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Spätestens seit vergangener Woche ist in Deutschland ein neues Virus ausgebrochen: Das Virus der Verschwörungstheorien. Die sogenannten "Hygiene"-Demos gegen Einschränkungen in der Coronakrise in Stuttgart, München, Berlin und anderen Städten mögen auch von Vielen besucht worden sein, die schlicht um ihre Freiheitsrechte bangen. Aber sie sind auch von Verschwörungstheoretikern genutzt worden, um Anhänger für ihre kruden Theorien zu gewinnen.
Dabei haben die Theorien die Coronakrise von Anfang an begleitet. Das Virus? Gezüchtet, in Laboren in China oder gar den USA, haben manche behauptet. Andere halten die ganze Krise für ein gigantisches Ablenkungsmanöver, um die vermeintliche Tatsache zu überdecken, dass "in Wirklichkeit" Wellen der Telekommunikationstechnologie 5G Menschen krank machen und sogar töten. Die jüngste Theorie besagt, dass Microsoft-Gründer Bill Gates, der sich mit seinem Geld für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Pandemien engagiert, hinter einer Art gigantischem Plot stecke.
Wie funktionieren diese Theorien, psychologisch und sozial? Wie gefährlich sind sie für die Demokratie? Und wer ist besonders anfällig, wer wird eher zum "Aluhut", zum Verschwörungstheoretiker? Darüber spricht der Philosoph und Autor Philipp Hübl in der aktuellen Folge von "Wir und Corona", dem Podcast von stern und RTL.
Verschwörungstheorien: Welche Rolle spielen die Medien?
Ein Stück weit macht Hübl die Medien für den Hype verantwortlich: "Etwas überspitzt gesagt gab es früher in jedem Dorf einen Verschwörungstheoretiker, und er wurde von den anderen meistens ausgelacht. Jetzt können sich 20.000 Verschwörungstheoretiker in einem Forum, in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe, auf einem YouTube-Kanal treffen. Sie können sich austauschen, selbst verstärken, sich in eine Echokammer begeben, immer weiter hochschaukeln und ihre anfängliche Skepsis immer stärker werden lassen. Das kann schnell ein größeres Phänomen werden. Das sehen wir jetzt gerade. Natürlich ist das ansteckend. Alle, die das Gefühl haben, hier stimmt doch etwas nicht mit den Maßnahmen, die sind vielleicht zu scharf und werden zu wenig kritisiert. Die finden plötzlich eine Heimat bei Leuten, die behaupten, da stecke ein großer, böser Plan dahinter. Und das kann sich dann auch von der digitalen Sphäre übertragen in die analoge, in die echte Welt."
Hübl: "Stammesdenken" trübt Blick auf die Fakten
Hübl hat sich als Philosoph und Buchautor mit Verschwörungstheorien beschäftigt. In "Bullshit-Resistenz" setzt er sich damit auseinander, wie man mit Lügen, Fake News und eben Verschwörungstheorien umgehen kann.
Hübl geht davon aus, dass es so etwas wie eine "Verschwörungsmentalität" gibt – und ein "Stammesdenken", das den Blick auf die Fakten trübt und dazu führt, dass Fakten bisweilen der eigenen Weltsicht unterworfen werden. In dem Gespräch erläutert Hübl die Funktionsweise der Theorien, aber auch, wer besonders anfällig für sie zu sein scheint. "Nicht für alle, aber für die meisten gilt: Sie haben einen etwas niedrigeren Bildungsstand. Sie glauben eher an etwas Übernatürliches, sie neigen zu Extremen und können nicht so gut wissenschaftlich-statistisch denken".
Die Angst vor dem Unsichtbaren
Auch seien Männer eher offen für die Theorien als Frauen, sagt Hübl – und es gebe eine Überschneidung zu rechtsextremem Gedankengut, auch wenn es auch bei den Linken Verschwörungstheoretiker gebe. Dort befassen sich Verschwörungstheoretiker thematisch aber eher mit Angriffen auf die Gesundheit, auf den Körper, auf Kinder. Generell, so Hübl, erkläre die Angst vor dem technisch schwer Fassbaren, dem Unsichtbaren, das Interesse an kruden Theorien, vor gentechnisch veränderten Lebensmitteln etwa. "Die Angst vor dem Unsichtbaren, Unerklärlichen, auch oft unnatürlich Künstlichen, die wird zunehmen. Es gibt ein Wettrüsten zwischen immer mehr Technik auf der einen Seite und einem Bildungsstand, der immer höher werden muss, um das auch verstehen zu können. Wenn das nicht gut zusammenpasst, wird es Verschwörungstheorien geben", sagt Hübl.
Verschwörungstheoretiker bekehren: "Das ist mühsam"
Einem Verschwörungstheoretiker seine Theorie auszureden, das hält Hübl für praktisch schwierig. "Wenn sich jemand auf eine Verschwörungstheorie eingelassen hat, hat er viele Selbstimmunisierungsprozesse durchgemacht. Er wird jede Form von Kritik nur als Bestätigung seiner eigenen Thesen deuten. Und am schwierigsten ist es, Leuten zu sagen: Deine Ansicht ist falsch. Das gilt im politischen und im moralischen Bereich." Der einzige Weg, einen anderen zu überzeugen, sei das persönliche Gespräch. "Das Einzige, was man machen kann, ist eine persönliche Verbindung zu suchen, zu fragen, Verständnis zu haben, zu diskutieren und zu versuchen, Zweifel an der Verschwörungstheorie zu säen. Aber auch hier sagen Extremismusforscher: Das ist mühsam und dauert lange."