Bauernproteste Warum Letzte Generation und Landwirte nicht gemeinsam protestieren

Landwirte und Klimaaktivisten demonstrieren im Bündnis "Wir haben es satt!" zur Grünen Woche in Berlin
Landwirte und Klimaaktivisten demonstrieren im Bündnis "Wir haben es satt!" zur Grünen Woche in Berlin – eine Ausnahme
© Monika Skolimowska / DPA
Klimaaktivisten und Bauern könnten zusammen für eine nachhaltige Klimaschutzpolitik demonstrieren. Allerdings gibt es eine große Hürde – und niemand scheint bereit, die zu überspringen.

"Klimakrise = Ernährungskrise" steht auf einem Plakat, das Bauern und Klimaaktivisten während der Grünen Woche durch Berlin trugen. Die Botschaft ist simpel: Dürren und Starkregen beeinflussen die Ernten. Im Globalen Süden stärker als in Europa zwar, trotzdem warnen Landwirte auch hier vor den Folgen der Erderwärmung. "Kaum eine Branche ist so stark vom Wetter abhängig wie die Landwirtschaft. Schon ein kurzer, heftiger Sturm oder eine Frostnacht im Frühjahr können ein Desaster bedeuten", schreibt der Deutsche Bauernverband.

Tausende Menschen zogen deshalb zur Agrarministerkonferenz durch das Regierungsviertel, während Cem Özdemir mit Vertretern aus Landwirtschaft und Handel fachsimpelte. "Gesicherte Ernährung ist ein Beitrag für den Frieden", ließ der Minister wissen. An den Aktivisten prallten die Statements als Floskeln ab. Ihnen geht es um etwas ganz anderes. Schon viel zu lange, so ihr Eindruck, verspricht die Bundesregierung den Bauern die ökologische Wende. Getan hat sich nichts – außer dass Scholz und Kollegen den Landwirten Subventionen für den Agrar-Diesel streichen.

Das verstärkt den Frust der Bauern, der sich seit Wochen auf Landstraßen, Autobahnzubringern und in Städten der Bundesrepublik entlädt und auch Klimaaktivisten zur Grünen Woche auf den Plan ruft. Aber ob Trecker-Blockaden und Klebeaktionen die Bundesregierung zusammen zu einer klimafreundlichen (Agrar-)Politik bewegen können?

Wahrscheinlich ist das nicht. Dafür müssten Klimaaktivisten und Landwirte zusammen auf die Straße gehen, aber das passiert bisher nur zur Grünen Woche in Berlin. "Dabei gibt es zwischen beiden Gruppen durchaus Schnittmengen", sagt Louisa Prause, Senior Expertin für Klimawandel und Landnutzung der Robert Bosch Stiftung. Sowohl Landwirte als auch Klimaaktivisten der Letzten Generation einen die Blockadeaktionen – die einen verstellen, die anderen kleben. Allerdings soll sich das demnächst ändern: Der Superkleber ist ab März passé, dann wollen die Klimaaktivisten zu friedlichen Widerstandsversammlungen zusammentrommeln.

Und auch bei den Inhalten gibt es Gemeinsamkeiten: Beide wollen, dass die Regierung die ökologische Wende unterstützt, und das möglichst sozial gerecht. Dafür setzt sich das "Wir haben es satt"-Bündnis ein – ein Exot zwischen Klima- und Bauernprotesten, das Aktivisten beider Gruppen zusammenbringt. Das Bündnis gründete sich vor zehn Jahren und macht sich seitdem durch seine jährlichen Proteste zur Landwirtschaftsmesse in Berlin einen Namen. 

Bauern und Klimaaktivisten mögen sich nicht unbedingt

Insgesamt beäugen Klimaaktivisten und Landwirte einander aber skeptisch. Die Bauern haben das Gefühl, über den Klima-Klebern zu stehen. Ihre Proteste seien im Gegensatz zu denen der Aktivisten immer angemeldet, teilt der Bauernverband auf stern-Anfrage kurz angebunden mit. Die Letzte Generation reagiert verschnupft auf die Kritik und teilt ihrerseits mit, dass Gespräche mit den Bauern nicht geplant seien. Die Aktivisten hätten gerade genug anderes zu tun, da stehe eine Zusammenarbeit mit den Bauern nicht auf der "Prioritätenliste". Außerdem hätten sich die Landwirte nicht klar genug von den Rechten abgegrenzt. Den Bauernverband kritisieren die Aktivisten als Organisation, die eigentlich gar keinen nachhaltigen Systemwechsel will, sondern sich am Status quo mit Agrardiesel und staatlicher Unterstützung festbeißt. "Aber wir sind in jedem Fall offen, wenn der Bauernverband mit einem Gesprächsangebot auf uns zukommt", sagt eine Sprecherin der Letzten Generationen im Gespräch mit dem stern.

