Mit einer Petition sammelt ein breites Bündnis von Organisationen Unterschriften zur Stärkung der Rechte von Lehrkräften. Sie fordern mehr Rückendeckung von den zuständigen Ministerien und Schulaufsichtsbehörden. Gestartet wurde die Initiative von: Teachers for Future, GEW, Greenpeace, Bundesschülerkonferenz, Eltern gegen Rechts und der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung. Bereits über 150.000 haben unterschrieben.
Frau Feuser, gemeinsam mit anderen Organisationen haben Sie die Petition gestartet "Schule zeigt Haltung – Lehrkräfte stärken gegen Hass und Hetze". Was wollen Sie erreichen?
Wir als Teachers for Future erleben immer wieder, wie oft der Rückhalt fehlt, wenn man sich als Lehrkraft klar für Demokratie positionieren und einsetzen will. Immer wieder kommt es vor, dass Kollegen und Kolleginnen unter Druck gesetzt werden für Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Also jemand trägt beispielsweise ein T-Shirt, auf dem steht: "Kein Mensch ist illegal". Oder hat einen Sticker auf dem Laptop "gegen Rassismus" oder gegen Rechtsextremismus und wird deshalb zum Gespräch gebeten und muss sich rechtfertigen. Wir hatten einen Fall, da gab es eine Demo gegen einen Parteitag einer rechtsextremen Partei in einer Schule. Die Kolleginnen wurden von der Schulaufsichtsbehörde angewiesen, sich von der Demo fernzuhalten, obwohl sie außerhalb der Dienstzeit lag.
Zur Person
Inga Feuser ist seit 2010 Lehrerin und Multiplikatorin für Bildung für nachhaltige Entwicklung. Sie unterrichtet Deutsch, Geschichte und Evangelische Religion an einem Gymnasium im Raum Köln. 2021 war sie Mitgründerin von Teachers for Future Germany e.V., seit 2022 ist sie 2. Bundesvorsitzende des Vereins mit knapp 200 Mitgliedern. Ziel von Teachers for Future ist es, Lehrerinnen zu ermutigen und zu befähigen, auf gesellschaftliche Krisen in der Schule angemessen zu reagieren. Inga Feuser ist für den Preis der Deutschen Umwelthilfe "Umweltheldin im Staatsdienst" nominiert, der im März 2026 verliehen wird
Eigentlich gibt es ja klare Leitlinien. Für die politische Bildung gilt der sogenannte Beutelsbacher Konsens. Danach dürfen Lehrkräfte ihre Schüler nicht mit einer bestimmten politischen Meinung überrumpeln oder ihnen diese aufzwingen. Als Diener dieses Staates müssen sie aber das Grundgesetz verteidigen, wenn es angegriffen wird.
Genauso ist es. Das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsens' ist ein wichtiges Leitbild. Rechtlich verpflichtend für die politische Bildung sind das Grundgesetz und die darin verankerten Werte – dazu verpflichtet uns Beamte auch der Diensteid. Zum anderen fordert der Beutelsbacher Konsens nicht zur politischen Neutralität auf. Mit dem Kontroversitätsgebot wird betont, dass unterschiedliche Positionen sichtbar zu machen sind, das bedeutet aber nicht, dass dies ohne Einordnung geschieht. Und trotzdem zeigen der Alltag und die Praxis, dass die Strategie der Rechtsextremen verfängt, den Mythos eines Neutralitätsgebotes zu schüren, das angeblich besagt, Lehrkräfte dürften sich überhaupt nicht politisch in der Schule äußern.
Wir werden nicht genug ermutigt, für die Demokratie einzustehen
Das ist falsch, wirkt aber bei Schulaufsichtsbehörden nach. So wurden bei einer Veranstaltung zur Vereidigung von Referendaren und Referendarinnen alle auf diese vermeintliche "Neutralitätspflicht" hingewiesen, aber eben überhaupt nicht darauf, dass sie zur Verteidigung des Grundgesetzes verpflichtet sind. Erst als eine Kollegin, die schon als Studentin bei Teachers for Future aktiv war, sich meldete und nachfragte, wurde der Sachverhalt aufgeklärt. Einzelne Kultusminister positionieren sich da inzwischen schon recht deutlich, das heißt aber noch lange nicht, dass es auch in den Behörden angekommen ist. Im Vorfeld von Wahlen wurden bis vor Kurzem in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel regelmäßig E-Mails verschickt, in denen auf das Mäßigungsgebot hingewiesen wird. Aber eben nicht auf den Diensteid und auf die Verpflichtung, das Grundgesetz zu schützen. Wir werden nicht genug ermutigt, für die Demokratie einzustehen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bildungsministerin Karin Prien haben sich im stern ganz klar hinter die Lehrerinnen und Lehrer gestellt. Von wem erwarten Sie außerdem Unterstützung?
Deren Rückhalt brauchen wir natürlich, und das finden wir sehr positiv. Aber das muss jetzt auch in den Köpfen der Schulaufsichtsbehörden und der Schulleitungen ankommen. Dafür brauchen wir Fortbildungen und insgesamt mehr Ressourcen für die politische Bildung. Alle Kollegen müssen verstehen, dass politische Bildung eine Querschnittsaufgabe ist und nicht allein die Aufgabe der Politik-Lehrer.
Eine Ihrer Forderungen in der Petition lautet: Rechtssicherheit und Schutz. Wer sollte den bieten?
In jedem Regierungsbezirk sollte es eine Ansprechpartnerin für die Kollegen und Kolleginnen geben, die unter Druck geraten.
