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Goodbye, Glyphosat! Das kleine Dorf in Südtirol, das im Alleingang alle Pestizide verbietet

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Glyphosat ist seit Jahren das meist verwendete Unkrautvernichtungsmittel der Welt.
Allein in Deutschland werden jährlich über 5000 Tonnen genutzt.
Vor allem bei Raps, Hülsenfrüchten und Wintergerste kommt das Mittel zum Einsatz.


Glyphosat blockiert ein Enzym im Unkraut-Gewächs, das daraufhin abstirbt.
Es wird vor oder nach dem Anbau der Ernte auf das Feld gestreut. 


Die Wirkung von Glyphosat auf den Menschen ist seit Jahren Gegenstand von Diskussionen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte den Wirkstoff 2015 als "möglicherweise krebserregend“ ein.
Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stellt dagegen kein Krebsrisiko fest.

Wenn die EU heute wieder über Glyphosat streitet, kann es einem Dorf in Südtirol eigentlich egal sein: Mals hat in einer Volksabstimmung beschlossen, zur pestizidfreien Gemeinde zu werden. Eigentlich.

Die Äpfel leuchten kräftig, dunkelrot und erntereif, als der Bauer, der vor den Bäumchen steht, urteilt: "Sondermüll". Seit 30 Jahren baut Ägidius Wellenzohn im Südtiroler Vinschgau Äpfel an. Biologisch, ohne irgendeine Behandlung, wie er sagt - "und nun so etwas": Unbekannte haben seine Bäume mit Glyphosat besprüht. Jetzt steht Wellenzohn also in seiner Anlage, bröselt braune Blätter von seinen Bäumchen und blickt betreten in eine Kamera. Mutwillige Zerstörung, sagt er und vermutet: Das habe wohl mit seinem Einsatz "für diese Geschichte" zu tun.

Die Geschichte, von der Biobauer Wellenzohn in dem Video vom September spricht, begann vor drei Jahren - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung: In Mals - ein Dörfchen im Westen Südtirols, irgendwo zwischen Bergen und Wäldern und Apfelplantagen - sprachen sich rund drei Viertel der 4837 wahlberechtigten Bürger in einer Abstimmung dafür aus, zur pestizidfreien Gemeinde werden zu wollen. Es wäre die erste in Europa. Der Jubel von Umweltschützern und Alternativen, der vielfach auch außerhalb Südtirols aufbrandete, war so laut, dass er das Grummeln daheim erst zu übertönen vermochte. Die bessere Welt, von der alle sprachen, sie war plötzlich zum Greifen nah!

Die Gemeinde Mals im Vinschgau
Vor drei Jahren sprachen sich die Bewohner der Gemeinde Mals dafür aus, zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas zu werden
© Fotostand / Wagner/PICTURE ALLIANCE

Südtirol: Eine Gemeinde will pestizidfrei werden

Drei Jahre sind seit der Abstimmung nun vergangen und Ulrich Veith, der Bürgermeister von Mals, sagt, man befinde sich im Übergang. Ab Mitte April 2018 würden dann sämtliche chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel auf dem Gemeindegebiet praktisch verboten. "Das kommende wird das entscheidende Jahr", sagt er dem stern. Mals, die pestizidfreie Gemeinde - Veith sagt, er glaube an das Projekt, ja, so sehe die Zukunft aus. Und als Bürgermeister habe er nun mal seine Bürger schützen müssen.

Schützen vor Glyphosat, zum Beispiel. Weltweit setzen Landwirte den Wirkstoff des US-Riesenkonzerns Monsanto ein, um Unkraut zu vernichten - dabei steht das Mittel im Verdacht, möglicherweise krebserregend zu sein. Wissenschaftliche Studien kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen, die EU streitet seit Jahren über die weitere Zulassung des Mittels, die nächste Diskussion ist für Montag im Fachausschuss der EU-Staaten geplant. Die Zeit drängt: Die bisherige Zulassung für Glyphosat läuft am 15. Dezember aus. Auf den Wirkstoff angesprochen, sagt Bürgermeister Veith nur: "Das ist einer der ersten Stoffe, die wir verbieten werden." Wieder jubelt das alternative Lager. Alexander Schiebel spricht gar von einem "Wunder". 

Pestizide: Südtirols "giftiger" Sommer

Blickt der österreichische Autor und Filmemacher Schiebel auf Mals, sieht er ein Dorf voller Rebellen, charismatischer Querdenker, unerschrockener Widerständler im Kampf gegen eine unheilige Allianz aus konventioneller Bauernlobby, Agrarindustrie und Südtiroler Landespolitik. Er sieht Klein gegen Groß, David gegen Goliath, Macht gegen Demokratie. Was für ein Stoff! Nach der Pestizid-Abstimmung in Mals begann Schiebel mit Recherchen, zog ins Südtiroler Meran, um, eigenen Angaben zufolge, das unbeugsame Dorf vor Ort zu unterstützen, er drehte einen Film, er schrieb ein Buch. "Das Wunder von Mals" erschien Anfang September, 240 Seiten dick. Auf dem Buchcover posiert ein junger Mann mit Strohhut, der Blick entschlossen in die Ferne gerichtet. Auf seinem verdreckten T-Shirt steht "Victory Cup". Er sieht aus wie ein Freiheitskämpfer.

