In der bundesweit geführten Diskussion um den Umgang der Wirtschaft mit Vertretern der AfD sehen sich Thüringens Verbände zu politischer Neutralität verpflichtet. Es gebe weder Beschlüsse zum Umgang mit der in Thüringen als gesichert rechtsextrem geltenden Partei, noch würden ihre Vertreter pauschal von Veranstaltungen ausgeschlossen. "Unser gesetzlicher Auftrag verpflichtet uns zur parteipolitischen Neutralität und zur Orientierung am Gesamtinteresse der Wirtschaft", sagte Cornelia Haase-Lerch, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Erfurt der Deutschen Presse-Agentur. Identisch äußerte sich auch Peter Höhne, Hauptgeschäftsführer der IHK Ostthüringen zu Gera.
Zwischen Neutralität und Distanzlinien
"Wir vertreten mehr als 90.000 Unternehmen – und damit die gesamte Bandbreite unternehmerischen Engagements in Nord-, Mittel-, West- und Ostthüringen", so die beiden IHK-Chefs. Das bedeute auch, den Dialog mit allen demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern zu führen. Dies gelte allerdings "stets mit der gebotenen Distanz zu politischen Kräften, deren wirtschaftspolitische Vorstellungen nicht mit einer offenen, marktwirtschaftlichen und europäisch integrierten Ordnung vereinbar sind", schränken die Geschäftsführer ein.
Ähnlich äußert sich die IHK Südthüringen: Man arbeite mit allen demokratisch gewählten Mandatsträgern zusammen. Die sei gesetzlicher Auftrag der Wirtschaftsvertretung im Interesse ihrer Mitglieder. Das heiße auch, dass Mitglieder aller Parteien zu Gesprächsformaten eingeladen würden, sofern es das Format gebiete. "Die IHK Südthüringen pflegt keine Ausschlüsse aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Parteien."
HWK Gera: "Dürfen niemanden ausgrenzen"
Auch die Handwerkskammer (HWK) Gera betonte auf Anfrage, der Neutralitätspflicht zu unterliegen. "Dies bedeutet unter anderem auch, dass wir weder Wahlwerbung betreiben, noch demokratisch gewählte Parteien unterstützen oder ausgrenzen dürfen." So seien "Mandatsträger aller demokratisch gewählten Parteien" wie etwa Landtagsabgeordnete in diesem Jahr eingeladen worden - etwa im Rahmen der Wahlarena im Vorfeld der Bundestagswahl oder bei der Meisterfeier in diesem Jahr.
So beschrieb auch die Handwerkskammer Südthüringen das eigene Vorgehen: Redebeiträge bei Fachveranstaltungen richteten sich nach fachlicher Kompetenz der Eingeladenen. Vertreter der AfD seien dort bislang nicht vertreten gewesen. Handwerkspolitische Gesprächsrunden - etwa im Vorfeld von Wahlen - fänden in der Regel mit Vertretern aller Parteien statt.
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Thüringens Wirtschaftsministerin warnt
Auslöser der Debatte war die Öffnung des Verbandes der Familienunternehmer für Gespräche mit der AfD. Zu seinem parlamentarischen Abend im Oktober lud der Verband erstmals auch AfD-Vertreter ein. In der Folge kündigten die Drogeriekette Rossmann und der Hausgerätehersteller Vorwerk ihre Mitgliedschaften im Verband.
Thüringens Wirtschaftsministerin Colette Boos-John war selbst Vorsitzende des Thüringer Landesverbandes der Familienunternehmer. Dem Mitteldeutschen Rundfunk sagte die CDU-Politikerin: "Die Verbände sollten sich in die aktuelle Politik aktiv mit Lösungsansätzen einbringen, statt Populisten zu unterstützen." Dazu gehöre auch, dass sich die Familienunternehmen damit auseinandersetzen müssten, "ob sie die AfD wirklich salonfähig machen wollen."