Protokolle "Ein moderner James Bond des Alltags" – acht Männer machen sich Gedanken, was Männlichkeit heute eigentlich bedeutet

Sean Connery James Bond
James Bond ist noch immer ein Männlichkeitsidol, doch wie kann es klappen, ein Moderner James Bond des Alltags zu sein?
© Imago Images
Acht Männer äußern ihre Gedanken und Erfahrungen zu der Frage "Wann ist ein Mann ein Mann?" und sprechen darüber, welche Rolle Männlichkeit heutzutage in der Gesellschaft spielt.
Ein Mann mit dunklen Haaren und Brille in der Natur
Cornelius Bury, evangelischer Pfarrer
© privat

Cornelius Bury, 47
Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Warendorf

Manchmal denke ich: Schade, dass Homer Simpson als so schwacher Mann und Vater dargestellt wird. Ich bin ein großer Fan der "Simpsons". Bei Homer, der meist chaotisch und faul ist, und der oft verantwortungslos handelt, fällt mir auf: So will ich selbst als Mann nicht sein. Ich will ein zuverlässiger Partner sein, will einstehen für meine Überzeugungen. Aber ist das schon etwas, das nur Männer auszeichnet? Sicherlich nicht. Wenn ich beim Thema Männer an die Bibel denke, dann denke ich an David, einen ziemlich emanzipierten Mann, den man heute wohl als "ganzheitlich denkend"  bezeichnen würde. Oder ich denke an Jesus, der kein Macho war, sondern empathisch und feinfühlend, aber der auch mal – siehe Tempelszene – ziemlich vehement werden konnte. Für mich gibt es nicht das eine Männerbild. So bunt, wie die Schöpfung Gottes ist, so bunt sind Männerbilder, Männerrollen, Männer. Ich bin 47 Jahre alt und habe mit meiner Frau drei Kinder. Ich wurde von meinen Eltern partnerschaftlich und auf Augenhöhe erzogen. Und so erziehen wir unsere Kinder. Ich bin jedenfalls froh, dass ich kein Mann mehr sein muss, wie es sie früher häufiger gab: verschlossen, stumm, keine Gefühle oder gar Schwachheit zeigend. Ein Mann ist für mich der, der all seine Emotionen und Facetten zulässt – ohne damit andere zu dominieren.

Ein Mann mit dunklen Haaren und Bart und Brille im Arztkitel
Prof. Dr. med. Frank Sommer, 56, Universitätsprofessor für Männergesundheit in Hamburg
© Jonas Wresch

Prof. Dr. med. Frank Sommer, 56
Universitätsprofessor für Männergesundheit in Hamburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit

Wann ist der Mann ein Mann? Wenn er Verantwortung übernimmt. Für andere in Beruf, Familie und Erziehung. Aber auch für sich selbst. Und das ist mir wichtig:  Der Wirtschaftswundermann kümmerte sich kaum um seinen Körper. Geld für Forschung für Männergesundheit sah das System nicht vor. Vermutlich fühlten sich auch die männlichen Entscheider in der Gesundheitspolitik unverletzlich. Heute haben 30- bis 40-jährige Männer ein viel stärkeres Interesse an ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit. Sie gehen häufiger zur Vorsorge und achten auch auf Psycho-Hygiene: Sie nehmen sich Auszeiten. Für jüngere Männer ist es heute vermutlich schwieriger als früher, sich als Mann zu finden. Das liegt vor allem an den medial vermittelten Rollenbildern: Auf Instagram oder Tiktok ist immer alles gut, alles schön. Filter drüber, fertig! Die Männer dort wirken stark und glücklich. Sie lächeln oder blicken verwegen drein. Vermutlich haben sie immer Lust auf Sex. Wie unrealistisch das alles ist! Ich habe in der Praxis auch junge Männer sitzen, die vor lauter Pornobildern im Kopf Erektionsstörungen haben, obwohl sie körperlich vollkommen gesund sind. Die sind von den "Mannsbildern", denen sie entsprechen wollen, psychisch total gestresst.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Ein Mann mit runder Brille und schwarzem Hemd
Gregor Holzapfel, 58, Musiker
© privat

Gregor Holzapfel, 58
Musiker, aus Aichach in Bayern

Äußerlich bin ich ein Mann, aber ich fühle mich als Mensch. Ich koche gerne, und Arbeitsteilung im Haushalt ist bei uns selbstverständlich.

Einmal buk ich mit meinen drei Kindern in der Küche Plätzchen und trug dabei eine Schürze. Draußen strichen gerade zwei Maler unsere Hausfassade. Sie beobachteten uns. Ich fragte mich, was die Handwerker wohl von mir halten mochten. Sind das zwei unvereinbare Männerrollen? Für mich nicht. Ich liebe den Geruch von frisch gewaschener Wäsche genauso wie den Zementgeruch, wenn ich selbst eine Wand verputze.

