"Schies' den Bullen in die Hoden", prankt in schwarz-roten Lettern an einer Hauswand. Nach den Klimaprotesten sind Graffitis dieser Art das Letzte, was von dem Klimaprotest in Lützerath übriggeblieben ist. Einem Protest, der sich eigentlich dem zivilen Ungehorsam verschrieben hatte und dann doch gewaltsam eskalierte. Eigentlich wollten Tausende Aktivisten das unbewohnte Dorf an der Abbruchkante von Garzweiler retten – mit Sitzblockaden, vielleicht dem ein oder anderen widerspenstigen Abgang.

Doch so friedlich wurde es dann doch nicht. Die Aktivisten begehrten auf. Zu Recht oder Unrecht hängt von der jeweiligen Position in der Klimadebatte ab. Dass Pyrotechnik und Steine im Namen des Klimas gegen die Beamten flogen, passt jedenfalls nicht zu den friedvollen Schnappschüssen, in denen sich Thunberg und Neubauer einfangen ließen. Dass die Bilder über die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Polizeibeamten und Aktivisten hinwegtäuschen können, ist unwahrscheinlich. Dafür haben auch die Protestler mit ihren teils aggressiven Hinterlassenschaften an Wändern und Mauern selbst gesorgt.
"You may jail the Revolutionary, but you won't jail the Revolution" ("Ihr werdet vielleicht die Revolutionäre einsperren, aber nicht die Revolution"), liest sich eine siegesgewisse, wenn auch vergleichsweise harmlose Botschaft an einer Wand in einem leeren Haus.
Ein ganze anderes Licht auf die Klimaproteste werfen dagegen Hinterlassenschaften wie diese: "Zwischen Bullenhelm und Nasenbein passt immer noch ein Pflasterstein", "Deutsches Blut auf Deutschem Boden" oder "Bekämpft die weiße Rasse-Klimacamps". Die Parolen wirken alles andere als friedliebend, der Zusammenhang zum Klimaschutz bleibt unklar.

Der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle befürchtet ein Wegdriften des berechtigten Klimaschutzes ins "gesellschaftliche Abseits". In den umliegenden Dörfern von Lützerath fürchten sich die Bewohner vor den offenbar gewaltbereiten Demonstranten. Und in der südlich gelegenen Lausitz ist das, was in Lützerath geschah, nicht zu verstehen. Dort setzen sich Aktivisten und Kohelarbeiter gemeinsam an einen Tisch und überlegen, wie es nach 2030 weitergehen kann. Ohne Zwist, Gewalt und Einschüchterung.
Politiker alarmiert über linksextremen Einfluss
Die Ausschreitungen in Lützerath geben dem SPD-geführten Bundesinnenministerium zu denken. Mehrfach hatte Nancy Faser vor einer linksgerichteten Radikalisierung gewarnt. Schuld seien aber nicht die Klima-Aktivisten. Der Druck käme von außen, aus der linksextremistischen Szene, die versuche, "Einfluss auf Klimaschutzgruppen zu nehmen, sie für ihre Ziele empfänglich zu machen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren und den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren", sagte eine Ministeriumssprecherin zuletzt dem "Handelsblatt". Sie würden die Bewegung "für ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen" nutzen.
Armin Pfahl-Traughber von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung gibt seit 2008 das Jahrbuch "Extremismus- und Terrorismusforschung" heraus. Er sieht, dass vor allem orthodox-kommunistische Kleinparteien die Klimabewegung politisch beeinflussen wollen, damit aber kaum erfolgreich sind. Dazu gehören etwa die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" oder die "Deutsche Kommunistische Partei" "Interventionistische Linke" (IL).
In einem "Zwischenstandspapier" schreibt die "Interventionistische Linke (IL), ein loser Zusammenschluss von Linken, dass sie immer "neue Allianzen sucht, die Brüche vertieft". Die Partner sollen aber nur den politischen Interessen der Partei dienen. Sie bilden also das Werkzeug, um den gesellschaftlichen Einfluss der IL zu erweitern. Zudem scheibt die Vereinigung explizit, dass sie mit Aktionen radikalisieren will.
In dem Dokument spielt das Klima nur eine Nebenrolle. Eigentlich geht es um einen Systemwandel, schreibt Pfahl-Traughber. Parolen wie "System Change, not Climate Change" sprechen dafür. Wer dahinter steht, sieht den Kapitalismus als Feind, den es abzuschaffen gilt. So könne der Verfassungsstaat überwunden und als Nebeneffekt das Klima gerettet werden. "Erst diese besondere Deutung in Kombination mit einer politischen Konsequenz führt zu einer extremistischen Zielsetzung", schreibt der Forscher.
Der Kampf geht weiter: etliche Protestaktionen nach Räumung von Lützerath – Thunberg von Polizei weggetragen

