stern-Chefredakteur Moralapostel oder Aufklärer? Gregor Peter Schmitz über das große Titel-Interview mit Jan Böhmermann

stern-Titel
Das Titelbild der aktuellen stern-Ausgabe
© stern
Ist er Deutschlands härtester Aufklärer? Oder straft er nur alle ab, die ihm nicht passen? Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick hinter die Kulissen des stern-Gesprächs mit Jan Böhmermann. Außerdem: Bidens erneute Präsidentschaftskandidatur und die Verleihung des stern-Preises.

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich liebe Clowns. Ich liebe Komikerinnen und Komiker. Und die größte Liebe empfinde ich für jene, die ganz ohne Schenkelklopfen in sich ruhen und doch per Komik Welten einstürzen lassen. Weil ich ein anhimmelnder Fan der komischen Kunst bin, kenne ich allerdings auch das Bonmot "Clowns sind nur komisch, solange sie nicht auf einem Thron sitzen."

Jan Böhmermann beherrscht die Kunst der zurückgenommenen Komik perfekt, überschwängliche Gefühlsregungen sind ihm fremd. Als er vor Kurzem den Komiker Dieter Nuhr und dessen zum Populismus neigende Sendung persiflierte, saß er sogar nur im Publikum, von ihm engagierte Darsteller standen auf der Bühne. Doch zugleich scheint sich Böhmermann in der öffentlichen Wahrnehmung oft auf eine Art Thron gesetzt zu haben. Die Politik zittert vor ihm, er kann mit einer einzigen Sendung Reputationen zerstören, gar Karrieren beenden. Ist er also ein Komiker, der gnadenlos Aufklärung betreibt – oder der nur gnadenlos jene abstraft, die nicht in sein (er leugnet es nicht: linkes) Weltbild passen? Meine Kollegen Hannes Roß und Stephan Maus erlebten im stern-Gespräch einen Entertainer, bei dem die Maske auch am Ende des stundenlangen Gesprächs noch saß. Und doch gelingt, was ich vor dem Gespräch kaum für möglich gehalten hatte: Jan Böhmermann wirkt menschlich.

Bidens erneute Kandidatur

Als vorige Woche das White House Press Corps in Washington zum jährlichen Festakt einlud, gab es auch etwas zu lachen. Ein Komiker scherzte auf der Bühne, in Frankreich gingen Menschen in ihren 50ern auf die Straße, weil sie etwas länger arbeiten müssten – und in den USA bettele ein 80 Jahre alter Mann sein Volk an, bitte noch vier Jahre länger arbeiten zu dürfen. Gemeint war natürlich US-Präsident Joe Biden, der soeben seine erneute Kandidatur erklärt hat. Biden saß im Publikum und kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, er ist halt ein Polit-Profi. Lustig fand ich an dem Austausch gar nichts.

Bidens störrisches Festhalten an "four more years" könnte eine der verheerendsten Personalentscheidungen aller Zeiten sein. Er und seine Strategen machen den Fehler, den viele Kriegsstrategen vor ihnen begangen haben: Sie kämpfen noch immer den letzten Krieg. Der hieß: Biden gegen Trump, und damals präsentierte sich der Demokrat erfolgreich als der Einzige, der den Republikaner stoppen könne. Nun will er das wieder tun, schließlich greift Donald Trump erneut nach der Kandidatur. Doch das könnte trotz etlicher Erfolge gründlich schiefgehen, schließlich ist Biden vier Jahre älter, was man ihm bei jedem Schritt ansieht. Und was, wenn der nächste Wahl-Krieg gar nicht gegen Trump geht, sondern einen dynamischeren Mini-Trump?

Verleihung des stern-Preises

Wir Journalisten sollten uns nicht feiern. Aber wir sollten ganz unbedingt großartigen Journalismus feiern. Vorige Woche durften wir dies wieder tun, bei der Verleihung des stern-Preises in Hamburg. Wir verneigen uns vor den Preisträgerinnen und Preisträgern in den Kategorien Lokales, Reportage, Investigativ, Fotogeschichte und der Geschichte des Jahres – einer ARD-Dokumentation über queere Mitarbeitende in der katholischen Kirche und ihren Kampf um Würde.

Gewinnerinnen und Gewinner des stern-Preises 2023 in Hamburg
Die Gewinnerinnen und Gewinner des stern-Preises 2023 in Hamburg
© Christian Charisius / DPA

Und wir gratulieren den beiden Preisträgern in der Kategorie Republik, Oliver Hollenstein und Oliver Schröm, die sich mit ihren Recherchen zum Milliarden-Steuerskandal Cum-Ex, unter anderem im stern, besonders um das Gemeinwohl verdient gemacht haben. Alle Preisträger finden Sie hier.

Herzlich Ihr,

Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur