Für die meisten seiner Patienten sei das Leben nur noch eine Qual, wenn er sie kennenlernt, sagt Michael Korenkov. Seit einer Ewigkeit schon könnten sie sich die Schuhe nicht mehr selbst zubinden. Sie seien kaum noch imstande, die Wohnung zu verlassen, weil sie keine Treppen mehr steigen können oder weil sie vermeiden wollen, dass sie auf der Straße von Passanten angestarrt werden. Ihr extremes Übergewicht habe sie in die Isolation getrieben und lebensbedrohliche Ausmaße angenommen.
Erst wenn sie keinen anderen Weg mehr sehen, kommen sie in die Klinik und Poliklinik für Abdominalchirurgie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, in der Korenkov Oberarzt ist. Und nutzen das letzte Mittel gegen ihr zentnerschweres Problem: einen chirurgischen Eingriff an Magen oder Darm. Mit anderen Methoden ist ihren krankhaften Leibesumfängen in diesem Stadium kaum noch beizukommen. Jenseits eines Body-Mass-Indexes von 40 nützen Medikamente, Diäten oder Sport oft nur noch wenig. Im Gegenteil belasten sie den Patienten häufig psychisch, weil er sich nach jeder beendeten Therapie sein Ausgangsgewicht rasch wieder anfuttert. Denn sein Magen ist trotz eines verringerten Energiebedarfs nach wie vor drei- bis viermal so groß wie der eines Normalgewichtigen und das Sättigungsgefühl setzt erst viel später ein.
Seit Jahren steigt die Zahl dieser Superdicken rapide. Deutschland zählt neben den USA und Kuwait zu den Spitzenreitern in punkto Fettleibigkeit. Viele der Schwerstgewichtigen leiden infolge ihrer Fülle an Depressionen, Diabetes, Bluthochdruck, Schlafapnoe und Gelenkverschleiß.
"Die Adipositas-Chirurgie setzt heute auf zwei Prinzipien", sagt Korenkov. "Wer einen kleineren Magen hat, isst weniger. Und wem im oberen Darmtrakt ein Stück fehlt, nimmt nicht so viele Kalorien und Nährstoffe auf, da Fläche fehlt, um sie zu resorbieren."
Studien zeigen, dass die Eingriffe das Risiko, an einer Folgeerkrankung des Übergewichts zu sterben, senken. Jedes abgespeckte Kilo steigert die Lebenserwartung um drei bis vier Monate. Dennoch rät die Deutsche Adipositas-Gesellschaft zur Vorsicht. Einige Verfahren seien mit erheblichen Risiken verbunden. Derartige Operationen sollten grundsätzlich als letzte Möglichkeit bei stark Übergewichtigen und nur bei Erwachsenen vorgenommen werden. "Ob Magenband oder Bypass - bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist davon eher abzuraten", sagt auch Korenkov. "Bei ihnen sind prophylaktische Maßnahmen wie das Umstellen der Ernährung oder Sport viel wirkungsvoller, denn der Körper entwickelt sich noch."
Magenband
Zu den gängigsten Operationen gegen extremes Übergewicht gehört der Einsatz eines Magenbands. Etwa 1500 solcher Silikongürtel legen Chirurgen in Deutschland pro Jahr um die Mägen Fettleibiger. Früher musste für diesen Eingriff die Bauchdecke großräumig geöffnet werden. Heute operiert der Chirurg minimal invasiv. Das hat die Risiken während des Eingriffs selbst auf weniger als ein Prozent verringert. Das Band, das der Operateur per Endoskop einsetzt, trennt einen kleinen Teil des oberen Magens vom großen Restmagen und lässt dazwischen nur eine schmale Röhre offen. Je nachdem wie schnell und wie viel der Patient abnehmen soll, wird das Band enger oder weiter gestellt. Die Nahrung sammelt sich im Vormagen und rutscht nur sehr langsam durch das Nadelöhr. Weil der kleine vordere Teil schnell gefüllt ist und auf die Magenwand drückt, stellt sich schon nach wenigen Bissen ein Sättigungsgefühl ein. So bringt es den Patienten dazu, weniger zu essen. Bis zu 60 Prozent der Patienten sind ein Jahr nach der Operation zwei Drittel ihres Übergewichts los. Wer jedoch mit kalorienreicher Flüssignahrung wie Cola oder Milchshakes trickst, für den ist die Methode wenig erfolgversprechend.
Um das Gewicht zu halten, bleibt das Band lebenslang im Körper. Das beeinträchtigt natürlich Essgewohnheiten und vor allem den Lebensstil: Die Magenschlinge macht ein nettes Dinner mit Freunden nahezu unmöglich. Sie zwingt den Übergewichtigen, lange zu kauen, denn sonst passen die Nahrungsbrocken nicht durch den Engpass, drücken auf die Magenwand und verursachen Schmerzen. Essen Patienten auf Dauer mehr als das winzige Reservoir im Magen erlaubt, kann sich die Speiseröhre dehnen. Folgen sind schmerzhafte Entzündungen und Sodbrennen. Mitunter rutscht das Band im Laufe der Zeit nach oben, sodass es den Vormagen förmlich abklemmt. Der Patient bekommt keinen Bissen mehr herunter und sollte schleunigst einen Arzt aufsuchen. In sehr seltenen Fällen wächst das Band in die Magenwand ein und muss komplett entfernt werden.