Für meine Kinder wollte ich immer ein präsenter Vater sein, keiner, der sich aus dem Erziehungsalltag raushält. Meine Frau ist nicht dazu da, mir den Rücken freizuhalten. Als unser Jüngster drei Jahre alt wurde und meine Frau wieder in ihren Beruf einstieg, habe ich meine Arbeit deutlich reduziert, damit wir uns gleichberechtigt um die Familie kümmern konnten. Den vermeintlichen Verzicht auf beruflichen Erfolg habe ich nie als solchen empfunden. Ich hatte da nie das Gefühl, als Mann weniger wert zu sein. Ein guter Mann ist für mich auch ein moderner James Bond des Alltags.

Über Männerrollen denke ich nur nach, wenn ich mich abgrenzen muss: von prügelnden Ehemännern, der Unterdrückung von Frauen, toxischen alten weißen Männern. Höre ich so etwas, kommt in mir manchmal sogar ein Gefühl von Scham auf. Dann beziehe ich Stellung: So nicht, Männer! Wir können auch anders.

Ein junger Mann lächelt mit weißem Shirt in die Kamera
Jonas Hamm, 37, Bildungsreferent bei einer NGO
© privat

Jonas Hamm, 37
Bildungsreferent bei einer NGO, aus Berlin

Je länger ich über Geschlecht in all seiner Komplexität nachdenke, biologisch, gesellschaftlich wie psychisch, so lande ich irgendwann bei der Erkenntnis: Ein Mann ist eine Person, die fühlt, dass sie ein Mann ist. Ich bin ein trans Mann, das heißt, ich wurde als Mädchen großgezogen. In meinen Zwanzigern erlebte ich eine längere Reflexionsphase. Das Ergebnis daraus war, dass ich heute als Mann lebe. Für mich persönlich bedeutet Maskulinität gar nicht so viel. Sie ist etwas, das mir zugeschrieben wird. Schon vor meiner Transition, in meiner Kindheit, schrieben andere mir sogenannte männliche Eigenschaften zu. Ich kletterte gerne auf Bäume, ich schnitzte, wechselte zusammen mit meinem Papa Autoreifen. All das fühlte sich für mich aber gar nicht männlich an. Das war einfach nur ich. Und diese Dinge machen einen ja auch nicht zum Mann. "Mann sein" ist für mich vielmehr etwas, das mit meinen tiefen inneren Gefühlen zutun hat. Richtig in Worte fassen kann ich das aber nicht. Jeder Versuch driftet automatisch in Klischees ab. Wann ist ein Mann ein Mann? Diese Frage wird ja auch in der Literatur und Gesellschaft schon lange diskutiert. Eine eindeutige Antwort darauf hat bislang niemand gefunden – auch ich nicht. Diese Komplexität von Geschlecht muss ich, müssen wir einfach anerkennen.

Ein Mann steht mit Tarnhose in der Natur
Kay Volkmann, 52, Hausmann und Vater
© privat

Kay Volkmann, 52
Hausmann und Vater

"Ich war früher Bodybuilder und habe auf einen Wettbewerb hintrainiert. Ich wollte mir meine Männlichkeit beweisen und zeigen, dass ich wer bin. Leider ging es mir dadurch nicht besser. Dann habe ich meine Ehefrau kennengelernt, ich dachte, jetzt geht es bergauf. Wir haben eine kleine Tochter bekommen, meinen Goldschatz. Ziemlich schnell war klar, dass ich bei dem Kind zu Hause bleibe und mich kümmere, mit ihr in die Krabbelgruppe gehe und solche Sachen. Die Mutter meiner Tochter ist weiter arbeiten gegangen. Für mich war das kein Problem, doch dann fing es an. Meine Ex hat mich als Weichei beschimpft und mich geschlagen. Sie ist viel kleiner als ich, eben die Frau, und ich dachte lange, ich muss das aushalten. Als mein Umfeld erfahren hat, dass ich geschlagen werde, sagten die auch, ich sei gar kein richtiger Kerl. Ich habe das geglaubt. Heute weiß ich, dass das Quatsch ist. Ich habe mich getrennt und sehe mittlerweile vieles anders. Für mich bedeutet Männlichkeit, dass ich meine Familie versorgen und beschützen kann. Meine Tochter wächst bei mir auf, ich bin ihr Fels. Und trotzdem koche ich für sie, wasche die Wäsche und bastele mit ihr. Ich zeige meine Gefühle. Und das macht mich nicht weniger männlich. Das soll sich auch bloß niemand einreden lassen."

