Stress in der Schule Junge Lehrer: "Das wird die schlimmste Zeit Deines Lebens"

Steckelbroeck unterrichtet Informatik und Ethik. Foto: Andreas Arnold/dpa
Steckelbroeck unterrichtet Informatik und Ethik. Foto
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Die Jahre zwischen Studium und Verbeamtung sind für angehende Lehrkräfte besonders belastend. Hier erzählt einer, warum er fast aufgegeben hätte - und was ihn am Ende bei der Strange hielt.

Jan Steckelbroeck hat sich durchgebissen. Er hat das zweite Staatsexamen hinter sich und bewirbt sich gerade in Frankfurt um eine feste Stelle als Lehrer. Andere schaffen das nicht: Sie geben auf, brechen das Lehramtsstudium oder den Vorbereitungsdienst ab und suchen sich einen anderen Job. Was hielt den Ethik- und Informatik-Lehrer bei der Stange? 

Nach Angaben des Kultusministeriums gibt es aktuell in Hessen rund 5.000 Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst - früher hieß diese Zeit Referendariat. Einer Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zufolge empfinden angehende Lehrerinnen und Lehrer diese Zeit als besonders belastend. 90 Prozent der mehr als 1.000 Teilnehmer der Befragung gaben an, körperlich und emotional erschöpft zu sein. 

Steckelbroeck kann das voll verstehen. "Man startet in den Vorbereitungsdienst mit dem Narrativ: Das wird die schlimmste Zeit Deines Lebens", erzählt der 30-Jährige. Diese Auffassung sei an der Uni, im Studienseminar und unter jungen Kollegen Konsens. 

Drei Halbjahre Dauerstress 

Der Vorbereitungsdienst dauert in Hessen - noch - 21 Monate. Die Neulinge laufen erst drei Monate mit, dann unterrichten sie drei Halbjahre lang an drei Tagen insgesamt zehn bis zwölf Stunden in verschiedenen Klassen. An den beiden anderen Tagen drücken sie im Studienseminar weiter selbst die Schulbank. 

16 Mal werden sie in dieser Zeit von einer Art Prüfungskommission im Unterricht besucht und 14 Mal bewertet. "Hinter jeder dieser 45 Minuten Unterricht stecken etwa 14 Stunden Vorbereitung", sagt Steckelbroeck. Manche brauchten etwas weniger, andere etwas mehr Zeit, 14 Stunden seien "guter Durchschnitt". 

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"Das war unglaublich hart", sagt der 30-Jährige heute. "Man ist immer unter Druck." Das Hauptproblem seien die widerstreitenden Anforderungen: "Man will den Schülern etwas beibringen. Man will selbst etwas lernen. Und dabei muss man ständig performen." Das gehe einfach nicht zusammen. 

50-Stunden-Wochen

In seiner Seminargruppe hätten etwa zehn Prozent den Vorbereitungsdienst abgebrochen, sagt der junge Lehrer. Das Kultusministerium nannte zunächst keine Quote. 

Auch Steckelbroeck war fast so weit - kurz vor Weihnachten 2024. Vor den Ferien standen noch Klassenarbeiten an, er bereitete sich auf zwei Unterrichtsbesuche parallel vor, vier Nächte in Folge hatte er kaum geschlafen. Kurzzeitig schien ein Job in der IT-Branche eine Exit-Strategie zu bieten.

Die nicht repräsentative Befragung der GEW ergab ein ähnliches Bild: Fast die Hälfte der Befragten arbeitete wöchentlich bis zu 50 Stunden, knapp ein Drittel bis zu 60. Der Aussage "Ich bin durch den Vorbereitungsdienst überfordert" stimmte knapp die Hälfte teilweise und ein Viertel voll zu. 

Dass Steckelbroeck es durchgezogen hat, hat er seinem "Netzwerk" zu verdanken, wie er sagt: seiner Freundin, Kollegen und Kommilitonen, denen es ähnlich ging, seiner Mentorin an der Schule, seiner Ausbildungsleiterin am Studienseminar. 

Im Gegensatz zu vielen seiner Kolleginnen und Kollegen wurde er an der Wöhlerschule auch nicht für Vertretungsstunden eingesetzt. Der wichtigste Grund aber seien die Schülerinnen und Schüler: "Der Job macht einfach so Spaß!", sagt der 30-Jährige mit Nachdruck. 

Die Hälfte zweifelt am Berufswunsch

Nicht bei allen reichen solche Motive aus: Von den 1.000 befragten Lehrkräften im Vorbereitungsdienst sagte jeder oder jede Fünfte, dass er oder sie darüber nachdenke, die Ausbildung abzubrechen. Jeder Zweite hatte Zweifel an der Entscheidung für den Lehrberuf. 

Andere geben schon früher auf, wie GEW-Landesvorsitzender Thilo Hartmann erklärt: Nur etwa die Hälfte derer, die ein Lehramtsstudium beginnen, halten bis zum Ende der Ausbildung durch. 

Das Studium bereite nicht gut genug auf den Schulalltag vor, findet Steckelbroeck. Der Realitätsschock komme meist im ersten Praxissemester. "Da realisiert man, dass die Theorie sehr weit weg ist von der Praxis". Fachwissen nehme im Studium zu viel, Didaktik zu wenig Raum ein.

dpa

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