Temperaturrekorde Was man von einer der heißesten Städte Europas lernen kann

In Wien erfrischen sich Menschen auf dem Karlsplatz
Am bisher heißesten Tag des Jahres erfrischen sich Menschen unter einem Sprühnebel-Schlauch
© Georg Hochmuth / APA / DPA
Es sind nicht nur Madrid oder Lissabon, die derzeit besonders unter der Hitze leiden. Kürzlich knackte eine Stadt im Zentrum Europas mit knapp 40 Grad ihren bisherigen Temperaturrekord. Weitere könnten folgen – aber darauf ist man vorbereitet.

Wien ist vor allem für seine Sachertorte und das Schloss Schönbrunn, den Wiener Schmäh und seine Kaffeehauskultur bekannt. In diesem Jahr wird die Liste um einen rein praktischen Punkt erweitert: 170 Nebelduschen, die auf öffentlichen Plätzen und in Fußgängerzonen für erquickende Frische sorgen sollen. Wie so viele Städte Europas wird auch die österreichische Hauptstadt gerade von einer Hitzewelle heimgesucht. Die Nebelduschen sollen die Temperaturen zumindest kurzfristig etwas drücken und Passanten den Weg durch die Fußgängerzonen erleichtern.

Das hat die Stadt dringend nötig, denn auch hier präsentiert sich der Klimawandel gerade in seinen höchsten Temperaturen. Je nach Szenario könnte die durchschnittliche Jahrestemperatur bis 2050 zwischen 1,2 und 1,5 Grad steigen. Forscher der ETH Zürich gehen sogar von Werten um die sieben Grad aus – ein europäischer Spitzenwert. Fest steht bisher, dass zumindest die Zahl der Sommertage seit Mitte der 90er Jahre drastisch gestiegen ist. 83 wurden im vergangenen Jahr gezählt, davon wurde an etwas mehr als einem Viertel die 30-Grad-Marke geknackt. Wetterexperten sprechen dann von Hitzetagen.

"Aufgrund des Klimawandels ist zu erwarten, dass sich das klimatologische Profil von Städten weiter verändern wird. Wien wird im Jahr 2050 Bedingungen haben, wie wir sie heute in weit südlicheren Städten vorfinden. Da warten in der Zukunft also noch große Herausforderungen auf uns", prognostiziert Roman Hoffmann vom Österreichischen Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Wien zählt zu den Hitze-Spitzenreitern

Ein internationales Forscherteam hat bereits 2019 in einer Studie ermittelt, welche europäischen Hauptstädte am stärksten von Hitzewellen betroffen sein werden. Wien belegt einen der obersten Plätze in dem Ranking. Den Grund sehen die Wissenschaftler in der Bevölkerungsdichte. Je mehr Menschen auf engem Raum zusammenleben, desto mehr Boden wird für Häuser, Wohnblocks und Straßen mit Asphalt bedeckt – kurz: versiegelt. Im 1,9 Millionen großen Wien leben 4656 Menschen auf einem Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Rom sind es 810 Einwohner pro Quadratkilometer.

Laut der Stadt Wien macht sich der Temperaturanstieg in Form von Wärmeinseln bemerkbar. Eine Hitzekarte zeigt, dass sich die hohen Temperaturen vor allem auf den asphaltierten Innenstadtbereich konzentrieren.

Hitzekarte Wien
Die meisten Hitzeinseln befinden sich im Innenstadtbereich
© Stadt Wien / Ecoten

Zwar rühmt sich Wiens Bürgermeister damit, dass 53 Prozent der Stadt aus Grünflächen bestehen. Allerdings soll die Stadt im kommenden Jahr Zuwachs von ungefähr 60.000 Bürgern bekommen. Im Norden wird dafür Wohnraum geschaffen. Damit müssen weitere Flächen versiegelt werden – mit möglicherweise negativen Folgen für die Gesundheit der Bewohner.

 Im Hitzesommer 2018 zählte die Agentur für Gesundheits- und Ernährungssicherheit (AGES) 550 Todesfälle wegen hoher Temperaturen, im Jahr zuvor waren es 375. Seitdem ist die Zahl zwar gesunken, dennoch hat die ÖAW ausgerechnet, dass ein Drittel aller Hitzetoten in ganz Österreich aus Wien stammen.

Wie Wien das Hitzeproblem in den Griff bekommen möchte

Um künftig Schlimmeres zu vermeiden, setzt die Stadt nicht nur auf Nebelduschen. Zusätzlich wurden 1300 Trinkbrunnen errichtet. "Brunnhilde", wie die Quellen genannt werden, ist Teil eines Hitzeaktionsplans, den Wiens Bürgermeister erst im Frühjahr präsentierte. Mit entsprechenden Maßnahmen soll einer Überhitzung der Stadt vorgebeugt werden und sie auf den "Extremfall" vorbereiten.