Ein Mann mit Lederjacke und Lederhandschuhen grinst verschmitzt in die Kamera
dominus.berlin, 47 Jahre, Sexarbeiter
© privat

dominus.berlin, 47
Sexarbeiter

Ich arbeite seit vielen Jahren als Sexarbeiter in der BDSM-Szene und gebe bewusst ein sehr maskulines Bild ab. Aber Männlichkeit bedeutet für mich nicht nur die "äußere Stärke" darzustellen, sondern meinem Gegenüber auch mit Einfühlungsvermögen zu begegnen. Also die Fähigkeit zu haben, empathisch zu sein und sich in den anderen hinein zu versetzen. Sicher denken viele Männer immer noch, sie müssten kraftvoll agieren, sich durchsetzen, "auf den Tisch hauen", um ein "richtiger" Mann zu sein. Diese männlichen Attribute sind teilweise noch tief verankert. Aber wirklich männlich und sexy ist es doch, wenn ich es als Mann schaffe, die Menschen um mich herum dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Das richtige Gespür für sie zu entwickeln und sie so zu erreichen oder für mich zu gewinnen. Das ist für mich die neue Männlichkeit. Meinem Empfinden nach sind ein großes Stimmenvolumen, Muskeln sowie das stoische Festhalten an einem Ziel in puncto Attraktivität einer konsensualen Durchsetzungskraft gewichen.

Ein junger Mann mit Mütze schaut in die Kamera und zieht eine Augenbraue hoch
Sebastian Bezzel, 52, Schauspieler
© Britta Pedersen / Picture Alliance / DPA

Sebastian Bezzel, 52
Schauspieler, spielt gerade in "Rehragout-Rendezvous" zum neunten Mal den phlegmatischen Dorfpolizisten Franz Eberhofer. Er stammt aus Garmisch-Partenkirchen, lebt aber schon länger mit Frau und zwei Kindern in Hamburg

"Ein Mann braucht rein biologisch gesehen zum Mannsein auf alle Fälle schon mal ein Y-Chromosom. Das ist aber wahrscheinlich auch die einzig zwingende Verabredung, wobei nicht mal die zwingend ist. Denn es gibt so viele verschiedene männliche Lebensentwürfe, wie es Männer gibt. Mal unterscheiden sie sich kaum, mal könnten diese Entwürfe unterschiedlicher nicht sein.

Das Mannsein drückt sich sicher nicht durch das zur Schau gestellte Ausleben maskuliner Attribute aus, dennoch verbinden es die meisten Menschen damit. Und da – das lässt sich nicht wegdiskutieren – der Mann, insbesondere der weiße, das wahrscheinlich gefährlichste Lebewesen der Welt ist, gilt es, diese Art genau zu beobachten und zu entcodieren. Gefährlich ist ein Mann, wenn er davon überzeugt ist, zum tatkräftigeren, wissenderen und mächtigeren Teil der Menschheit zu gehören und aus dieser Überzeugung heraus reaktionär, eitel und brutal handelt.

Wesentlich angenehmer: Ein Mann sieht sich als gleichberechtigter Teil der Menschheit und lebt durchaus selbstbewusst, aber voller Respekt vor allen anderen Individuen. Er verzichtet bereitwillig auf geschlechterspezifische Privilegien und schätzt ein friedvolles Miteinander deutlich mehr als vollkommen überholte Machtansprüche. So wie das der Eberhofer Franz schon immer mit seiner Oma und der Susi hält."

Ein junger Mann im Anzug
Sven Bäring, 28, Soldat
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Sven Bäring, 28
Oberleutnant bei der Bundeswehr und Vorsitzender des QueerBw, der Interessenvertretung der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans-, inter- und andersgeschlechtlichen Angehörigen der Bundeswehr

"Männlichkeit ist meiner Meinung nach leider immer noch ziemlich an Klischees gekoppelt, also an so Attribute wie Wehrhaftigkeit, Stärke und Durchsetzungsvermögen. Das finde ich problematisch, weil das ja bedeuten würde, dass nur männlich ist, auf wen das zutrifft. Oder andersrum: Wer sich besonders gut durchsetzen kann, verhält sich männlich. Aber das stimmt ja nicht. Ich erlebe, dass Menschen in der  Bundeswehr dieses Bild leider immer noch aufrechterhalten. Zum einen, weil die Generäle fast nur ältere Männer sind und zum anderen, weil Menschen einfach gerne dazugehören wollen. Das heißt, wer in die Bundeswehr kommt, passt sich an dieses Männlichkeitsbild auch ziemlich schnell an, um nicht aufzufallen. So beobachte ich das zumindest. Ich identifiziere mich selbst als das, was allgemein als männlich gilt, daher verursacht das Männlichkeitsbild bei mir wenig Probleme. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass wir ganz davon wegkommen, zu sagen, dies ist männlich und jenes ist weiblich. Ich fände es gut, wenn wir Eigenschaften von Menschen einfach gar nicht mehr mit ihrem Geschlecht in Verbindung bringen."

Wann ist ein Mann ein Mann? Das ist die große Frage der aktuellen stern-Titelgeschichte. Autor Moritz Herrmann versucht hier, Antworten zu finden. 

Wie wir Männer für die Gleichberechtigung gewinnen können, erklärt Politologe Dag Schölper hier im Interview. 

Erschienen in stern 36/2023