Abgesehen von der wechselseitigen Kritik sieht Agrar-Forscherin Louisa Prause aber noch ein ganz anderes Problem: "Es gibt nicht DIE Landwirte in Deutschland, sondern unterschiedliche Gruppen", sagt sie und nennt großindustrielle Betriebe, Familienbetriebe, konventionelle und Öko-Bauern, Landwirte, die auf Ackerbau, Viehzucht, Gemüseanbau oder Milchproduktion spezialisiert sind. Das Bündnis "Wir haben es satt" bringt dabei vor allem Umweltaktivisten und Öko-Landwirte zusammen.

Agrarwende ohne Hilfe aus Berlin?

Bei den derzeitigen Bauernprotesten sieht Prause auch deshalb keinen Anlass für die Beteiligung der Klimaaktivisten, weil die Blockaden durch die Subventionskürzungen ausgelöst worden seien. Für die klimaschädliche Technologie gebe es bisher keine Alternative (mehr dazu lesen Sie hier). Dabei sei der Transformationsdruck wahnsinnig hoch, sagt die Agrar-Forscherin.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Vielen Landwirten ist bewusst, dass sie beim Klimawandel eine wichtige Rolle spielen. Nur ist den meisten unklar, wie sie den Planeten schützen sollen, wenn die Regierung nicht hilft. "Lange war das Argument, klimaschädliche Subventionen in der Landwirtschaft zurückzunehmen, um das Geld dann in den ökologischen Umbau zu investieren", erläutert Prause. Doch jetzt werde das Geld genutzt, um das Haushaltsloch zu stopfen. "Das und die Schuldenbremse machen es den Politikern in Berlin auch nicht gerade einfach, die Transformation durchzuführen."

Die Letzte Generation fordert, die Subventionen so zu verteilen, dass sich die ökologische Landwirtschaft für alle lohnt. Einen Masterplan, wie das konkret aussehen soll, hat sie allerdings auch nicht. In der Pflicht sehen sich die Klimaaktivisten hierfür aber nicht: "Unsere Aufgabe als Letzte Generation besteht darin, die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, konkrete Lösungen vorzustellen, weil es genug Lösungsvorschläge von anderen Gruppen gibt", heißt es von der Letzten Generation, die etwa auf die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft verweist.

Klimaaktivisten distanzieren sich von Landwirten

Dass sich Klimaaktivisten und Landwirte im großen Stil zusammenschließen und gegen die Entscheidungen aus Berlin protestieren, gilt derzeit als unwahrscheinlich. Selbst die Schulbewegung Fridays for Future, die bisher viele verschiedene Bevölkerungsgruppen für sich gewinnen konnte, demonstrierte Mitte Januar von den Landwirten getrennt. Ein Teil der Forderungen aus der konventionellen Landwirtschaft sei mit Klima- und Naturschutz nicht vereinbar, teilte ein Sprecher der Klimagruppe damals mit. Die Bauern müssten sich bewusst werden, dass sie Teil des Problems seien.

Die Letzte Generation macht sich unterdessen über die Bauernproteste lustig. Im Onlinenachrichtendienst X (vormals Twitter) kritisieren die Aktivisten die Trecker-Blockaden wegen fehlender Rettungsgassen. "Kriminelle Vereinigung, alle in Präventivhaft", zitiert der "Focus" aus einem Post. Die Forderung bezieht sich auf Fälle, in denen Klimaaktivisten vorbeugend verhaftet wurden.

Agrar-Expertin Prause hofft, dass die Proteste dennoch eine politische Kehrtwende bringen. Viel Zeit bleibt den Bauern aber auch nicht mehr. "Die Klima-Kleber hatten am Anfang auch mehr Sympathien, aber die Leute sehen den Anlass mittlerweile nicht mehr. Dadurch haben die Aktivisten die Zustimmung verspielt", erklärt sie. Würden die Bauern noch monatelang protestieren, sei es durchaus möglich, dass auch sie ihre Sympathiepunkte einbüßten.