In Saal 129 des Kieler Landgerichts, einem schmucklosen Raum mit Nadelfilz und gelbem Licht, bekommen die Zuschauer derzeit eine Ahnung davon, was der verstorbene Kabarettist Dieter Hildebrandt gemeint haben könnte, als er sagte: "Es hilft nichts, das Recht auf seiner Seite zu haben. Man muss auch mit der Justiz rechnen."
Die Anwältin Stephanie Harder aus Tangstedt will rund 10.000 Euro Schadensersatz vom Land Schleswig-Holstein. Für ihre sechs Pferde, die die Kieler Staatsanwältin Maya S. zu Unrecht beschlagnahmt und verkauft hat. Stephanie Harder scheint nicht die Einzige zu sein, die auf diese Art durch Maya S. geschädigt wurde. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe Maya S. wegen Rechtsbeugung, Verfolgung Unschuldiger und Diebstahls angeklagt. Das Land Schleswig-Holstein, das für seine Beamten haftet, hat in seinem Haushalt fast fünf Millionen Euro veranschlagt, um Tierhalter wie Harder entschädigen zu können.
Schuld ist das Amtshaftungsrecht
Allerdings rückt das Land keinen Cent freiwillig heraus. Schuld daran ist das deutsche Amtshaftungsrecht. Es erlaubt Vater Staat, sich vor seiner Verantwortung zu drücken, selbst wenn feststeht, dass seine Diener Fehler gemacht haben. Bürger müssen klagen, wenn sie Schadensersatz wollen. Und die Anwälte von Vater Staat tun vor Gericht das, was Anwälte gern tun: Sie arbeiten mit allen Tricks. Egal, ob die Gegenseite offenkundig recht hat oder nicht. Und egal, wie aufwendig das Verfahren wird.
Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen fordert "eine Behörde, die solche Ansprüche prüft", um "Prozesse zu verhindern" und "die Justiz zu entlasten", wie ihr Vorsitzender Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht, sagt. Ähnlich wie in Schweden, wo sich Bürger an den Ombudsmann der Justiz wenden können. Die unabhängige Vertrauensperson prüft den Fall kostenlos und gibt eine Empfehlung ab, der die Behörden in der Regel folgen. Seit den 70er Jahren fordern Juristen hierzulande eine Reform der Staatshaftung. Bislang vergebens.
Welche absurden Folgen es haben kann, wenn ein vom Staat geschädigter Bürger gezwungen ist, sich mit eifrigen Anwälten ebenjenes Staates auseinanderzusetzen, zeigt der Fall von Stephanie Harder: Mit 32 Polizisten war Maya S. im November 2011 auf dem Pferdehof von Hans-Dieter B. angerückt und hatte 88 Pferde beschlagnahmt, die angeblich unterernährt waren. Doch nicht alle Gäule gehörten Hans-Dieter B. Mit sechs Pferden hatte der Züchter eine Rechnung seiner Anwältin Harder über rund 10.000 Euro beglichen. Stephanie Harder beschwerte sich beim Landgericht Kiel über die Beschlagnahmung.
Ein gutes halbes Jahr später, am 4. Juni, entschieden die Richter, dass die Staatsanwaltschaft Harders Pferde wieder herausgeben müsse. Aber vier Tage darauf verkaufte Maya S. die Tiere zum Spottpreis von 100 beziehungsweise 200 Euro pro Stück. Sie habe nichts von der Aufhebung gewusst, sagt sie heute. Die Kaufverträge unterschrieb die Staatsanwältin höchstpersönlich, Harder war ihre Pferde los.
Kaufverträge nicht von Staatsanwältin unterschrieben
Im Sommer 2014 wurde ein Disziplinarverfahren gegen Maya S. eingeleitet. 2015 reichte Stephanie Harder Klage ein. "Ich dachte, das ist ein Selbstgänger." Tatsächlich schrieb die zuständige Richterin des Landgerichts Kiel im März 2017 in einem Beschluss, dass "die Klage nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage Erfolg haben dürfte".

Doch dann trat der Anwalt des Landes Schleswig-Holstein auf den Plan. Er fand einen Grund, die Abweisung der Klage zu beantragen: Die Kaufverträge seien von einer Staatsanwältin, nicht aber von der eigentlich zuständigen Rechtspflegerin unterschrieben worden. "Schon aus diesem Grund sind die Kaufverträge als Vollstreckungsmaßnahme unwirksam. Die Klägerin hat ihr Eigentum nicht verloren", schrieb der Anwalt ans Gericht. Harder soll also Eigentümerin geblieben sein, obwohl ihre Pferde längst auf der Weide anderer Leute grasten. "Ich dachte, damit kommt das Land nicht durch", sagt Harder. "Das Gericht hatte ja geschrieben, dass meine Klage Erfolg haben dürfte."

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Doch dann wechselte die Richterin. "Die Klägerin dürfte das streitige Eigentum an den Pferden nicht verloren haben", schrieb die neue Richterin im Januar 2018 in einem Beschluss. Das Land fühlte sich bestätigt. "Ein Vergleich führt niemanden weiter", sagt der Anwalt des Landes im Gerichtssaal. Worauf er hinauswill, ist klar: kein Eigentumsverlust, kein Schaden, kein Geld für Harder. "Selbstverständlich haftet das Land grundsätzlich bei Amtspflichtverletzungen", versucht ein Sprecher des Justizministeriums zu beschwichtigen. Allerdings müssten Ansprüche "auch von einem Gericht bestätigt werden".
Nächste Prozessrunde
Stephanie Harder muss sich auf einen langen Prozess einstellen, den sie verlieren dürfte. Sie fürchtet, dass das verheerende Folgen für sie haben könnte. "Die Käufer meiner Pferde könnten von mir Unterhalts kosten für die letzten sechs Jahre verlangen. Wenn alle sechs Pferdekäufer kämen, wären das 180.000 Euro. Ich wäre ruiniert." Harder hätte zwar die Möglichkeit, den Käufern im Gegenzug eine Art Pacht in Rechnung zu stellen. Wenn die Käufer sich darauf nicht einließen, würden die Pferdeliebhaber sich aber wohl in Kiel treffen. Zur nächsten Prozessrunde.