Der Kampf des Mannes mit Strohhut ist längst auch Schiebels Kampf. Als sein Film im September auf Arte gezeigt werden sollte, schrieb der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher einen Brief an den Sender und bezweifelte die Qualität der Arbeit. Für den Film seien Dinge inszeniert worden, wies er hin. Umweltaktivisten, die mit weißen Schutzanzügen und Mundschutz durch die Plantagen radeln, beispielsweise. Oder das vermeintliche Südtirol-Plakat, das der private Verein "Münchner Umweltinstitut" im Sommer am Stachus angebracht hatte: "Pestizidtirol" stand darauf. Arte zeigte den Streifen trotzdem. Kurz darauf zeigte Arnold Schuler, Südtirols Landwirtschaftslandesrat, Schiebel an. Der Vorwurf: üble Nachrede. "Es ist unerträglich", sagtSchuler dem stern, "in welches Licht die Südtiroler Obstwirtschaft und Südtirol selbst gerückt wurden." So unerträglich, dass sich seiner Klage mittlerweile auch Biobauern angeschlossen hätten, betont er. Biobauern!

Südtirol zwischen Apfel- und Almliebe

Südtirol sieht sich gerne als "Apfelparadies". Fast eine Million Tonnen Äpfel werden hier jedes Jahr geerntet - das sind rund zehn Prozent der gesamten europäischen Ernte. Der Apfel ist Südtirols Exportschlager, größter Absatzmarkt ist Deutschland. Doch daneben, oder darüber, ist Südtirol auch Urlaubsland, der Tourismus, so hört man in der Landeshaupstadt Bozen oft, sei der Motor der Wirtschaft. Und die meisten Gäste kommen - aus Deutschland. 

Wohl damit beides - intensive Obstwirtschaft und Urlaubsidyll - auch zusammenpasst, unterstreicht Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler immer wieder: Südtirol stehe gut da in Sachen Bio, ganz ohne Pestizid-Votum, Zwang durch Abstimmung bringe gar nichts, sagt er, Überzeugung hingegen alles. Jeder zweite Bio-Apfel in der EU stammt schon jetzt aus dem kleinen Land südlich des Brenners. Und: "Wir haben keine Industriebetriebe", sagt er, "sondern kleine Familienbetriebe mit 2,5 Hektar Fläche, die alles dafür tun, ihr Kapital - den Boden - zu erhalten."

Hört Filmemacher Schiebel Schuler reden, widerspricht er vehement. Schiebel spricht von schrecklichen Monokulturen und schreibt von Giftwolken, er redet von Pestizid-Rückständen auf benachbarten Bio-Anbauflächen, auf Radwegen und auf Spielplätzen. Und Schiebel redet viel in diesen Wochen unmittelbar nach der Buchveröffentlichung, redet mit mit dem Deutschlandradio, dem linksgerichteten Neuen Deutschland. "Die Bevölkerung macht sich Sorgen", sagt er dem Bayerischen Rundfunk. "Es ist wirklich ein unheimlicher Anblick in Südtirol: diese endlosen Apfelreihen, dazwischen fahren Traktoren, da spritzt etwas heraus und man weiß natürlich nicht was."

Mals: Die Zukunft ist Bio, sagt der Bürgermeister

Nicht alles, was Alexander Schiebel in seinem Buch niedergeschrieben hat, hätte er so formuliert, sagt Ulrich Veith, einige Aussagen gingen zu weit. Auch das "Pestizidtirol"-Plakat in München hätte der Bürgermeister sicher nicht angebracht, "völlig falscher Weg", erklärt er, denn "wenn Südtirolern gegen das Schienbein gestoßen wird, stoßen sie zurück." Aber: Die Grundausrichtung des Buches stimme schon, meint er, es halte dem Land den Spiegel vor. "Südtirol müsste die Chance der Diskussion nutzen und zu einer Vorreiter-Region in Sachen Bio werden", glaubt Veith, auch die Landespolitik müsse dies erkennen.

Für das kommende, das entscheidende Jahr rechnet der Malser Bürgermeister noch einmal mit richtig Gegenwind: Konventionelle Bauern, "Hardliner" nennt er sie, würden mit Sicherheit gegen die Pestizid-Verordnung der Gemeinde vorgehen, sagt er, dann gehe es eben vor Gericht. Veith ist auch zu diesem Konflikt bereit. Er sieht seine Gemeinde auf dem richtigen Weg. Einige Milchbauern hätten nach der Abstimmung ihre Betriebe umgestellt, sagt er und erzählt von biologischen Anbaubetrieben für Gemüse und Kräuter, die es nun gebe, von einer Biobäckerei und von zwei biologischen Genossenschaften. Die Gegenwart setze immer mehr auf Bio, die Zukunft sowieso. "Ich könnte jeden Tag einen Vortrag halten", sagt der Bürgermeister der kleinen Gemeinde. "In Indien, Japan, den USA."

Zuhause bei Ägidius Wellenzohn sind die USA weit weg - und manchmal auch Bozen. Im November kündigten dort Bauernbund und Bioverbände an, die Bioflächen in Südtirol verdoppeln zu wollen, bis 2025. Auch Landesrat Schuler stand vor den Mikrophonen und erinnerte wieder: jeder zweite Bioapfel, in Europa, aus Südtirol. Wellenzohn betreffen solche Pläne schon lange nicht mehr. Er setzt auf Bio, seit 1987, weil er überzeugt ist. Er sagt Dinge wie: "Ein Apfelbaum ist wie ein Mensch. Um nicht krank zu werden ist Ernährung das Um und Auf." Die 11.000 Kilogramm Apfel, die Noch-immer-Unbekannte mit Glyphosat besprüht hatten, ließ er noch im September entsorgen. Eine Spezialfirma aus Italien holte sie ab.

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