Auf die Frage, wie gut Deutschland und die EU auf den Klimawandel und seine Folgen vorbereitet sind, hat Google überraschend schnell eine Antwort. Relativ weit oben taucht ein Strategiepapier der EU-Kommission auf. Überraschend ist das deshalb, weil einen bei der brodelnden Klimadebatte das Gefühl beschleicht, es gehe noch immer darum, den Klimawandel zu stoppen. "Weil der Klimawandel längst begonnen hat, müssen wir die Welt resilienter machen", beginnt das knapp 30-seitiges Papier der Europäischen Kommission. Das neun Jahre alte Dokument wurde zwar 2021 aktualisiert. Statt konkreter Strategien für eine Anpassung an den Klimawandel – wie es der Titel eigentlich verspricht – beinhaltet es aber lediglich einen Appell an die EU-Staaten. Sie sollen sich mehr mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen, so lässt sich das Dokument im Kern zusammenfassen.
Wie das genau gehen soll, hat die Kommission in bürokratischer Manier für die Staatschefs aufgeschrieben. Information, politisches Handeln und Zusammenarbeit, lautet das Motto. Sehr viel konkreter wird es danach aber nicht. Zum Informieren haben die EU-Kommission und die Europäische Umweltagentur eine Plattform bereitgestellt. Über Climate-ADAPT sollen Staats- und Regierungschefs herausfinden, wie stark ihr jeweiliges Land von Klimafolgen betroffen ist. Politiker, Berater und Interessierte können sich dort durch eine eher diffus gestaltete Informationsseite klicken. Bei dem Wust an wenig aussagekräftigem Material, zahlreichen Links und mittlerweile vielfach veralteten Studien, eine Herkulesaufgabe.
Selbiges gilt für die Entwicklung von Anpassungsstrategien. Über die sollen sich die politischen Entscheidungsträger nämlich auf Basis der Plattform selbst den Kopf zerbrechen. Ob Climate-ADAPT noch heute von großem Nutzen ist, sei dahingestellt. Die dort zusammengetragenen Dokumente und Links stammen überwiegend aus dem Zeitraum der späten Nuller- bis frühen 10er Jahre. Zudem liest sich die Seite durch die vielen Verweise auf EU-Beschlüsse und Projekte stellenweise eher wie eine reine PR-Kampagne der Union. Inhaltliches im Sinne möglicher Lösungsstrategien fehlt.
Anpassung an Klimawandel schon lange Thema
Über den Umgang mit Dürren, Überschwemmungen, Starkregen und Co. verliert die Kommission auch in ihrem Strategiepapier kein Wort. Sie beschränkt sich stattdessen darauf, an die Staatengemeinschaft zu appellieren, sich bei der Klimaanpassung zusammenzuschließen und entsprechende Strategien zu entwickeln. In der Summe versucht sich die EU also daran, das Klimawissen unter den Staatschefs zu erweitern, dafür entsprechende Plattformen sowie Finanzierungshilfen bereitzustellen und die Zusammenarbeit aller Staaten zu fördern. Die konkrete Ausgestaltung bei der Klimaanpassung obliegt letztendlich aber den jeweiligen Ländern.
Den Anstoß für die Strategiepapiere gegeben zu haben, kann sich die EU allerdings nicht rühmen. Die französische Regierung hat ein entsprechendes Papier bereits 2006 abgesegnet, Spaniens Politiker setzten sich seit den 90er Jahren mit der Anpassung auseinander, Belgien verabschiedete 2008 schon das zweite Anpassungspapier und auch in Deutschland existiert seit 14 Jahren ein entsprechendes Dokument, das seitdem zweimal aktualisiert wurde.
Die dritte Fassung aus dem Jahr 2019 enthält ein Bekenntnis: Nämlich, dass die Risikoeinschätzung aus 2015 keine nennenswerten Veränderungen erbringt, innerhalb Deutschlands aber zu wenig gegen die Gefahrenlage unternommen wurde. Mit Blick auf die jüngsten Waldbrände im Grunewald und die heftigen Überschwemmungen im Ahrtal kommt diese Erkenntnis zwar wenig überraschend, dafür umso bestürzender daher. Gerade einmal drei Viertel von insgesamt 147 Maßnahmen seien bisher umgesetzt worden oder befänden sich aktuell in der Umsetzung, bilanzieren die Autoren des Berichts. Das Fazit: Eine "aktivere Beteiligung ist notwendig", um die Maßnahmen durchzuführen. Dass die Anpassungsstrategie so spärlich umgesetzt wird, liegt allerdings an der unterschiedlichen Betroffenheit der Ressorts und Regionen, heißt es in dem Papier. Je gefährdeter oder bedrohter eine Region, desto höher das Interesse an den Maßnahmen.
