Das Atoll Pingelap ist ein kleiner Fleck im pazifischen Ozean. Es umfasst gerade einmal drei Inseln, auf denen knapp 440 Menschen leben. Das Archipel wirkt unscheinbar. Und zählt dennoch zu einem der bemerkenswertesten Orte der Welt. Viele Bewohner Pingelaps sehen die Welt mit anderen Augen. Sie sind farbenblind und Träger eines seltenen Gens - des Achromatopsie-Gens.
Wie viele Einwohner genau betroffen sind, ist unklar. Schätzungen gehen von zehn Prozent bis zu einem Drittel der Bevölkerung aus. Zu der Häufung der Erbkrankheit kam es nach einen verheerenden Taifun im späten 18. Jahrhundert. Viele Bewohner des Atolls starben, nur 20 überlebten. Der König Pingelaps war einer davon. Er war Träger des seltenen Gens. Seit diesem Zeitpunkt verbreitete sich die Erbkrankheit in der Bevölkerung.
Das seltene Gen führt zu kompletter Farbenblindheit, die nicht mit einer einfachen Rot-Grün-Schwäche zu verwechseln ist. Wer farbenblind ist, nimmt seine Umwelt nur in Schwarz und Weiß und zudem etwas verschwommen wahr.
Zusätzlich sind die Betroffenen extrem lichtscheu, bereits normales Tageslicht blendet sie. Die Bewohner schützen sich daher mit großflächigen Blättern vor direkter Sonnenstrahlung. Sobald die Sonne herauskommt, zieht es die Träger des Gens in ihre abgedunkelten Hütten zurück.
Zwischen zwei Welten
Für den Bildband "The Island of the Color Blind" ("Die Insel der Farbenblinden") hat die belgische Fotografin Sanne De Wilde die Insel und ihre Einwohner besucht. Ihre Aufnahmen liefern Einblicke in den Alltag und die Wahrnehmung der Farbenblinden. Ein Teil der Bilder wurde im Nachhinein in Schwarz-Weiß-Aufnahmen umgewandelt, um so "Normalsehende" die visuellen Eindrücke der Inselbewohner nachempfinden zu lassen. Andere Aufnahmen dagegen wurden von Farbenblinden koloriert - ohne dass sie wussten, welche Farben sie verwendeten. Der Bildband zeigt einen faszinierenden Mix an Sinneseindrücken, der sich zwischen zwei Welten zu bewegen scheint.
De Wildes Arbeit ist eine Hommage an das Sehen, an die Farbenpracht der Welt. Gleichzeitig zeichnet sie eine subtile Tragik aus: Die Fotos entstanden an einem der farbenfrohsten Orten der Welt. Auf Pingelap leuchtet der Ozean blau, der Urwald schimmert grün, dazwischen fliegen rote Papageien. Doch diese Welt, die Welt der Farben, bleibt für viele Bewohner verborgen.
Sanne De Wilde wurde 1987 im belgischen Antwerpen geboren. Die Fotografin wurde für ihre Arbeit bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Photo Academy Award 2012 und dem Nikon Press Award 2014.