Bis 2025 sollen etwa 25.000 neue Straßenbäume gepflanzt werden. Mithilfe von Informationskampagnen für Bürger, Angestellte der Stadt, medizinisches Personal und Bildungseinrichtungen sollen die Menschen für den Klimawandel sensibilisiert werden und lernen, wie sie sich bei hohen Temperaturen verhalten sollen. Klimatisierte Fahrzeuge sollen den Transport, Cool-Spots und schattige Outdoor-Parkarbeitsplätze das Arbeiten und Wohnen bei hohen Temperaturen erleichtern.

In dem Strategiepapier hat die Stadt die Maßnahmen auch auf besonders betroffene Gruppen wie ältere Menschen, Bürger in sozial schwachen Stadtteilen und Kinder ausgerichtet.

Auch die Entsiegelung der Stadt liest sich zunächst einmal löblich. Wie ernstgemeint die Pläne allerdings sind, sind fraglich. Zuletzt hatte Wiens Bürgermeister den Bau einer Schnellstraße durchgeboxt und dafür eine Protestaktion von Klimaaktivisten auflösen lassen.

Für die meisten Maßnahmen muss ohnehin vorerst noch überprüft werden, ob sie umgesetzt werden können. Hierfür trifft sich ein sogenanntes Lenkungsgremium, das die Maßnahmen regelmäßig bewertet und den Hitzeaktionsplan jedes Jahr entsprechend anpassen soll.

Hitzeresistenz schützt nicht vor sozialer Ungleichheit

Kritik an dem Vorhaben kommt von der Forschungseinrichtung Weatherpark. Sie ist auf Stadtklimatologie spezialisiert und berät die Stadtregierung. "Die Stadt hat viele gute Initiativen gestartet. Aber im Großen und Ganzen passiert vieles zu langsam. Wien tut bei Weitem noch nicht genug", sagt Geschäftsführer Simon Tschannett. Er plädiert für radikalere Anpassungsmaßnahmen, etwa "die versiegelten Flächen zurückgewinnen für Begrünung". Zudem bräuchte es mehr Ausbildung und Motivation beim Personal. "Sonst wird beim nächsten Umbau wieder nur der schwarze Asphalt ausgepackt und von Fassade zu Fassade versiegelt, ohne die Chance zu nützen, dass man großflächig umbaut", sagt er der "Süddeutschen Zeitung".

Ähnlich urteilt das Landschaftsplanungsbüro Tilia und die Mobilitätsdesignfirma Con.sens. Die Pläne seien zwar ambitioniert, aber lange nicht ausreichend. Sie befürchten soziale Ungerechtigkeiten. Wenn Straßen begrünt werden, dann selten in Stadtteilen, in denen einkommensschwache Menschen leben.

Sollten auch sozial schwache Stadtteile von der Begrünung profitieren, könnten allerdings wiederum die Mieten steigen. Wohlhabendere Bürger würden dann ärmere Menschen verdrängen, so die Befürchtung. Um soziale Ungerechtigkeiten die die Anpassung an den Klimawandel zu verhindern, müsste die Stadt ihr finanzielles Budget ausweiten.

Masterplan für die Stadt der Zukunft?

Bleibt es also vorerst bei Nebenduschen und öffentlichen Trinkbrunnen? Auch das ist nicht die Lösung, sagt Wasser-Experte Roman Neunteufel von der Universität für Bodenkultur dem österreichischen Sender ORF. "Der Kühlungseffekt von Wasser ist natürlich unbestritten. (...) Doch der Effekt von Sprühnebelanlagen ist nur sehr kleinräumig. Die ganze Stadt kann man damit nicht abkühlen." Auch der Wasserverbrauch sollte dabei bedacht werden. Um allein den ersten Bezirk mittels Nebelduschen abzukühlen, käme eine Wassermenge zusammen, die gut 25 Haushalte versorgen könnte.

Langfristig sei es effektiver, Bäume zu pflanzen. Die verdunsten pro Tag zwischen 50 und einigen hundert Litern Wasser. Zusätzlich spenden sie auch Schatten.

Spätestens nach diesem Sommer steht also fest: Die Städte müssen sich an den Klimawandel anpassen und entsprechende Strategien entwickeln. Forscher werden nicht müde zu betonen, dass die Hitze in den Städten negative Folgen für die Gesundheit, aber auch für die Produktivität haben kann. Wiens Maßnahmenkatalog könnte durchaus ein Vorbild für andere Städte werden.

Einen Masterplan für DIE klimaneutrale und hitzeresistente Stadt gibt es nach Aussage von ÖAW-Forscher Roman Hoffmann aber nicht. "Direkte Vergleiche zwischen Städten sind schwierig, weil die Bevölkerungen ganz andere geografische, bauliche oder infrastrukturelle Voraussetzungen vorfinden, um mit Hitze umzugehen, und sich auch in ihrer Demographie deutlich unterscheiden können. Aber das Thema der Auswirkungen extremer Temperaturen ist auch für andere Städte von großer Relevanz."

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