Früher war ich entschieden gegen alles, was nach Vorsatz roch – zumal in der Zeit zwischen den Jahren, da alle Leute Vorsätze treffen und ihnen dabei meistens nichts Besseres einfällt als mehr Sport und weniger Alkohol. Nichts verrät die innere Faulheit der Menschheit so gnadenlos als die Banalität unserer Vorsätze.
Der Teufel auf der Schulter und die Vorsätze
Doch mit der Zeit merke ich, dass auch ich Vorsätze habe, nicht so neujahrshafte, sondern eher stille, die mir das ganze Jahr über im Nacken sitzen. Bisschen wie die Schulterteufel, die man aus Filmen kennt, fragen sie mich, was ich noch sehen, hören und erleben will, oder ob es das war. Sie fragen auch, ob es nicht Dinge geben könnte, die ich viel lieber täte als die fünf Sachen, die ich jetzt schon passabel kann. Mein wichtigster Vorsatz ist: etwas zu lernen, etwas Neues zu machen, nicht in der Wiederholung zu leben. Man könnte auch sagen: Ich habe Angst davor, dass ich fertig bin. So ein fertig gebackener Mensch, der nur noch hart werden kann, weil er nicht mehr fluide ist. Deswegen macht heute auch jeder Zweite Yoga; vermutlich haben wir alle Angst vor dieser Verhärtung, ich weiß es nicht.

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.
Neues auszuprobieren ist ab einem gewissen Alter nicht einfach in einem Land, in dem man Menschen so liebevoll wie zwanghaft in Schubladen stecken will. Wenn jemand mehrere Dinge gleichzeitig macht, könne er nichts so richtig, heißt es oft. Als gäbe es ein Bedürfnis, Menschen in ihrer Entfaltung einzuschränken – nur damit diese den anderen Gelangweilten nicht zu viel werden.
Einfach mal probieren
Als ich im Studium zum ersten Mal am Theater war und Regieassistenz machte, sagte der Regisseur, er probe eine Szene nicht, er probiere. Ich habe mir das ins echte Leben mitgenommen: probieren. Nicht im Sicheren gehen. Ich glaube mal in einem Interview mit Armin Mueller-Stahl, dem Schauspieler mit diesen Augen, gelesen zu haben, er habe neben dem Film immer auch gemalt. Er sagte, in den meisten Menschen seien doch viele Begabungen angelegt, die meisten legten diese nur nie frei. Ich dachte: Wenn das so ist, möchte ich bitte nicht werden wie die meisten. Ich will ausprobieren, freilegen.
Alkoholverzicht: Wie schnell sich die Leber erholt und sich das Körpergefühl verbessert

Wenig später lief Mueller-Stahl auf der Straße an mir vorbei, ich starrte ihn an, er schaute kurz zurück. Ich nahm das so wie die Apostel in der Bibel den Heiligen Geist. Ständig will ich seitdem nach dem ersten Moment suchen.
Übung ist meist langweilig
Wenn der Textchef anruft und mich daran erinnert, dass wieder eine Kolumne ansteht, zucke ich kurz zusammen und denke: wieder. Einmal durchschütteln wie ein Hund nach dem Meergang und so tun, als wäre alles zum ersten Mal. Thema suchen, Nervosität spüren. Ich hasse es, ein Programm abzuspulen, nur weil es funktioniert. Vielleicht ist das mein Risikosport: Ich habe noch nie etwas so vorbereitet, wie es empfohlen wird, ich versuche eher, die Technik zu üben. Kommt der Moment, will ich das Geübte neu zusammensetzen. Je starrer die Formate (ein Podcast, eine Podiumsdiskussion, eine TV-Show) sind, desto schwerer fällt mir dieser Sport. Manchmal lasse ich es sein und wiederhole mich doch – und schon langweile ich mich über mich selbst.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Ein anderer Schauspieler, Al Pacino, nahm mir kürzlich meine Urangst vor Wiederholungen ein wenig. Er erzählte, es gebe Bühnenrollen, die müsse man jahrzehntelang spielen, bis man sie versteht. Irgendwann, so sagte er, hebst du die Hand so hoch, wie es sein muss, und jeder im Saal spürt’s. Doch das geht nur, weil man es schon tausendmal getan hat. Tausendmal üben, dachte ich, ist besser, als einmal stumpf zu wiederholen.