Hirschhausens Sprechstunde Ein Missverständnis namens Mama

Das Wort "Mama" wird den Kleinen praktisch schon in die Wiege gelegt
Das Wort "Mama" wird den Kleinen praktisch schon in die Wiege gelegt
© Colourbox
Plappert das Kind die ersten Worte, sind Eltern verzückt. Besonders "Mama" und "Papa" sorgen für ein Strahlen im Gesicht. Doch hinter dem Lallen steckt keine tiefere Absicht - so ernüchternd das auch klingen mag.

Warum heißen Mütter überall auf der Welt "Mama"? Auf Suaheli, in Ecuador, China, ja, selbst in Bayern treffen Sprachforscher auf den Doppelklang. Woher diese Übereinstimmung? Gab es eine Ursprache, von der wir alles vergessen haben außer diesem einen, dem wichtigsten Wort?

Während sich schlaue Menschen schon mal Gedanken machen, was ihre letzten Worte dereinst bedeuten sollen, machen sich Babys auf gut Deutsch überhaupt keine Gedanken darüber, was ihre ersten Worte bedeuten. "Erste Lallphase" nennt sich logopädisch korrekt, was Eltern ab dem zweiten Lebensmonat zu hören bekommen, und wenn es schlecht läuft mit der Erziehung, kann die Lallphase auch ein Leben lang dauern. Die Kinder probieren aus, was von all den Lauten, die sie hören, ihr eigener Stimmapparat hergibt, und um das erste Lebensjahr herum ist "Mama" automatisch irgendwann dabei. Das Wort wird den Kleinen von der Anatomie des Sprechapparates in die Wiege beziehungsweise in den Mund gelegt.

Anerkennung nach schlaflosen Nächten

Mama ihrerseits legt ihr Bedürfnis, nach all den schlaflosen Nächten ein bisschen Anerkennung zurückzubekommen, ebenfalls in dieses Wort. Und wenn nach "Mama" auch bald "Dada" sprechbar wird, nehmen die Väter das, was für sie übrig bleibt. Überall? Nein, auf Pitjantjatjara in Australien, in Guatemala und in Regionen des Kaukasus ist es umgekehrt: Da heißt der Vater "mam(a)" und die Mutter zum Beispiel "deda". Keine Ahnung, ob sich da die Väter in der Früherziehung besonders einsetzen, aber das wäre doch ein linguistischer Hinweis auf die Wirksamkeit der Erziehungsmonate.

Zeichen von Hochbegabung wies angeblich schon im Mutterleib das sogenannte Wunschkind von Bekannten von mir auf: Es winkte beim Ultraschall und gähnte dann, um seine mentale Unterforderung zu demonstrieren. Jetzt bekommt es im ersten Lebensjahr Lateinunterricht, wegen der anderen Sprachen, die man dadurch leichter lernt. Nur im Mündlichen hapert es, seine Sätze sind nicht ganz leicht zu verstehen. Vorsichtshalber nehmen sie die beiden Übereltern mit einem Diktiergerät auf. Wenn das Kind mal richtig sprechen kann, können sie es fragen, was es damals der Welt mitteilen wollte.

"Mama" heißt "Haben!"

Im Ernst: Eltern können sich schlichtweg nicht vorstellen, dass hinter dem Lallen keine tiefere Absicht steckt, und bemühen sich deshalb, einen Sinn hineinzulegen. Nüchtern betrachtet, geht es den kleinen Säugern jedoch vor allem um die permanente Versorgung, sei es mit Muttermilch, Karotten, Maniok oder Weißwurst - immerhin das ist von Kanton zu Kanton verschieden. Wie ich unlängst bei meiner einjährigen Patentochter beobachten konnte, taucht "Mama" primär in zwei Bedeutungen auf: "Haben!", und: "Noch mehr haben!" Die Differenzierung erfolgt durch Lautstärke. Das einzig Universelle an "Mama" ist also, dass Menschen gern hören, was sie hören wollen, weltweit.

Das Phänomen macht auch vor Männern nicht halt. Der geschätzte Kollege Axel Hacke belegt das in seiner Sammlung von Verhörern rund um den weißen Neger Wumbaba. Die Liedzeile von Heinz Rudolf Kunze "Dein ist mein ganzes Herz, du bist mein Reim auf Schmerz" mutierte im Verständnis eines Altpapas zu "Du bist mein Rheumaschmerz!".

GesundLeben
Eckart von Hirschhausen

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