach 83 Prozent der Meinung, dass die Klimaproteste zu weit gehen. Nur 14 Prozent widersprachen dem. Mit ihren Suppenschmierereien auf Gemälden und Störungen im Straßenverkehr schreckten die Aktivisten zuletzt eher ab, als dass sie die Gesellschaft für ihre Ziele mobilisierten.

Das hat jetzt auch der britische Zweig der Bewegung Extinction Rebellion erkannt, glaubt zumindest Ortwin Renn. "Ich glaube, die Protestbewegungen haben insgesamt gelernt, dass es nicht nur darauf ankommt, öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen", sagt der Soziologe und wissenschaftliche Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung dem stern. Jede Aktion müsse sinnvoll sein, was man von beschmierten Gemälden nicht gerade behaupten kann. Zwar pocht Extinction Rebellion weiter darauf, dass die Verschmutzung von Kunstwerken und Festkleben nötig seien. Wirksam, um Menschen für die Proteste zu mobilisieren, sind sie aber nicht – schon gar nicht für jene, die ohnehin kaum von Klimaschutzmaßnahmen überzeugt sind.

Die Bewegung gab bekannt, sich von der Festkleberitis zu lösen. Solchen Aktionen sollen künftig nicht mehr Teil ihres aktivistischen Repertoires sein. "Wir hören auf", verkündeten die Protestler. Daniel Saldivia Gonzatti vom Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin sieht zwei Gründe für den Schwenk: In Großbritannien sei die Konkurrenz zwischen den Klimabewegungen relativ groß. Da auch andere Gruppen das Festkleben für sich entdeckt hätten, müsse sich Extinction Rebellion eine "neue Nische" suchen. "Das Branding und die Symbolik spielen dort eine große Rolle." Zudem geht es um den Kampf ums Territorium. Aktivisten der Letzten Generation hatten bisher immer städtische Straßen und Kreuzungen für sich beansprucht, während Extinction Rebellion auch mit dem Protest in bedrohten Wäldern beschäftigt war.

Eine andere Erklärung liefert Simon Teune. Der Mitbegründer des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung sieht in der Entscheidung der Aktivisten eine gewisse Frustration über die weiterhin fehlende ambitionierte Klimapolitik. "Eine andere Aktionsform auszuprobieren ist eher eine taktische Anpassung als eine grundsätzlich veränderte Haltung zum politischen und ökonomischen System", sagt er gegenüber dem stern. Zudem hätten einige Aktivisten große Risiken auf sich genommen, andere seien starker Repression ausgesetzt gewesen.

Radikalisierung – eine Frage der Wahrnehmung?

Eine Deradikalisierung ist der Schwenk aus Sicht der Soziologen und Aktivismus-Experten aber nicht. Und zwar deshalb, weil es nie eine Radikalisierung gegeben hat, wie Wissenschaftler etwa auf der Fach-Plattform Science Media Center schreiben. Personen gezielt anzugreifen, zählt jedenfalls nicht zu den Mitteln der Protestler und Aktivisten. Klimaproteste in Form von Blockaden durch Festkleben oder Besetzungen die Beschmutzung von Sachgegenständen wie Gemälden oder politischen Einrichtungen dagegen schon, sagt Saldivia Gonzatti.

Was sich seit 2018, dem Jahr der Klimaproteste, verändert hat, ist auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Radikalität. Wurde zunächst noch das Schule-Schwänzen der Fridays for Future-Bewegung heftig debattiert, so drehen sich die Diskussionen seit einigen Monaten um andere Probleme. So sei die Intensität, in der die Bürger zuletzt durch die Proteste betroffen seien, massiv gestiegen, sagt Saldivia Gonzatti. Fielen die Aktivisten in den letzten Jahren entweder durch punktuelle Demonstrationen oder Besetzungen in Wäldern wie dem Hambacher Forst auf, wo sie kaum jemanden störten, so behelligen sie nun vor allem Berufspendler auf Autobahnen und in Innenstädten. "Das nehmen die meisten als Radikalisierung wahr", erklärt Saldivia Gonzatti.

Doch ganz gleich ob Fridays for Future, die Letzte Generation oder Extinction Rebellion: Sie alle bleiben ihrem Prinzip des gewaltfreien zivilen Ungehorsams treu. Wissenschaftler sehen in den Entwicklungen aus dem vergangenen Jahr höchstens eine "Ausdifferenzierung der Protestformen", um unterschiedlich auf die Klimaproblematik aufmerksam zu machen.