Bestes Beispiel sei die Gruppe Ende Gelände, die von der IL gegründet wurde. Um den eigenen Einfluss auf Protestbewegungen voranzutreiben, gründeten Extremisten sogenannten Vorfeldorganisationen, die auf ein Thema spezialisiert sind. Die "Welt" berichtete derweil von internen Chats der Gruppe Letzte Generation, in der die Aktivisten zum Linksextremismus aufgerufen werden. "Wir versuchen das Spektrum des Aktivismus zu erweitern! Nicht Linksextrem werden! (also in der Außenwirkung – intern gerne;))", heißt es darin etwa.
Verfassungsschutz unbesorgt
Trotzdem blicken Verfassungsschützer gelassen auf die Öko-Revoluzzer. Denn die demokratische Grundordnung Deutschlands stehe nicht auf dem Spiel. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, streitet eine linksextremistische Unterwanderung der Bewegung zwar nicht ab. "Anhaltspunkte für eine Gefährdung" sieht er derzeit aber nicht.

Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck rief die Klima-Aktivisten indes dazu auf, sich zu mäßigen. "Es ist nicht akzeptabel, wie Polizistinnen und Polizisten pauschal verunglimpft werden und wie ein Teil der Aktivisten nach einer 'Welt ohne Polizei' ruft", sagte er der "taz". Die Klimabewegung solle sich von gewalttätigen Protesten "glasklar" distanzieren.
Für Luisa Neubauer ist Fridays for Future eine "durchweg demokratische Bewegung". Die Klimaschutzaktivistin warf den deutschen Innenministern dagegen vor, die Bewegung "zu kriminalisieren". Rückendeckung erfährt sie von Linken-Chefin Janine Wissler. Die sorgt sich nicht um eine "vermeintliche Radikalisierung der Klimaschutzbewegung", sondern um "die zunehmende Radikalisierung des Klimawandels".

Extremismusforscher Pfahl-Taughber glaubt auch, dass sich der Einfluss der Linksextremisten auf die Klimabewegung in Grenzen hält. "Bei den Extremisten handelt es sich in der Gesamtschau um Minderheiten, die durch ihre Aktivitäten und Auffassungen allerdings ein negatives Bild der Protestbewegung in der Öffentlichkeit vermitteln." Gleichzeitig mahnt er aber ein größeres Problembewusstsein in der Bewegung an. Die Forderungen nach einer konsequenteren Klimapolitik dürfe nicht über allem stehen. "Dies erleichtert den Einflussgewinn von Extremisten, die auf einschlägige Kritik gern mit Spaltungsvorwürfen antworten."
Forderungen nach zivilem Ungehorsam und "System Change" können sich schnell gegen die Demokratie und den Rechtsstaat richten. Das Bewusstsein dafür sei in der Klimabewegung "unterentwickelt", kritisiert der Wissenschaftler. Das könnte den Protesten schaden.
Und tut es bereits. Laut einer NDR-Umfrage unter 12.800 Personen lehnt die Mehrheit die Protestaktionen der Letzten Generation ab. In einer Civey-Umfrage für die "Augsburger Allgemeine" bezeichneten 81 Prozent der Befragten das Vorgehen der Letzten Generation als falsch.
Strafzahlungen für zivilen Ungehorsam
Von Lützerath wird für viele, neben einem braunen Loch, wohl das bleiben, was auch vom Hambacher Forst und dem G20-Protest blieb: Bilder von Krawall und Gewalt und radikalen Forderungen nach einem Systemwechsel. Den Klimaaktivsten bleibt derweil ein Haufen Ärger mit dem Konzern RWE. Denn der fordert nun Schadensersatz. Wie hoch die Forderungen ausfallen könnten, ist nach RWE-Angaben allerdings noch nicht zu beziffern. Es liege noch keine endgültige Schadensbilanz zu der Räumung vor. Auf zivilrechtliche Schritte müssen sich die Demonstranten aber gefasst machen.
Das wäre zumindest nichts Neues. Für Klebeaktionen und Blockaden müssen sich bereits zahlreiche Aktivisten vor verschiedenen Gerichten verantworten. Allein in der Bundeshauptstadt wurden um die 1000 Strafanzeigen gegen Mitglieder der Gruppe Letzte Generation gestellt. Bundesweit sollen es über 2500 sein.
Quellen: "Zeit", "FAZ", "Der Spiegel", NDR, Bundeszentrale für politische Bildung, mit Material von DPA und AFP