Im Tauziehen um die umkämpfte Region Berg-Karabach wagt Aserbaidschan einen Vorstoß im Namen der Umwelt: Das Land wirft Armenien massive Umweltzerstörung in der von ihm besetzten Kaukasus-Region vor. Aserbaidschan will den Kontrahenten nun wegen Verseuchung von Gewässern, Waldrodung und Zerstörung der Artenvielfalt verklagen und beruft sich dabei auf die Bern Konvention von 1979. Auch Armenien hat den völkerrechtlichen Vertrag des Europarates unterzeichnet und sich zusammen mit 49 weiteren Staaten dazu verpflichtet, wildlebende Pflanzen und Tiere sowie deren Lebensräume zu erhalten.
Jetzt verklagt Aserbaidschan die Besatzer, weil sie mutmaßlich gegen die Bern Konvention verstoßen und die 18-monatigen Bemühungen um eine diplomatische Lösung in dem Konflikt "abgeblockt und ignoriert" hätten, sagt der stellvertretende Außenminister Elnur Mammadov. "Anstatt die biologische Vielfalt und die Umwelt während seiner illegalen Besetzung zu bewahren, hat Armenien sie zerstört. Uns blieb daher keine andere Wahl, als Armenien für seine unverantwortlichen Umweltschäden zur Rechenschaft zu ziehen."
Ein internationales Tribunal soll Beweise für die Umweltzerstörung untersuchen. Es ist das erste Mal, dass ein Land ein zwischenstaatliches Schiedsverfahren im Rahmen der Bern Konvention anstrebt. Sollte Aserbaidschan Recht bekommen, könnte die Gerichtsentscheidung einen Präzendenzfall dafür schaffen, dass Umweltzerstörung und dem Schutz der biologischen Vielfalt in Kriegen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Armenien muss indes mit Reparaturzahlungen rechnen. Das Land schweigt bislang zu den Vorwürfen.
Aserbaidschan wirft Armenien Zerstörung der Artenvielfalt vor
Nach Informationen des Ministeriums für Ökologie und natürliche Ressourcen in Aserbaidschan sollen mehr als 7000 Hektar geschützter Wälder in Berg-Karabach beschädigt worden sein. Dort leben seltene Arten wie kaukasische Leoparden, Braunbären, Grauwölfe und Steppenadler. In der Kaukasus-Region stehen nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF 50 Tier- und Pflanzenarten auf der "Roten Liste". Sie sind weltweit vom Aussterben bedroht. "Schätzungsweise gibt esnur noch 40 bis 60 Kaukasus-Leoparden (Persischer Leopard), auch die Bestände ihrer Beutetierarten sind dramatisch gering", schreibt der WWF.
Ursprünglich wurden die Reservate und Naturschutzgebiete eingerichtet, um das empfindliche Ökosystem zu schützen. Armenien soll dort 2000 Jahre alte Bäume gefällt haben.
Schuld an dem ökologischen Raubbau sei unter anderem der Bergbau, heißt es aus Aserbaidschan. Dieser und der Bau von Wasserkraftwerken im Kaukasus entspreche meist nicht den internationalen Umweltstandards, heißt es beim WWF. Sie befinden sich meist nicht nur in der Nähe von Naturschutzgebieten, sondern auch mittendrin.
Schwermetalle in Gewässern
Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen monierte bereits ernsthafte Schäden in der umkämpften Region. Laut einem Bericht aus dem vergangenen Jahr seien vor allem Ländereien für den Ackerbau und die Wasserversorgung ernsthaft betroffen. Allerdings bezieht sich der Bericht nicht auf die von Armenien verursachten Schäden, sondern auf die gesamten Kriegsschäden in dem Konflikt um Berg-Karabach. So sterben bis heute Nutz- und Wildtiere durch Landminen. Böden und Gewässer werden durch Schwermetalle und Sprengstoffrückstände verseucht.
2021 hatte Aserbaidschan den Fluss Okhchuchay untersuchen lassen. In dem Gewässer wurden hohe Konzentrationen von Schwermetallen wie Cadmium, Blei, Nickel, Eisen, Molybdän und Zink entdeckt. Den Angaben zufolge sollen mehrere geschützte Fisch- und Amphibienarten bedroht sein. Das Land beschuldigt Armenien den Fluss mit Abwässern zu verunreinigen. Aber auch Umwelt- und Zivilgesellschaftsorganisationen sind um den Zustand des Gewässers besorgt, heißt es im UN-Bericht. Untersuchungen armenischer Wissenschaftler stellten dem Okhchuchay ein ähnlich schlechtes Ergebnis aus, wie in Aserbaidschan.
Umweltschäden im Krieg mehr Beachtung schenken
Das Beispiel zeigt, dass die Umweltzerstörung und ihre Folgen durch Kriege stärker berücksichtigt werden, sagen britische Juristen. Das könnte sich auch noch auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine auswirken. Erst im Dezember hatte sich die UN-Generalversammlung auf 27 Rechtsgrundsätze zum Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten geeinigt.
Aserbaidschan und Armenien haben jetzt drei Monate Zeit, um Schiedsrichter zu ernennen, die die gemeldeten Umweltschäden überprüfen. Gewinnt Aserbaidschan den Prozess, wäre es das erste Mal, dass ein Schiedsgericht Schadensersatz für Umweltzerstörung im Krieg beschließt.
Quellen: "The Guardian", UN-Report Umweltprogramm, APA, WWF, Bundesumweltministerium