NRW als Vorbild für Deutschland?
Bestes Beispiel: Nordrhein-Westfalen. Das Bundesland will es nicht bei Strategiepapieren belassen, sondern hat die Anpassung an den Klimawandel am 1. Juli 2021 gesetzlich verankert – zwei Wochen vor der verheerenden Flut. Die 19-Punkte-Offensive sieht konkrete Projekte und Maßnahmen vor, um das Bundesland klimaresilient zu machen. Klimafolgen müssen demnach künftig in allen Planungen und Entscheidungen berücksichtigt werden. Mit einem Monitoring sollen Klimafolgen absehbar gemacht und von einem "Beirat Klimaanpassung" beobachtet und bewertet werden. So soll eine entsprechende Klimaanpassungsstrategie entstehen.
Allerdings wird diese Aufgabe an die Kommunen delegiert, die wiederum beim Zentrum Klimaanpassung der Bundesregierung Unterstützung suchen können. Interessant an dem Plan: Während es einen gesonderten Punkt für Konzepte im Umgang mit Trockenphasen gibt, wird das Wasser nur im Zusammenhang mit der Entwicklung überbetrieblicher Wasserkonzepte thematisiert. Das dürfte sich wenige Wochen später als fatale Fehleinschätzung erwiesen haben. Informationen darüber, ob das Gesetz um den entsprechenden Punkt erweitert wurde, gibt es allerdings bis heute auch nicht.
Für die gesamte Bundesrepublik fordert das Umweltbundesamt, den Artikel 91a im Grundgesetz um den Aspekt der Klimawandelanpassung zu erweitern. Dieser regelt bisher die Agrarstruktur. Eine Regelung zur Anpassung an den Klimawandel würde sich dort gut einfügen. Insgesamt ähnelt die bisherige Strategie der Bundesregierung dem Papier der EU-Kommission, ist aber an vielen Stellen sehr viel konkreter. Auf der To Do-Liste der Bundesregierung stehen unter anderem folgende Punkte:
- Klimaschäden sollen stärker beobachtet und erfasst werden, ...
- ... damit sogenannte Risikokarten erstellt werden können. Darauf soll zu sehen sein, welche Regionen beispielsweise besonders von Dürren oder Überschwemmungen betroffen sind.
- Den Tier- und Pflanzenschutz hat sich die Bundesregierung ebenfalls auf die Fahnen geschrieben.
- Frühwarnsysteme müssen verbessert werden.
- Die Hitzeaktionspläne der Bundesländer sollen überprüft werden – eine Aufgabe, die theoretisch schnell erledigt sein dürfte, denn etwas Vergleichbares gibt es in der ganzen Bundesrepublik nur vereinzelt.
- Der Verkehr soll an den Klimawandel angepasst werden – sprich, grüner werden.
- Auch beim Bau von Häusern und Wohnungen sollen Klimafolgen beachtet werden. Gebäude sollen unter anderem stärker begrünt werden.
- Modelle sollen aufzeigen, wie sich (bisher unbekannte und / oder exotische) Infektionskrankheiten verbreiten.
Klimaschutz auf dem Papier weiter als in der Praxis
Auf dem Papier definitiv ein Fortschritt im Vergleich zur Arbeit auf EU-Ebene. Zeitpläne, wann die Maßnahmen angegangen und umgesetzt werden sollen, fehlen aber in beiden Fällen. Und auch in Deutschland sind noch einige Aufgaben zu erledigen. Zwar gibt es bereits diverse Informationskanäle der Bundesregierung zum Thema Klimawandel, ob die jedoch so aktiv von den Bürgern genutzt werden, ist fraglich. Nötig wäre eine Informationskampagne, wie sie während der Corona-Pandemie aufgesetzt wurde.
Derweil versucht die deutsche Bundesregierung Projekte zur Kimaanpassung zu fördern. Dafür wurde 2016 der Wettbewerb "Blauer Kompass" ausgerufen, der alle zwei Jahre entsprechende Projekte prämiert. Seit 2018 gibt es zudem das Deutsche Klimavorsorgeportal (Klivo), das einen Überblick über Klimavorsorgedienste gibt.
So überraschend die Recherche zur Klimawandelanpassung begonnen hat, so überraschend endet sie auch. Dafür, dass auf dem Papier schon so viel Vorarbeit geleistet wurde, weist die Praxis noch überraschend viele Lücken auf. Nichtsdestotrotz ist die Grundlage da, um weiterarbeiten zu können. Ganz nach dem Motto der EU-Kommission: "Verhindern, woran wir uns nicht anpassen können, und uns an das anpassen, was wir nicht verhindern können."
Quellen: Umweltbundesamt, Deutsche Bundesregierung, EU-Kommission, Landesregierung Nordrhein-Westfalen