Eine weitere Forderung ist auch flächendeckendes Monitoring. Das fehlt bisher, wie stern-Recherchen kürzlich zeigten.
Ganz genau! Rechtsextreme, rassistische, demokratiegefährdende Vorfälle und Angriffe auf Schulen und Lehrkräfte werden nicht flächendeckend von den Ländern erfasst. Wenn das endlich passieren würde, könnten wir Licht in ein Dunkelfeld bringen, und es würde klar werden, warum Schulen und Lehrkräfte mehr Rückendeckung und Unterstützung brauchen.
Dazu fordern Sie eine Stärkung der politischen Bildung. Was heißt das konkret?
Einerseits sollte auf jeden Fall gesichert sein, dass der Politikunterricht auch regelmäßig stattfindet. Und wenn es nach uns geht, muss auch die Anzahl der Stunden erhöht werden. Genauso wichtig ist es, politische Bildung als eine Querschnittsaufgabe für die ganze Schule zu verstehen. Schule sollte als Raum begriffen werden, in dem Schülerinnen zu politischer Mündigkeit heranreifen. Dazu braucht es viel mehr politischen Diskurs und mehr Möglichkeiten zur Partizipation, damit die Erkenntnis entstehen kann: Demokratie hat etwas mit mir zu tun – und ich kann daran teilhaben.
Bedeutet das mehr Mitspracherechte für Schüler?
Unbedingt! Schule ist ja ein fast autoritärer Raum. Marina Weisband spricht in ihrem Buch "Die neue Schule der Demokratie" von erlernter Hilflosigkeit, weil alles vorgegeben ist – wann ich was zu lernen habe, wie ich das zu tun habe. Im Alltag sind Kinder und Jugendliche total fremdbestimmt. Das Einzige, was sie vielleicht mal mitentscheiden dürfen, ist, wo der Ausflug hingeht, welche Wandfarbe der Klassenraum bekommt oder im besten Fall, was sie beim Schulfest für einen Stand machen möchten. Das ist ein großes Problem, denn wir merken immer wieder: Schüler und Schülerinnen müssen Partizipation erlernen. Mal ein Projekt dazu, das reicht nicht aus.
Sind andere Länder da weiter als wir?
Auf jeden Fall. Aber auch in Deutschland gibt es bereits Schulen, die schauen: Was ist innerhalb bestehender Vorgaben möglich? Sie halten sich nicht an die herkömmliche Tradition von Schule, sondern lassen mehr Partizipation zu. Spannenderweise gewinnen diese dann manchmal den Deutschen Schulpreis.
Liegt es auch daran, dass Lehrer als Beamte per se eher vorsichtig sind?
Ich glaube, jeder Lehrer und jede Lehrerin hat ein hohes Verantwortungsbewusstsein und will das Beste für die Schüler und Schülerinnen. Da Schule bei uns aber schon immer so war, wie sie jetzt ist, also sehr arm an Mitbestimmung, sehr von oben herab, sind die heutigen Lehrkräfte auch genauso sozialisiert. Das heißt, dieser Beruf zieht vielleicht nicht die mutigsten und innovativsten Menschen an, sondern solche, die eine gewisse Verlässlichkeit zu schätzen wissen. Das ist auch völlig legitim. Die Frage ist aber, wie bilden wir diese Lehrerinnen aus? Beim Referendariat, der zweiten Phase der Ausbildung nach dem Studium, geht es oft auch autoritär zu. Lehramtsanwärterinnen werden zu wenig ermutigt, mitzubestimmen, mitzudenken, mitzugestalten. Das sollten wir ändern. Und die Diskussion von Neutralität erstreckt sich ja auch auf die Themen Klima- und Nachhaltigkeitsbildung.
Weiteres zum Rechtsextremismus an Schulen
Wir informieren in Text und Video zum Rechtsruck an deutschen Schulen. Besonders ans Herz legen möchten wir Ihnen die Titelgeschichte "Erste Stunde Mathe, zweite Stunde Deutsch, große Pause Hitlergruß". Die zugehörige Dokumentation sehen Sie beim stern und bei RTL+.
Was Sie außerdem erwartet:
- Eine Analyse der fünf wichtigsten Methoden der AfD im Kampf um die Klassenzimmer
- Ein Interview mit Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU)
- Die wichtigsten Fragen und Antworten für Lehrkräfte und Eltern zum Kampfbegriff "politische Neutralität"
- Die Geschichte eines Schülers, dem Vermummte in der Nacht auflauerten
Hier finden Sie auf einen Blick alle Beiträge zu unseren Recherchen.
Wie hängt das zusammen?
In den letzten fünf Jahren haben wir auch dazu sehr viele Missverständnisse erlebt, weil Kräfte von rechts außen die Meinung vertreten, man dürfe sich nicht für Klimaschutz starkmachen, das sei eine parteipolitische Agenda, die in die Schule getragen werde. Aber das ist natürlich absurd. Denn zum einen steht in fast jedem Bildungsauftrag der Länder der Schutz der Umwelt als Bildungsziel, ebenso die Achtung vor der Mitwelt. Außerdem ist spätestens seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 klar: Klimaschutz ist im Artikel 20a des Grundgesetzes verankert. Dazu gibt es auch spannende Erkenntnisse aus der Forschung, die zeigen: Wenn Lehrkräfte unpolitisch auftreten, weil sie denken, das würde von ihnen so erwartet, führt das dazu, dass die Schüler und Schülerinnen so ein Verhalten als das Normale ansehen. Denn wir Lehrer und Lehrerinnen sind auch beim Einsatz für die Demokratie ein Role Model.