Meinung Homeoffice ist die beste Erfindung seit es Kapitalismus gibt

Eine Frau sitzt im Homeoffice vor ihrem Computer
Viele Arbeitnehmer wollen auf Homeoffice nicht mehr verzichten
© Jacob Wackerhausen / Getty Images
Ein Unternehmer ärgert sich über seine Mitarbeiterin, die im Homeoffice zum Friseur will. Homeoffice sei nie eine gute Idee gewesen, sagt er. Und erntet Widerspruch. Zurecht. 

Diesen Kommentar dürfte ich eigentlich nicht schreiben. Ein grippaler Infekt, der mich in der vergangenen Woche niedergestreckt hat, ist noch nicht ganz auskuriert. Aber schon gestern saß ich in einer wichtigen Videokonferenz. Eine Kollegin entschuldigte sich: Wenn sie huste oder sich die Nase putzen müsse, möge man ihr das nachsehen. Auch sie hatte es erwischt. 

Homeoffice macht es möglich, zu arbeiten, obwohl die Nase läuft. Man ist zu gesund fürs Bett, aber noch nicht fit genug fürs Büro, wo man Kollegen und Kolleginnen anstecken könnte. Zwei Tage lang habe ich mich krankgemeldet, dann habe ich wieder angefangen, im Homeoffice zu arbeiten. Hätte mein Arbeitgeber keine großzügige Homeoffice-Regel, hätte ich mich krankschreiben lassen müssen. Hätte fünf Tage gefehlt, statt zwei.

Homeoffice reißt die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben ein

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Homeoffice die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben einreißt  – zugunsten von Arbeitgebern. 

Ein Hamburger Unternehmer sorgt derzeit im Netz für Aufregung. Eine seiner Mitarbeiterinnen, die remote arbeitet, hatte sich im Firmenterminkalender einen Friseurtermin von 9 bis 13 Uhr geblockt. "Wir müssen endlich aufhören, so zu tun, als wäre Homeoffice jemals eine gute Idee gewesen", schreibt der erboste Chef

Zugegeben, vier Stunden für einen Friseurbesuch, also ein halber Arbeitstag, scheint ein bisschen üppig. Aber wo ist das Problem, wenn sie die Zeit am Abend nacharbeitet? Das muss sie auch, sonst wäre es Arbeitszeitbetrug. Schlauer wäre es gewesen, den Chef vorher zu fragen. Private Termine, die in die Arbeitszeit fallen, müssen mit Chef oder Chefin abgesprochen werden. Der Arbeitgeber hat ein Weisungsrecht, was Ort, Zeit und Leistung angeht.

Der Wut-Post des Unternehmers hat im Netz wieder einmal eine Debatte über das Für und Wider von Homeoffice losgetreten. "Ob jemand um 10 Uhr beim Friseur sitzt oder wir als Team spontan in den Dschungel aufbrechen – für uns zählt nur eines: das Ergebnis", entgegnet ein Leipziger Firmenchef dem Kollegen aus Hamburg. Auch der Leitfaden für "mobiles Arbeiten in Betrieben" des Bundesfamilienministeriums trägt den Titel: "Nur das Ergebnis zählt".

Die Pandemie hat die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt

Vor Corona bin ich 15 Jahre lang ins Büro gependelt. Die Pandemie hat die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Das war richtig und überfällig. Seitdem ich von zu Hause arbeite, bin ich nicht nur produktiver, sondern auch effektiver. Die Fahrzeit (90 Minuten pro Tag) fällt weg. Gleiches gilt für das Gequatsche auf dem Flur, so nett es war. In meinem Homeoffice ist es ruhig, ich kann mich besser konzentrieren. Klar fahre ich nach Feierabend den Rechner nochmal hoch. Dafür schaffe ich es zwischendurch zum Sport, was früher unmöglich war. Meinem Rücken geht es seither besser. Ich kenne Leute, die sich einen Hund angeschafft haben und in der Mittagspause nun mit ihm spazieren gehen. Mütter und Väter, die glücklich sind, weil sie ihr Familienleben endlich stressfreier geregelt kriegen. Zwischendurch Einkaufen, Mittagessen kochen, Wäschewaschen, Kinder abholen. Und sich, wenn sie die Kinder ins Bett gebracht haben, noch mal ein paar Stunden an den Rechner setzen. Homeoffice verbessert die Lebensqualität, gerade weil man nicht mehr streng von neun bis 19 Uhr an den Schreibtisch gefesselt wird. 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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All das deckt sich mit offiziellen Studien: Laut Böckler-Stiftung wollen drei Viertel aller Befragten nicht mehr auf das Homeoffice verzichten. Auch die meisten Unternehmer scheinen, anders als der Hamburger Firmenchef, zufrieden mit dem Homeoffice, wie das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim herausgefunden hat. Mehr als jedes dritte Unternehmen gibt an, dass die Produktivität von Beschäftigen im Homeoffice gestiegen sei. 

Das scheint auch logisch. In den meisten Branchen wird sichtbar, was man geleistet hat. Die Zeiten der Blender, die mit Akten unterm Arm und hochwichtigem Gesicht durch die Büroflure geeilt sind und über ihre Arbeitsbelastung gestöhnt haben, sind vorbei. Wer im Homeoffice arbeitet, muss liefern. Dass Arbeitnehmer sich freie Zeit ergaunern, wie der Hamburger Firmenchef glaubt, scheint ein modernes Märchen. Durch Homeoffice sparen die Arbeitnehmer viel Zeit, die sie dem Arbeitgeber schenken, wie die Osteuropabank in London schreibt. In 27 Ländern würden die Beschäftigten durch Homeoffice 72 Minuten Fahrzeit von und zur Arbeit sparen und mehr arbeiten. Darüber hinaus hätten Arbeitnehmer mehr Zeit, für "Sorgearbeit", also sich um kranke Angehörige oder ihre Kinder zu kümmern. Diese Zeit würden sie nicht in Rechnung stellen. Es profitieren also beide: Arbeitgeber und die Beschäftigten. 

Vor allem Frauen profitieren laut der Gewerkschaft verdi vom Homeoffice, weil das Arbeiten von Zuhause durch Corona vom Stigma des Low-Performertums befreit sei. Sie können endlich arbeiten, wann es für ihre Familie passt. 

Klar ist auch: Homeoffice ist nur für einen Teil der Beschäftigten möglich, nämlich für diejenigen, die mit dem Rechner von zu Hause aus arbeiten können. Das Homeoffice birgt Gefahren. Gerade, weil die Grenze zwischen Job und Privatleben fließend ist. Klar ist auch, dass man nicht arbeiten sollte, wenn man krank ist. Eigentlich. Aber nach ein paar Tagen ist man nicht mehr wirklich krank, sondern nur noch ansteckend. Und im Bett wird es langweilig.

Nicht nur die Generation Z wünscht sich Homeoffice

Es ist nicht nur die Generation Z, die sich Homeoffice und eine bessere Work-Life-Balance wünscht. Auch Beschäftigte im Alter von 26 bis 40 wollen weniger arbeiten, wie eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft zeigt. Auch wenn einige Firmen ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zurück ins Office beordern, ist der Trend nicht mehr umkehrbar. Und das ist gut so. Homeoffice ist, wie eine Kollegin mal treffend geschrieben hat: die beste Erfindung seit es Kapitalismus gibt.