Ministerpräsident auf Kieler Woche Lasst Günther ruhig "Layla" singen. Kultur ist nicht politisch korrekt. Dann kann man auch gleich Goethe verbieten

Daniel Günther singt auf der Kieler Woche gemeinsam mit Ulf Kämpfer
Daniel Günther (l.) und Ulf Kämpfer singen gemeinsam auf der Kieler Woche
© Wolfgang Schmidt / Picture Alliance / DPA
Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hat auf der Kieler Woche "Layla" gegrölt. Die Aufregung ist groß. Zu Unrecht. Nicht das Lied ist der Skandal, sondern die Debatte darum. 

Was für ein Skandal: Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ist bei der Kieler Woche im Bayernzelt auf die Bühne gestiegen und hat mit der Band "Layla" gesungen: "Sie ist schöner, jünger, geiler." Der Ballermann-Hit wurde in einigen Städten von den Verwaltungen verboten, so in Würzburg auf dem Kiliani-Volksfest und auf der Düsseldorfer Rheinkirmes. Das ist der Skandal. Günther ist zu danken, dass er diesen Mist nicht mitmacht.

Um es gleich vorwegzusagen: Klar ist der Text von "Layla" sexistisch. Er handelt von einem Mann, der glücklich ist, dass er einen Puff mit einer geilen Puffmutter gefunden hat. So what? Prostitution ist seit 2002 in Deutschland legal. Seither hat sich Deutschland zum Eldorado für Menschenhändler entwickelt. Das ist der Skandal. Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn Städte wie Würzburg und Düsseldorf ein Lied verbieten, das schlicht beschreibt, was sich Männer wünschen (jedenfalls einige), während die Prostituierten bei genau diesen Volksfesten Doppelschichten schieben müssen. Das dürfte auch auf der Kieler Woche so gewesen sein. Politiker sollten lieber das Gesetz überdenken. Studien gehen davon aus, dass 90 Prozent aller Prostituierten ihren Körper nicht freiwillig verkaufen, sondern von Zuhältern gezwungen werden.

Das Leben ist nicht politisch korrekt

Der Impuls, alles zu verbieten, was politisch nicht korrekt scheint, greift um sich. Rechts und links. In den USA sind inzwischen über 40 Gesetze und Verordnungen auf den Weg gebracht worden, um "woke" Firmen zu bestrafen. Dieser Kulturkampf ist Wahnsinn. Kultur, egal ob Literatur, Musik, bildende Kunst, zeigt das Leben, wie es ist. Sie kann nicht politisch korrekt sein. Und wie langweilig wäre auch eine politisch korrekte Kultur? Bücher, in denen alle Protagonisten den richtigen Ton treffen. Filme, in denen die Welt in Ordnung ist. Es dürfte keinen Tatort mehr geben. Mord ist immer menschenverachtend.

Goethes "Heidenröslein" ist Schulstoff

Goethe wird nicht auf Volksfesten rezitiert, sondern in Schulen gelehrt. Abiturstoff. Kleine Erinnerung gefällig? "Und der wilde Knabe brach's Röslein auf der Heiden / Röslein wehrte sich und stach/ Half ihm doch kein Weh und Ach / Mußt es eben leiden / Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden." 

Vermutlich im Jahr 1771 schrieb Goethe dieses Gedicht. Er war damals 22 Jahre alt. Sein Gedicht gehört heute zur deutschen Hochliteratur, ist Stoff von Abiturprüfungen. Verbieten? Mitnichten. Goethe ist leider hochaktuell. Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland Alltag. Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau umgebracht. Etwa 25 Frauen werden pro Tag vergewaltigt oder sexuell genötigt. Und das sind nur die Fälle, die zur Anzeige gebracht werden. Goethes Gedicht kann auch gelesen werden als Appell gegen Vergewaltigung, als Mahnmal. Alles Interpretationssache. 

Auch das Argument der Nachahmung, also dass Kultur die Menschen verderben könnte, zieht nicht. Das hat die Mediengewaltforschung bewiesen: "Gewaltdarstellungen haben auf die große Mehrheit der Rezipierenden keine oder nur schwache Effekte ... Kriminelle oder aggressive Verhaltensweisen sind nicht zwangsläufig auf gewalthaltige Medieninhalte zurückzuführen", heißt es in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, in der es um gewalttätige Computerspiele ging. Ergo: Der Mensch ist nicht so schlicht gestrickt. Und das Leben ist kein Paradies, es ist nicht politisch korrekt. Das abzubilden ist Aufgabe von Kultur. Also, zurücklehnen, durchatmen, nachdenken über Texte und was sie noch alles sagen könnten. Ohne rosa Brille auf der Nase, die sich eine heile Welt wünscht. Die gibt es nämlich nicht.