Wie kann ich online eine Fahrkarte kaufen? Warum klingelt mein Handy nicht, obwohl mich jemand anruft? Wie kann ich mit dem Smartphone ein Foto verschicken? Viele Seniorinnen und Senioren fühlen sich bei derartigen Fragen unsicher. Um ihnen mit praktischen Tipps bei Alltagsnöten rund um Handy und Co. zur Seite zu stehen, stehen in Hessen mehr als 600 ehrenamtliche Digital-Lotsen parat.
Renate Rieth füllt sich im Umgang mit ihrem Smartphone manchmal überfordert. "Wir haben das nicht von der Pike auf mitbekommen. Deswegen komme ich hierher, um mir Rat zu holen", sagt die 78-Jährige. Sie ist an diesem Tag zur offenen Sprechstunde der Digital-Lotsen in Linsengericht (Main-Kinzig-Kreis) gekommen. Sie lässt sich von Reinhart Spitzel zeigen, wie sie mit ihrem Handy im Vorverkauf das Ticket für eine Theateraufführung buchen kann. "Das geht halt nur übers Internet", erklärt sie.
Viel Geduld
Mit 81 Jahren ist Spitzel wahrlich kein "Digital Native", aber dennoch fit im Umgang mit der digitalen Welt. Er ist einer von rund 20 Männern und Frauen, die ehrenamtlich in der Gemeinde als Digital-Lotsen unterwegs sind. Geduldig zeigt Spitzel der Ratsuchenden, wie sie ihre E-Mail-Adresse eingeben und sich im nächsten Schritt einen Platz aussuchen kann.
"Die meisten Besucher sind zwischen 50 und 85 Jahre alt", berichtet Peter Grimm (74), der an diesem Nachmittag als weiterer Digital-Lotse von Tisch zu Tisch geht und seine Hilfe anbietet. Brigitta und Horst Schallmayer (74 und 75 Jahre alt) haben gleich zwei Anliegen mitgebracht: Wie können sie mit Freunden eine WhatsApp-Gruppe gründen und wie kann man Google-Benachrichtigungen löschen?
Seniorin: Bei Jüngeren geht das "ratzfatz"
Lotse Grimm legt bei seinen Erklärungen Wert darauf, dass beide ihr jeweiliges Handy in der Hand haben und die Schritte selbst ausführen. Die Eheleute sind dankbar, dass sich ihr Helfer Zeit nimmt und alles freundlich und langsam erklärt. "Wenn Leute das können, geht das bei denen ratzfatz. Aber man selbst kapiert das nicht mehr so schnell", sagt Brigitta Schallmayer.
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Ihre Enkeltochter nehme sich zwar auch Zeit, wenn Opa und Oma ein Problem mit dem Handy hätten, fügt die 74-Jährige hinzu. Aber die Enkelin wohne weiter weg und sei daher nicht immer greifbar.
Neugier wecken
Wichtig sei es, bei den Senioren die Freude an der Nutzung von Smartphone und Co. zu wecken und gemeinsam die Chancen, die die Digitalisierung biete, zu entdecken, erklärt Erhard Hartmann, der ehrenamtliche Leiter des Lotsen-Projekts vor Ort. Der 63-Jährige war maßgeblich daran beteiligt, dass Linsengericht seit nunmehr zwei Jahren einer von inzwischen 70 Lotsen-Stützpunkten in Hessen ist. Die Gemeinde unterstützt die Lotsen und stellt beispielsweise Räumlichkeiten zur Verfügung.
800 ehrenamtliche Stunden haben die Helfer in der rund 10.000 Einwohner zählenden Kommune geleistet und dabei mehr als 400 Personen erreicht. Und in dieser Rechnung sind die persönlichen Eins-zu-Eins-Beratungsgespräche bei Hausbesuchen noch gar nicht enthalten. "Wir Digital-Lotsen bekommen von den Menschen sehr viel zurück", sagt der Projektleiter.
Kontakt zu Freunden und Familie halten
Mit Messenger-Diensten können ältere Menschen und solche mit Mobilitätseinschränkungen nach Hartmanns Erfahrung Kontakt zu Familien und Freunden halten. Wichtig sei es, die bei vielen älteren Menschen vorhandenen Berührungsängste vor der Digitalisierung des Alltags abzubauen, die neben Risiken eben auch große Chancen biete. "Die Digitalisierung ist nicht nur ein Thema für Menschen unter 60 Jahren", betont der Projektleiter, der vor seinem Ruhestand für einen internationalen IT-Konzern in Frankfurt arbeitete und technische Fertigkeiten und Managementerfahrungen mit ins Ehrenamt bringt.
Immer wieder üben und fragen
"Angst blockiert, Erfahrung schützt", lautet sein Motto. Und deshalb rät er den Senioren, regelmäßig den Umgang mit Smartphones, Tablets und anderen Geräten zu üben - und bei Unsicherheiten nachzuhaken, ohne sich zu schämen. "Sie können die Fragen zehnmal stellen und sie werden ernst genommen", bekräftigt Hartmann.
Oftmals scheuten sich Ältere davor, bei Kindern, Enkeln oder anderen näher stehenden Leuten um Hilfe zu bitten - aus Angst, für dumm gehalten zu werden, wenn sie nicht gleich alles verstünden. Im Umgang mit den Digital-Lotsen gebe es diese Furcht nicht.
Schulung und Datenschutz
Das Lotsen-Team in Linsengericht ist nach Hartmanns Worten bunt gemischt. Der jüngste Lotse sei noch Student, der älteste Helfer über 80. Für die angehenden Lotsen gibt es im Vorfeld eine besondere Schulung, außerdem müssen sie Verschwiegenheits- und Datenschutzerklärungen unterschreiben, da sie teils mit sensiblen privaten Informationen umgehen.
Auch KI wird ein Thema
Neu hinzugekommen für die Lotsinnen und Lotsen in Hessen ist seit einem Jahr das Angebot einer KI-Aufbauschulung, um auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz im Alltag aufmerksam zu machen, wie das hessische Digitalministerium erklärt. Gerade im häuslichen Bereich könne KI den Menschen helfen, möglichst lange selbstbestimmt in der vertrauten Umgebung wohnen bleiben zu können.
"Gesellschaftliche Teilhabe hängt auch immer stärker von digitaler Kompetenz ab", betont Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU). Deshalb seien die Lotsinnen und -Lotsen sind nicht nur technische Unterstützer, sondern vor allem "Brückenbauer in die Gesellschaft".
Projekt soll weiter wachsen
Das 2021 von der Landesregierung gestartete Projekt soll nach deren Angaben weiter ausgebaut und in die "Verstetigungsphase" überführt werden. Dazu wird im nächsten Jahr eine eigene Koordinierungsstelle eingerichtet. Ziel ist es, die Anzahl der aktuell 70 Stützpunkte, die auf 20 Landkreise und alle kreisfreien Städte verteilt sind, zu erhöhen.