Bereits im Wahlkampf hatte Silvio Berlusconi dem Müllproblem in Neapel den absoluten Vorrang gegeben. An der Lösung der Krise solle sich der Erfolg seiner Regierung messen, sagte er und versprach seine erste Kabinettssitzung in der geplagten Vesuv-Metropole abzuhalten. Berlusconi erklärte, er werde dem Notstand die gleiche Bedeutung "wie einem Erdbeben oder einem Vulkanausbruch" beimessen.
Auf der Sondersitzung in der Hafenstadt beschloss die neue Regierung denn auch, mit harter Hand durchzugreifen. Zehn Deponien sollen in Neapels Region Kampanien eröffnet werden, die Standorte seien wie "militärisches Gebiet" von Soldaten gegen gewalttätige Demonstranten zu schützen. Der Regierungschef berief den früheren Sonderkommissar Guido Bertolaso zum ihm direkt unterstellten Staatssekretär für die Bewältigung der Abfallkrise.
Giftiger Müll landete auf Deponien
Doch nun werfen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Neapel einen Schatten auf das Team des Regierungsbeauftragten Bertolaso. Dessen enge Mitarbeiterin Marta Di Gennaro steht im Mittelpunkt des Skandals um unerlaubten Handel mit Müll und rechtswidriger Müllverwertung mit "schweren Folgen für Umwelt und Gesundheit", so der Vorwurf.
25 Staatsbedienstete und Unternehmer stehen unter Hausarrest, darunter auch der Präfekt von Neapel und frühere Müll-Sonderkommissar Alessandro Pansa und die Chefs der Verwertungsfirmen Fibe, Fisia und Ecolog. Laut Staatsanwaltschaft soll unbehandelter Müll als verbrennbarer Restmüll ausgewiesen worden sein. Der Abfall landete - so wie er auf der Straße aufgesammelt worden ist - direkt auf den Deponien, so die Ermittler. Der Unrat wurde nur vorher eingestampft und sah damit täuschend ähnlich aus wie die "Ökoballen" genannten Müllpakete mit aussortiertem, für die Verbrennung geeigneten Unrat.
In der mehr als 600 Seiten starken Ermittlungsakte rollt die Staatsanwaltschaft die illegalen Machenschaften der Müllkommissare von 2005 bis 2007 auf. Ein gigantischer Betrug, so die Ermittler, um die Müllabfuhr in Neapel nicht völlig zum Erliegen kommen zu lassen. Die süditalienische Metropole kämpft seit 15 Jahren mit einem erdrückenden Müllproblem. Und die Verwertungsanlagen kommen offensichtlich mit der Abfalltrennung nicht nach. So wurde die Trennung des giftigen Unrats von verbrennbaren Stoffen zwar auf dem Papier bescheinigt, aber in Wahrheit vernachlässigt. Tausende Tonnen toxischer Abfälle sollen so auf den Müllhalden entsorgt worden sein.
Die falschen "Ökoballen" sollen auch mit getürkten Papieren auf die Züge nach Deutschland geladen worden sein. Ludwig Ramacher, Manager des Abfallriesen Remondis aus Lünen, zeigte sich gegenüber La Repubblica bestürzt über die Verhaftung der Bosse von Ecolog. "Wir haben sieben Jahre lang zusammengearbeitet. Es schien alles in Ordnung zu sein," sagte Ramacher der Tageszeitung. Remondis hat in den vergangenen Jahren laut zeitung "Repubblica" insgesamt rund zwei Millionen Tonnen Müll aus Kampanien abgenommen.

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Staatspräsident Giorgio Napolitano mahnt
Die Ermittlungen stützen sich auf die Protokolle abgehörter Telefongespräche. Aus diesen Protokollen zitiert der "Corriere della Sera". Demnach berichtete Marta Di Gennaro im Juni 2007 ihrem Chef Bertolaso, was sie auch den Menschen vor Ort gesagt hatte - dass sie "bei der Müllhalde in Terzigno tricksen" müssen. Das Problem sei nämlich, dass der unbehandelte Abfall stinkt.
Laut der Tageszeitung beriet sich Di Gennaro darüber auch mit dem hochrangigen Beamten aus dem Umweltministerium, Gianfranco Mascazzini. Der Beamte verspricht zu helfen, er sei auf der Suche nach einem "Zauberpulver", etwa Kalk, der unter den Müll gemischt den Gestank eindämme. Der "Corriere" zitiert auch aus einem weiteren Gespräch zwischen Bertolaso und Di Gennaro, das sich kurz vor dessen Rücktritt als Sonderkommissar wegen der Widerstände des Umweltministers zugetragen hat. Bertolaso: "Ich werde die Gutachter des Ministeriums allesamt in die Pfanne hauen."
Zur Krise in Neapel äußerte sich Staatspräsident Giorgio Napolitano und mahnte: "Wir dürfen die Fronten nicht verhärten lassen oder dem Druck vor Ort nachgeben." Nachdem es vorige Woche in Chiaino am nordwestlichen Stadtrand Neapels erneut zu Ausschreitungen wegen der dort geplanten Eröffnung einer Deponie gekommen war, hatten Staatssekretär Bertolaso und Präfekt Pansa einen Kompromiss mit den Anwohnern errungen. Die Demonstranten räumten die Blockade der Zufahrtsstraße und gewährten einem Team aus Gutachtern - einige darunter waren von den Gegnern der Deponie bestimmt worden - Zugang zum geplanten Standort.
Nun sollen die Experten innerhalb von 20 Tagen ermitteln, ob sich Chiaino für die Errichtung der Deponie eignet. Doch das prekäre Gleichgewicht zwischen Anwohnern und Bürgermeistern auf der einen Seite und den Staatsvertretern aus Rom auf der anderen droht nun ins Wanken zu geraten. Durch die Ermittlungen ist die Glaubwürdigkeit von Bertolaso und Pansa, die eigentlich die Ordnung in Neapel wieder herstellen sollen, zunächst mal erschüttert.