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Was die Protestbewegungen eint, ist der Wunsch, das Klima zu retten, indem sich die Staaten verbindlich an die Pariser Klimaziele halten. Was sie trennt ist der Weg zum Ziel. Die zu Beginn überwiegend als Jungendgruppe organisierte Fridays for Future-Bewegung setzt "stark auf eine rationale und wissenschaftliche Begründung von Aktionen", sagt Renn. Das schränkt die wahrgenommene Radikalität der Gruppe ein. Extinction Rebellion und die Letzte Generation setzen dagegen eher auf Blockaden. Die bisherigen Protestformen bezeichnen die Wissenschaftler sowohl historisch gesehen als auch im internationalen Vergleich als "moderat". Von Ökoterrorismus oder einer "grünen RAF" zu sprechen seien "völlig überzogene Diskreditierungsversuche", um legitimen Protest zu kriminalisieren, sind sich die Wissenschaftler des Science Media Center einig.

Extinction Rebellen, Letzte Generation oder FFF: Wer bringt den entscheidenden Wandel?

Über allem steht aber die Frage, welche Bewegung es am Ende schafft, sowohl die Bevölkerung als auch die Politik von ihren Zielen zu überzeugen. Einigkeit herrscht bisher lediglich darüber, dass Fridays for Future die meisten Menschen mobilisiere und sowohl politisch als auch gesellschaftlich als Massenbewegung die Mehrheit der Sympathien für sich abgreifen konnte. Das liegt mit daran, dass sich die Bewegung immer klar von politischen Parteien abgegrenzt habe und sich klar auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt, erklärt Renn. Zudem gibt es bei Fridays for Future eine Symbolfigur, die der Bewegung ein Gesicht gibt – und "die von ihrer Persönlichkeit, ihrem Alter und ihrer Integrität ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und Empathie ausstrahlt. Entsprechende charismatische Persönlichkeiten finden sich bei den anderen beiden Bewegungen nicht."

Was die politischen Erfolge der Klimabewegungen angeht, ist man sich in der Protestforschung dagegen uneinig. War das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die mangelhafte Klimapolitik der Groko wirklich ein Erfolg Greta Thunbergs und ihrer Anhänger? Und bringen die Festklebeaktionen der Letzten Generation deutsche Autofahrer zum Umdenken oder treiben sie die Bürger nur in Wut und Verzweiflung? "Zumindest Letzteres wird man noch sehen", sagt Saldivia Gonzatti. Immerhin die Berichterstattung über die Aktivisten habe sich gemäßigt – von einer eher negativen Haltung zu einer positiveren Einstellung. Und: "Ende November saß sogar eine Aktivistin bei Anne Will und hat mit dem Justizminister und dem bayerischen Innenminister gesprochen."

Noch bewegt sich politisch wenig, dafür setzt der britische Zweig von Extinction Rebellion nun zu einem neuen Coup an und richtet sich an die breite Masse. "Dass XR UK auf eine Massenaktion am Parlament plant, setzt solche direkten Aktionen fort. Gleichzeitig ist die Aktion der Versuch, mit anderen zusammen den Druck auf die politisch Verantwortlichen zu erhöhen", sagt Teune. Ob sich die Zivilbevölkerung nun wirklich, wie dazu aufgerufen, im April versammelt, um das House of Lords in London mehrere Tage zu blockieren? Fraglich. Laut einer You Gov-Umfrage von 2019 sind die Sympathien für die Bewegung, ähnlich wie in Deutschland, auch in Großbritannien bescheiden. So sprachen sich lediglich 36 Prozent der Befragten für Blockaden der öffentlichen Infrastruktur durch die Aktivisten aus. 54 Prozent waren dagegen.

Auch die Letzte Generation will in diesem Jahr den "friedlichen Wiederstand" fortführen. Allerdings plant die Bewegung keinen Schwenk wie die Briten. "Wir gehen in Konzertsäle, Fußballstadien, Museen, Parteizentralen und in alle Bereiche der Gesellschaft", sagt die Sprecherin der Gruppe, Carla Rochel, und meint damit die Aktivisten.

Die breite Masse für ihre Ziele zu mobilisieren, hält die Bewegung offenbar nicht für notwendig. Die Deutschen dürften die Bewegung damit weiterhin als radikal wahrnehmen, auch wenn die Forschung widerspricht. Doch im Vergleich mit Fridays for Future ist sie das wohl. Denn während die Letzte Generation laut Umfragen die Bevölkerung tendenziell eher verprellt, hat die Jungbewegung Fridays for Future das Gegenteil bewirkt: Nämlich dass auch Bürger älterer Generationen unter den Namen Parents for Future oder Omas for Future für das Klima auf die Straße gehen.