Ukraine Er ließ seine Beine im Krieg. Sein Motto: jetzt erst recht

  • von Verena Hölzl
Eine Granate raubte Artem Moroz im Fronteinsatz für die Ukraine seine Beine. Er gibt nicht auf, läuft Rennen, wird als Held der Ukraine gefeiert. Doch das ist nicht die ganze Geschichte. 
Artem Moroz posiert auf einem Aussichtspunkt in Kiew, Ukraine
Artem Moroz blickt über seine Heimatstadt Kiew in der Ukraine. Der 44-Jährige versteckt seine Prothesen nicht. Er hat sie in Camouflagemuster gestalten lassen
© Paula Bronstein

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Artem Moroz rennt wieder, und das am liebsten schneller als je zuvor. Auf dem Laufband hier im Rehazentrum am Rande von Kiew kann sich der 45-Jährige kaum zurückhalten. Seine Prothesen schlagen so hart auf, dass sich andere Patienten nach ihm umdrehen. Lange steht Moroz das Tempo nicht durch, aber das ist egal. Jetzt, in diesem Moment, geht es ihm gut. Jetzt will er allen seine Kraft zeigen. Immer wieder sagt seine Physiotherapeutin: "Mach langsam, sonst tut dir morgen alles weh."

Einst haben sie hier Schlaganfallpatienten wieder das Laufen beigebracht. Jetzt versuchen die Therapeuten, verletzte Soldaten fit für die Front zu bekommen oder, wenn das nicht mehr möglich ist, für ein Leben danach. Nach dem Krieg, der ihnen Arme oder Beine raubte und häufig noch mehr.

Artem Moroz erinnert mit seinem gestutzten Bart und den Geheimratsecken ein wenig an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Seine Beine enden seit anderthalb Jahren kurz unter den Knien. Er verlor seine Unterschenkel an der Front. Ohne Prothesen kann er nur auf seinen Stümpfen kriechen oder im Rollstuhl sitzen – mit seinen künstlichen Beinen aber gilt er als ein Held der Ukraine.

Moroz will beweisen, dass in seinem neuen Leben noch viel von seinem alten steckt. Sein Motto: jetzt erst recht. Er präsentiert sich als Projektionsfläche für die Hoffnungen der Ukrainer, auch deswegen lässt er Journalisten so nah an seinen malträtierten Körper heran. Seine Seele aber schirmt er ab, meistens.

Erschienen in stern 28/2024