Verseuchte Spritzen sind einer Studie zufolge für mehr Aids-Infektionen in Afrika verantwortlich als ungeschützter Sex. Nur ein Drittel der Infektionen würden dort durch Sexualkontakte übertragen, berichtet die britische Royal Society of Medicine am Donnerstag. Die These beruht auf mehreren Beiträgen in der März-Ausgabe des "International Journal of Sexual Transmitted Diseases and Aids", die Statistiken afrikanischer Länder aufgreifen. Sie wird von einigen Forscher jedoch heftig kritisiert.
Nach Auskunft der Royal Society of Medicine sind in Afrika viele Kinder infiziert, ohne dass ihre Mütter unter der Immunschwäche leiden. In manchen Ländern sei dies bei 40 Prozent der HIV-infizierten Kinder der Fall, besonders in solchen, wo viele Kinder geimpft würden. Ausgerechnet die Länder mit dem besten Zugang zu medizinischer Versorgung hätten die höchste Aids-Rate. Und reiche, gebildete Schichten seien stärker betroffen als arme. "Die Verbreitung von HIV-Infektionen in Afrika ist eng verbunden mit dem Gesundheitswesen", schreibt die Medizinergesellschaft.
All dies widerspreche komplett allen jahrelang für sicher gehaltenen Meinungen über die Ausbreitung von Aids, gibt die Royal Society zu. Wieso die "wachsenden Beweise" bisher nicht gesehen wurden, erklären die Autoren der Studien psychologisch: "Die Menschen sehen oft nur, was sie sehen wollen." Dazu beigetragen haben könnten auch "westliche Vorurteile über afrikanische Sexualität".
Zweifel an der Aussagekraft der Daten und Furcht vor den Konsequenzen
Zuvor gingen Forscher davon aus, dass sich 90 Prozent der HIV-Infizierten in Afrika bei heterosexuellen Kontakten angesteckt hatten. Ende des Jahres 2002 trugen weltweit nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 42 Millionen Menschen das Aidsvirus in sich. 70 Prozent davon leben in den Ländern südlich der Sahara.
In britischen Zeitungen reagierten am Donnerstag einige Wissenschaftler kritisch auf den Bericht. Prof. Michael Adler von der University College London Medical School sagte in der "Times": "Es mag einen Anteil an medizinisch bedingten Infektionen geben, aber ich bezweifle sehr, dass er so groß ist wie angenommen." Die Daten, auf denen der Report basiert, seien veraltet und seine Schlussfolgerungen nicht belegt.
Der Epidemiologe Prof. Roy Anderson vom Imperial College in London ist sicher: "Die Zahl der Injektionen ist nicht entscheidend." Clive Evian, HIV-Experte in Johannesburg gibt zu bedenken: "Wenn Aids durch verunreinigte Nadeln übertragen würde, wären alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen betroffen. Wir finden die Krankheit aber vornehmlich in der sexuell aktiven Altersgruppe." Andere Mediziner weisen wiederum diese Auffassung zurück, denn die hohe Zahl infizierter Kinder sei unstrittig.
UN-Mitarbeiterin Cate Hankins warnte vor den Folgen der Studie: "Das schlimmste was jetzt passieren kann ist, dass die Menschen ihre Kinder nicht mehr impfen lassen oder keine Kondome mehr benutzen."