Erdbeben im Osten der Türkei Ein Lichtblick inmitten von Leid

  • von Katharina Miklis
Die Zahl der Toten im Erdbebengebiet der Türkei steigt stündlich. Doch es gibt auch Geschichten, die Hoffnung machen. Wie die des kleinen Yunus, der lebend aus den Trümmern geborgen wurde.

Seine Augen sind weit aufgerissen. Auf seinem Gesicht und den ausgetrockneten Lippen klebt Schutt, die Haare sind verstaubt. Yunus liegt eingeklemmt unter den schweren Trümmern eines eingestürzten Hauses. Die Hand eines anderen Erdbebenopfers liegt reglos auf seiner Schulter. Stundenlang war der kleine Junge so unter einer Betonplatte eingeklemmt. Aber Yunus hat es geschafft. Er lebt.

Der 13-jährige Junge gibt einem ganzen Land Anlass zur Hoffnung. In der Nacht zu Montag ist er von Rettungskräften aus den Trümmern eines Gebäudes in Ercis, nahe der ostanatolischen Millionenstadt Van, geborgen worden. Er hat das schwere Erdbeben überlebt, das am Sonntag den Osten der Türkei erschütterte und bisher 272 Menschen das Leben kostete. Wie die türkische Tageszeitung Hürriyet berichtet, befand sich der Junge in einem Internetcafé, als das Beben die anatolische Provinz erschütterte. Stundenlang soll er eingeklemmt in den Trümmern geduldig auf seine Bergung gewartet haben. Ein Rettungsteam hatte ihm ein Kissen unter den Kopf gelegt. "Hab Geduld, hab Geduld", hatten sie ihm zugerufen. Vermutlich hat Yunus nur überlebt, weil der Körper eines toten Mannes ihn bedeckte. Der Mann, dessen leblose Hand auf Yunus' Schulter liegt, als wollte sie ihn schützen, soll nach Medienberichten der Vater des Jungen sein.

Dieses kleine Symbol der Hoffnung ist wichtig für ein Land, in dem Experten angesichts der Stärke des Bebens von 7,2 mit mindestens 1000 Toten rechnen. Mindestens 1300 Menschen seien schwer verletzt, so der aktuelle Stand. Hunderte werden vermisst. 1275 Helfer aus 38 Provinzen seien in die Provinz Van entsandt worden, hieß es von den Behörden. "Wir werden keinen Bürger in der Kälte lassen", versprach der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan am Montagmorgen. Einheiten der Armee sind ebenfalls im Einsatz. Auch die deutsche Hilfsorganisation "humedic" schickte ein medizinisches Ersteinsatzteam in die Osttürkei.

Die 75.000-Einwohner-Stadt Ercis, in der auch der 13-jährige Yunus gefunden wurde, ist neben Van einer der am schwersten betroffenen Orte. Die Stromversorgung ist zusammengebrochen. Die ganze Nacht hindurch suchten Bewohner und Rettungskräfte bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt und teils mit bloßen Händen nach Überlebenden. Heftige Nachbeben erschweren die Suche, doch die verzweifelten Schreie der Verschütteten treiben die Helfer an.

Hilferuf per Handy

Für wie viele Menschen jede Rettung zu spät kommen wird, lässt sich noch nicht sagen. Jedoch gibt es auch Lichtblicke in all dem Leid. Nicht nur Yunus, auch ein weiterer junger Anatolier konnte gerettet werden, nachdem er mit seinem Handy um Hilfe gerufen hatte. Der 19-Jährige konnte nach seinem Hilferuf aus den Trümmern eines sechsstöckigen Hauses in Ercis geborgen werden. Er wurde mit Beinverletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Da es in dem Epizentrum nur eine kleine Klinik gibt, wurden inzwischen zwei provisorische Krankenhäuser aus Zelten errichtet.

Rund 1000 Gebäude sollen in dem gesamten Erdbebengebiet zerstört worden sein. In den Straßen von Ercis sieht man am Montag nach dem schweren Beben Familien, die sich eingehüllt in Decken an Lagerfeuern wärmen. Sie weinen, sie beten, sie geben die Hoffnung noch nicht auf. In den Morgenstunden wurden neben einer 24-jährigen Lehrerin auch mehrere Kleinkinder aus den Trümmern geborgen. Doch mit jeder Stunde schwinden die Überlebenschancen der Verschütteten. Es ist nicht nur ein Wettlauf mit der Zeit. Sondern auch mit dem Wetter. In der kommenden Nacht soll es in der Provinz regnen. Für Mittwoch befürchten die Meteorologen sogar Schnee.