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Weltjugendtag Surfen ohne Sünde

Die Zensur ist abgeschafft - nur nicht im Pressezentrum des Weltjugendtages. Ausgerechnet dort, wo täglich hunderte Journalisten an den PCs sitzen, ist der Internetzugang beschränkt: ein peinlicher Versuch der Manipulation.
Von Lutz Kinkel

Es war eigentlich reiner Zufall. Ich hatte mit der stern.de-Fotografin Janna Frohnhaus verabredet, eine Geschichte über "Homosexuelle und Katholische Kirche" zu machen. Und sie holte gerade ihren Presseausweis für den Weltjugendtag (WJT) ab. Danach ging sie in die riesige Messehalle am Deutzer Auenplatz, die als Pressezentrum hergerichtet ist und setzte sich an einen der zahllosen PCs, die für Journalisten reserviert sind. Um Kontaktadressen ausfindig zu machen, googelte sie das Thema und surfte die Seiten an. Zum Beispiel www.huk.org, eine Page der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche. Aber die Page ließ sich nicht aufrufen. Sie war gesperrt - ganz offiziell vom WJT.

Zugegeben: Ich glaubte ihr nicht, als sie mir per Mail davon berichtete. Die Katholische Kirche mochte Jahrhunderte lang Ketzer und Bücher verbrannt haben. Aber im 21. Jahrhundert Homepages indizieren? Noch dazu für Journalisten? Das erschien mir absurd. Man kann der Informationsgesellschaft keinen katholischen Begleitschutz verpassen, das sollte sich bis in den Vatikan herumgesprochen haben.

Teufel in der Leitung

Hat es nicht, wie ein Besuch im Pressezentrum zeigte. Eine gute Stunde lang testeten wir am PC alles, was der Katholischen Kirche thematisch schwer im Magen liegt. Seiten über satanische Riten waren erstaunlicherweise ohne Probleme aufzurufen. Aber Pages über "Homosexualität und Katholische Kirche"? Reihenweise indiziert. www.kondome.de? Finger weg. Pornoseiten, Nazi-Pages? Nicht hier. Selbst "Neon", das Jugendmagazin des stern ließ sich nicht ansurfen. Scheinbar überall lauerte der Teufel, dessen hässliche Fratze nicht durch die Leitung kriechen durfte.

WJT-Sprecherin Nina Schmedding, die nach eigenen Angaben das Pressezentrum leitet, gab sich bei der ersten Nachfrage überrascht. Es könne sich nur um technisches Problem handeln, sagte sie. Oder um eine Hacker-Attacke. Zur Sicherheit erkundigte sie sich telefonisch bei ihrem Vorgesetzten Matthias Kopp. Aber der habe ihr gesagt, das sei alles "Schwachsinn", erklärte sie nach dem Telefonat.

Stellungnahme des WJT

Der Pressesprecher des WJT, Matthias Kopp, gab am Freitag, 29.8, eine Presseerklärung zu dem hier geschilderten Sachverhalt heraus. Darin räumt Kopp ein, dass im Pressezentrum eine Software benutzt wird, "die über einen Begriffe- und Adressenpool gewisse Seiten sperrt." Die Ausschlusskriterien seien allerdings zu eng gefasst gewesen, und dieser Mangel sei nun behoben. Den vollen Wortlaut der Erklärung lesen Sie unter: www.wjt2005.de
stern.de bleibt im übrigen bei seiner Darstellung und begrüsst die Aufhebung des "Mangels".

Pilger ohne Filter

Etwa zwei Stunden später, als Kopp mich nach intensiven Nachfragen persönlich anrief, war von "Schwachsinn" keine Rede mehr. Ja, man habe einen Filter installiert, sagte er. Die Journalisten sollten schließlich nicht auf Pornoseiten herumsurfen. Auf die Nachfrage, was "Neon" oder auch die ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche mit Pornografie zu tun hätten, wusste Knopp keine Antwort. Die Begriffe, nach denen indiziert worden sei, kenne er nicht. Dass sie etwas mit konservativem katholischem Glauben zu tun haben müssen, ließ sich selbst von uns Laien erraten.

In der Pause zwischen dem Check im Pressezentrum und Knopps Anruf hatten die Fotografin und ich dem Internetcafé für die Pilger einen Besuch abgestattet, das praktischerweise in der Messehalle nebenan liegt. Schließlich lag die Hypothese nahe, dass auf allen WJT-Terminals ein geheimer Glaubenswächter im Internet-Explorer installiert ist. Aber auch diese Annahme erwies sich als falsch. Völlig problemlos ließen sich sämtliche URLs aufrufen, die eben noch tabu waren. Nazipropaganda, Homosexuelle, Kondome, Pornos, Kritik am Papst - alles flatterte wie bestellt über den Schirm.

Jugendliche Pilger sind aus der Perspektive der WJT-Organisatoren offenbar vor solchen Inhalten gefeit. Erwachsene Journalisten eher nicht. Man will sie offenkundig davon abhalten, nach kirchenkritischen Inhalten zu fahnden. Ein peinlicher Versuch der Zensur.

Exit Atoniterkirche

Apropos "Homosexuelle und Katholische Kirche": Der evangelische Pfarrer Dr. Bertold Höcker und Stefan Meschig vom schwul-lesbischen Beratungszentrum Rubicon haben an der Antoniterkirche in der Innenstadt eine Anlaufstelle für Homosexuelle eingerichtet. Natürlich ist darüber in den offiziellen WJT-Broschüren nichts zu lesen - was nach katholischem Glauben nicht sein kann, darf schließlich auch nicht sein. Höcker, Meschig, Janna Frohnhaus und ich sprachen eine ganze Weile über das Problem. "Gott hat uns gesagt: Fürchtet Euch nicht", schloss Pfarrer Höcker.

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