Mit 238,1 gab das Robert-Koch-Institut die Sieben-Tage-Inzidenz am Mittwochmorgen an – eine Zahl, bei der noch vor wenigen Monaten alle Alarmglocken geschrillt hätten. Inzwischen scheint Gewöhnung eingetreten. An die Vielzahl von Infektionen, an die vielen Toten (zuletzt 145 in 24 Stunden) – aber auch an ein Leben in weiten Teilen ohne Masken, Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen. Doch dieser Dienstag ist auch der Tag, an dem der Corona-Expertenrat der Bundesregierung warnt: Die Pandemie ist noch nicht vorbei, sie könnte im Herbst sogar noch an Fahrt aufnehmen – und wir sollten uns vorbereiten.
Empfehlungen des Coronavirus-Expertenrates
In Berlin hat das Gremium seine Empfehlungen für die kalten Jahreszeiten vorgestellt. Es geht offenbar auch darum, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, auch in puncto Kommunikation. Der Expertenrat hat für seine Überlegungen drei Szenarien zugrunde gelegt: Eine neue Variante, die zwar ansteckender, aber weniger kranmachend ist als Omikron. Eine ähnliche verlaufende Ausbreitung wie derzeit. Oder ein ungünstiges Szenario, bei dem eine neue Virusvariante eine höhere Übertragungsrate hat und zugleich schwerer krankmacht.
Als Ziele für den weiteren Verlauf der Pandemie – ganz gleich, unter welchen Voraussetzungen – sieht das Gremium, dass "alle präventiven, therapeutischen und anderen Maßnahmen auf den Beginn einer erneuten Infektionswelle im Herbst gerichtet sein (sollten), um diese möglichst frühzeitig zu dämpfen", konkret geht es den Expertinnen und Experten um:
- Die Vermeidung schwerer Krankheits- und Todesfälle, damit einhergehend den Schutz besonders gefährdeter Menschen.
- Die Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems.
- Die Vermeidung der Überlastungen der kritischen Infrastruktur.
- Die Vermeidung von Langzeitfolgen ("Long-Covid").
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Daraus haben die Mitgliederinnen und Mitglieder des Rates einstimmig fünf entscheidende Maßnahmen zur Vorbereitung auf den Herbst und Winter abgeleitet, es handelt sich ausdrücklich um Empfehlungen für die Politik:
- Datenerhebung und digitales Echtzeitlagebild: Die Infektionsdynamik, die Krankheitsschwere, die Belastung des Gesundheitssystems und die Verletzlichkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen sollten systematisch und detailliert erhoben werden. Eine "sehr gute Datengrundlage" sei die "Grundvoraussetzung" für ein gutes Pandemiemanagement, sagte Expertenrat-Mitglied Christian Karagiannidis auf der Pressekonferenz in Berlin.
- Datenanalyse und Prognose: "Echtzeitlagebilder" sollen einen stetigen Überblick über den Pandemieverlauf und die Belastung des Gesundheitswesens liefern – sowohl für Entscheidungsträgerinnen und -träger als auch für die Bevölkerung.
- Verhaltensmanagement und Kommunikation: Die vielleicht größte Schwäche des bisherigen Pandemieverlaufs soll ausgemerzt werden. Der Expertenrat fordert die "Etablierung einer handlungs- und nutzerorientierten, zwischen Bund und Ländern abgestimmten Kommunikations- und Verhaltensmanagementstrategie, die auch eine Intensivierung der Impfkampagne umfasst". Auch ein Ampelsystem sei denkbar, um die Bevölkerung zu informieren.
- Prävention: Die bekannten Infektionsschutzmaßnahmen (z. B. Abstand und Masken) und vor allem die Impfung sollen "die wichtigsten Maßnahmen (bleiben) um Infektionswellen möglichst flach zu halten". Allerdings: Die Quarantäne könnte in Zukunft nach Ansicht des Expertenrates auch entfallen.
- Weitere Maßnahmen: Hierzu gehören zum Beispiel die Bevorratung von Persönlichen Schutzausrüstungen, die Ausbildung von freiwilligen Helferinnen und Helfern in Krankenhäusern, die frühzeitige Verabreichung antiviraler Medikamente, die Entbürokratisierung klinischer Studien oder die Ausweitung von Impfangeboten. "Die Sicherung der sozialen Teilhabe durch Schul- und Kitabesuch sowie sportliche und kulturelle Aktivitäten muss weiterhin höchste Priorität genießen", heißt es in dem 23-seitigen Papier des Expertenrates.
Die Mitgliederinnen und Mitglieder des Expertenrates der Bundesregierung betonten, dass es ihnen nicht um kurzfristige Maßnahmen gehe, vielmehr stehe die Schaffung von nachhaltigen Strukturen im Vordergrund, um auch für zukünftige Epidemien gerüstet zu sein.
Der Expertenrat der Bundesregierung wurde im Dezember 2021 von der Ampel-Koalition ins Leben gerufen. Ihm gehören 19 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen an. Sie sollen die Bundesregierung in Fragen der Covid-19-Pandemie beraten und auch nicht-medizinische Fragestellungen in den Blick nehmen. Die Empfehlungen des Gremiums sind für die Politik nicht bindend. Die Regierungen von Bund und Ländern wollen ab Juli beraten, welche Maßnahmen sie für den Herbst und Winter ergreifen wollen.
Quellen: Coronavirus-Expertenrat der Bundesregierung: "Pandemievorbereitung auf Herbst/Winter 2022/23", Robert-Koch-Institut, Nachrichtenagentur DPA