In den neun Monaten der Krieges in der Ukraine hat Moskau nicht nur Beton, Stein sowie Asphalt in Schutt und Asche gelegt. Wenig von der Öffentlichkeit beachtet, dafür aber mindestens genauso betroffen sind ukrainische Wälder, Flüsse, Naturschutzgebiete. Der russische Angriffskrieg habe Unmengen Hektar Wald verbrannt, monierte Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt. Im Schwarzen Meer seien mindestens 50.000 Delfine wegen der Auseinandersetzung verendet. Und im Donbass wurden Millionen Hektar Boden durch schädliche Substanzen verseucht, weil die Kohlegruben geflutet worden seien.
Der Klimagipfel im ägyptischen Scharm el-Scheich bot für Selenskyj die Gelegenheit, dem Thema politisches Gehör zu verschaffen. In einer Videobotschaft an die Gipfelteilnehmer sagte Selenskyj, die Erde könne sich "keinen einzigen Schuss leisten". Und ohne Frieden sei eine wirksame Klimapolitik unmöglich, appellierte er an die Weltgemeinschaft.
Dass dieses Klimaargument die Wende im Ukraine-Krieg bringt und die Rüstungsindustrie revolutioniert, ist mehr als unwahrscheinlich. Unrecht hat Selenskyj aber nicht, denn Kriege sind – egal ob in der Ukraine oder anderswo – alles andere als umweltfreundlich, geschweige denn klimaschonend.
Massive Umweltschäden – nicht nur im Ukraine-Krieg
"Jeder Krieg schädigt die Menschheit auf verschiedenen Ebenen für Jahre und Jahrzehnte, viele Folgen sind auch 30 Jahre nach Kriegsende noch deutlich spürbar", schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Prägendstes Beispiel bis heute: der Vietnamkrieg. Zwischen 1962 und 1971 ließen die Amerikaner mehr als 45 Millionen Liter "Agent Orange" auf die Wälder des Landes niederregnen, um die Bäume zu entlauben und den Feind sichtbar zu machen. Eine Studie von 2019 zeigte, dass sich das Gift mit weiteren sogenannten Herbiziden bis heute in den Böden hält. Die Substanzen führen auch Jahrzehnte nach Ende des Vietnamkrieges zu Gesundheitsschäden bei der Bevölkerung.
In späteren Kriegen, etwa im Irak oder in Syrien, ist es vor allem Öl aus natürlichen Quellen und Raffinierien, das aufgrund von Angriffen Boden und Wasser verseucht.
Rechtlich werden die Verantwortlichen nur unter bestimmten Bedingungen zur Verantwortung gezogen. Zwar werden militärische Umwelteingriffe mit langfristigen oder dauerhaften Konsequenzen völkerrechtlich geächtet. Zudem verbieten das Umweltkriegsübereinkommen der UN und ein Zusatzprotokoll der Genfer Konvention Kriegsformen, die umweltverändernde Technik einsetzen. Aber die meisten Fälle von Umweltzerstörung werden juristisch als Kollateralschäden behandelt. Andere Fälle, wie der Einsatz von "Agent Orange" lassen sich laut Juristen nicht eindeutig einordnen.
Die Ukraine hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 2200 Fälle von Umweltschäden durch den russischen Angriffskrieg dokumentiert, berichtet der "Guardian". Laut der Umweltorganisation WWF haben mehr als sechs Millionen Ukrainer keinen oder nur noch eingeschränkten Zugang zu sauberem Trinkwasser.Zudem sollen 280.000 Hektar Wald zerstört worden sein.Der Naturschutzbund Nabu schreibt, dass allein in den ersten fünf Kriegsmonaten 20 Prozent der ukrainischen Naturschutzgebiete zerstört worden sind. Mittlerweile dürften es weit mehr geworden sein.
Streitkräfte verursachen sechs Prozent der globalen Emissionen
Daneben leidet auch das Klima unter militärischen Konflikten. Die Ukraine beziffert etwa die Emissionen, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges verursacht wurden, auf 33 Millionen Tonnen CO2. Nach Informationen des IW verbraucht etwa ein russischer T-72 Panzer 250 Liter Kraftstoff pro 100 Kilometer "auf befestigten Straßen, im Gelände deutlich mehr". Das sei allerdings "nur ein Bruchteil der Emissionen (...), die durch Kriege verursacht werden".
Klimaforscher aus Großbritannien kamen bereits 2020 in einer Studie zu dem Schluss, das Streitkräfte zu den größten Umweltverschmutzern des Planeten zählen. Die Gruppe "Scientists for Global Responsibility" hat errechnet, dass die Militärs der Welt zusammen mit den Rüstungsindustrien ungefähr sechs Prozent der globalen Emissionen verursachen. Insgesamt kursieren aber kaum belastbare Zahlen zu militärischen Emissionen.
Das liegt daran, dass Staaten nicht dazu verpflichtet sind, den Treibhausgasausstoß ihrer Streitkräfte zu veröffentlichen. Das Militär ist auch von den Klimazielen ausgenommen. Dafür hatte sich die US-Regierung einst bei der Entwicklung des Kyoto-Protokolls eingesetzt.
Rückschlüsse auf den militärischen Einfluss auf Klima und Umwelt werden so erschwert. Weltweit lagen die Militärausgaben 2021 bei 2,1 Billionen US-Dollar. Die höchsten Ausgaben bezeichneten mit Abstand die USA mit einem Budget von 801 Millionen Dollar. Darauf folgte China mit 293 Millionen Dollar. Deutschland rangiert mit 56 Millionen Dollar (knapp 54 Millionen Euro) auf Platz sieben.