Schlauchmagen
Deutlich einfacher verdaut der Patient nach einem Eingriff, bei dem der Magen operativ verkleinert wird. Der Chirurg durchtrennt ihn der Länge nach und näht ihn so wieder zusammen, dass von ihm nur eine lange, dünne Röhre übrig bleibt. Auch in diesem Fall setzt die Sättigung schon bei kleineren Portionen ein. Der sogenannte Schlauchmagen ermöglicht es dem Patienten aber, ganz normal zu essen, denn der Magen behält seine natürliche Peristaltik bei. Isst er nach der Operation jedoch auf Dauer viel mehr als es die enge Röhre erlaubt, dehnt sie sich und leiert aus. Vorbei ist es mit dem Abnehmen. Zudem kann die Klammernaht, mit der die Außenseite des Magens vernäht ist, zu bluten beginnen oder sich stellenweise sogar lösen, sodass der Magen "leckt".
Magenbypass
In bestimmten Fällen kombinieren Adipositas-Chirurgen magenverkleinernde Eingriffe mit sogenannten malabsorptiven Verfahren: Der Darmtrakt wird so umgebaut, dass weniger Nährstoffe aufgenommen werden können. Das hierzulande gängigste Kombi-Verfahren ist ein Magenbypass. Dabei wird der Magen im oberen Teil durchtrennt. Am Mageneingang bleibt ein etwa 25 Milliliter fassender Vormagen übrig, der mit einer hochgezogenen Schlinge des Dünndarms vernäht wird. Die Nahrung wird so auf direktem Wege in den Dünndarm befördert. Durch den großen Rest des Magens und den Zwölffingerdarm gelangt keine Nahrung mehr. Sie werden aber nicht entfernt, sondern bleiben mit dem Dünndarm verbunden und dienen als Zuleitung für Verdauungssäfte aus Galle und Bauchspeicheldrüse.
Je dichter der Vormagen mit dem Ende des Dünndarms verbunden wird, desto stärker wirkt sich die Operation aus. Denn je kürzer das Stück Dünndarm ist, durch den die Nahrung bewegt wird, desto weniger Zeit bleibt den Verdauungsenzymen, die Nahrung in ihre Bestandteile zu zerlegen. Was nicht zerlegt werden kann, scheidet der Körper wieder aus.
Im Schnitt etwa 75 Prozent ihres Übergewichts verlieren Patienten infolge dieses Eingriffs. Die Methode wird vor allem bei Adi¬pösen mit einem Body-Mass-Index über 45 durchgeführt und bei stark übergewichtigen Patienten mit Diabetes Typ II. Laut mehreren Studien müssen mehr als 80 Prozent der Patienten mit Diabetes etwa drei Monate nach der Bypass-Operation keine Medikamente mehr gegen die Zuckerkrankheit einnehmen. Der Preis: Die Patienten sind wegen der schlechteren Nährstoffverwertung nach dem Eingriff lebenslang darauf angewiesen, Vitamin- und Mineralstoffpräparate zu nehmen, da sonst schwere Mangelerscheinungen wie Blutarmut, Haarausfall oder Osteoporose auftreten können. Zudem besteht bei diesem wie bei anderen malabsorptiven Verfahren die Gefahr, dass die komplizierten Nahtstellen zwischen Magen und Darm platzen.
Duodenal Switch
Noch radikaler als ein Magenbypass ist der sogenannte Duodenal Switch. Bei ihm wird der Magen zu einem schmalen Schlauch verkleinert, der nur noch einem Viertel seiner normalen Größe entspricht. Diesen Restmagen verbindet der Operateur so mit einer Dünndarmschlinge, dass ein großer Dünndarmabschnitt aus der Nahrungspassage ausgeschaltet wird. Erst kurz vor der Einmündung in den Dickdarm kommen die Verdauungssäfte aus Bauchspeicheldrüse und Gallenblase mit dem Nahrungsbrei zusammen. "Mit diesem Eingriff lässt sich zwar der größte Gewichtsverlust erzielen", sagt Oberarzt Michael Korenkov, "aber er zählt auch zu den riskantesten Operationen des Magen-Darm-Traktes. Deshalb wird er meist nur bei sogenannten Superobese durchgeführt, das sind Adipöse mit einem BMI über 60." Durch die Operation werde massiv in die Stoffwechselvorgänge eingegriffen. Das könne unangenehme Begleiterscheinungen wie starke Durchfälle und Blähungen verursachen. Auch hier müssen die Patienten anschließend lebenslang Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin- und Mineralstoffen schlucken.
Magenschrittmacher
Ein neues, vielversprechendes Verfahren hat sich in klinischen Tests bewährt: die Magenstimulation. Dem Übergewichtigen wird ein Magenschrittmacher eingesetzt, dessen Elektroden pflanzt der Chirurg in die Magenwand. Die Impulse, die von dem Gerät ausgehen, wirken der Peristaltik entgegen, also der natürlichen Muskelbewegung, mit der der Nahrungsbrei weitertransportiert wird. So wird der Mageninhalt deutlich langsamer befördert, und der Patient verspürt weniger Appetit.
Dass der Schrittmacher beim Abnehmen hilft, konnten die Forscher bislang noch nicht belegen. Nachgewiesen wurde aber, dass der Apparat bei stark Übergewichtigen mit Typ-II-Diabetes die Symptome verbessert. Vermutlich weil sich dadurch die Hormonfreisetzung aus dem Magen-Darm-Trakt verändert und der Stoffwechsel so positiv beeinflusst wird.
Keines der Operationsverfahren reicht allein aus, um dauerhaft die Gesundheit schwer Übergewichtiger zu verbessern. Der Patient muss willens und bereit sein, sein Leben umzustellen. Immerhin ändern sich durch den Eingriff Anatomie und Verdauung enorm. Der Operierte kommt also gar nicht umhin, seine Essgewohnheiten und seinen Lebensstil zu verändern.