Laut einer Trendtabelle des Umweltbundesamtes (Uba), die dem stern vorliegt, lagen die Emissionen des deutschen Militärs 2020 bei 373 Kilotonnen. Diese Zahl umfasst sowohl die Emissionen aus den verbrauchten Brenn- und Kraftstoffen in militärischen Einrichtungen und der militärischen Fahrzeuge und mobilen Maschinen. Eine Sprecherin des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr beziffert die Emissionen auf stern-Anfrage auf 1,45 Millionen Tonnen für das Jahr 2019. Am gesamtdeutschen Treibhausgasausstoß, der mit 805 Millionen Tonnen ausgegeben wird, machen die Emissionen der Bundeswehr nur einen Anteil von knapp 0,2 Prozent aus. Zu Auslandseinsätzen gibt es keine Angaben. Die Sprecherin begründet dies mit der "multinationalen Organisation von Auslandseinsätzen".
Über den Treibstoffverbrauch von Militärfahrzeugen gibt es in Deutschland aus Sicherheitsgründen keine detaillierten Angaben. Vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfahrkontrolle (Bafa) liegen Statistiken vor, die belegen, wie viele Mineralölprodukte an das Militär gehen. Laut einem Dokument, das das Uba dem stern übermittelte, beliefen sich die Gesamtlieferungen allein für den Dezember 2019 auf 5433 Tonnen. Den Großteil davon bildet Ottokraftstoff, gefolgt von Heizöl und Dieselkraftstoff. "Die genannten Absatzstatistiken beinhalten dabei keine im Ausland, im Rahmen von Auslandseinsätzen, getankten Mengen", heißt es dazu in der schriftlichen Antwort des Uba. Zudem lasse sich nicht genau sagen, wie viel der Inlandslieferungen im Ausland verbraucht werden.
So (un)realistisch ist die Energiewende in der Rüstungsindustrie
Zum Treibstoffverbrauch ihrer Fahrzeuge oder Flugobjekte äußern sich die vier angefragten führenden deutschen Rüstungsunternehmen auf Anfrage nicht. Der Treibstoffverbrauch ist streng geheim, weil man daraus Rückschlüsse auf die Reichweite und Endurance eines Fahrzeuges ziehen kann", heißt es etwa von thyssenkrupp Marine Systems auf stern-Anfrage.
Airbus beispielsweise arbeitet nach eigenen Angaben "mit Hochdruck daran", die Produktion klimafreundlicher zu gestalten. Ab 2024 sollen alle Werke in Europa zu 100 Prozent mit erneuerbarem und kohlenstoffarmem Strom versorgt werden. Unabhängig vom Krieg in der Ukraine arbeite das Unternehmen daran, die Militärflugzeuge umweltfreundlicher zu machen. Im Juli und Oktober dieses Jahres hat Airbus nachhaltige Treibstoffe bei zwei Transportflugzeugen getestet. Zudem wird das unbemannte Flugsystem Zephyr ausschließlich mit Solarenergie betrieben. Ein Erstflug habe 26 Tage gedauert – "der längste Flug, der je ohne Betankung durchgeführt wurde", teilt Airbus dem stern mit.
Auch das Unternehmen thyssenkrupp Marine Systems rechnet damit, dass sich die Rüstungsindustrie künftig klimaschonender aufstellt. Sowohl bei der Herstellung der Produkte, als auch die Produkte selbst. Die U-Boote des Konzerns würden zum Teil bereits mit Brennstoffzellen betrieben. Dass Diesel-Gefährte derzeit aber noch beliebter seien, liege daran, dass der Kraftstoff weltweit verfügbar ist. Zudem könnten mit erneuerbaren Energien betriebene Militärfahr- und -flugzeuge bisher nicht so viel leisten, wie jene, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.
Ukrainische Politiker plädieren für Ausbau erneuerbarer Energien
Die stellvertretende ukrainische Umweltministerin sprach beim Klimagipfel in Ägypten von einem "Ökozit" in ihrem Land. Der Wiederaufbau der zerstörten Städte, Ortschaften und der Industrie werde nochmals 50 Millionen Tonnen CO2 produzieren. "Russland muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden, nicht nur gegenüber der Ukraine, sondern gegenüber der gesamten Welt", sagte der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets auf der UN-Klimakonferenz.
"Wir müssen diejenigen stoppen, die durch ihren illegalen Krieg die Fähigkeit der Welt zerstören, vereint für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten", sagte auch der ukrainische Präsident Selenskyj. Er forderte angesichts der Zerstörung ukrainischer Wälder seit dem Einmarsch Russland eine weltweite Plattform, die "Auswirkungen militärischer Aktionen auf das Klima und die Umwelt" evaluieren solle.
Der ukrainische Umweltminister kündigte unterdessen den Aufbau einer Datenplattform an, um Umweltschäden systematisch zu erheben. Er hofft, dass so internationale Umwelt- und Klimaschäden durch den russischen Überfall zusammengeführt werden könnten. Allerdings werde es sehr schwierig sein, für jeden Umweltschaden eine Schadenersatzklage gegen Russland zu erheben, befürchtet er.
Quellen: Institut der Deutschen Wirtschaft, "Welt", "The Guardian", "Spektrum der Wissenschaft", Nabu, mit Material von DPA und AFP