VG-Wort Pixel

Geniale Ideen Von Legasthenikerin zur Begabtenförderung: Aruna Sherma entwickelt mit 16 Jahren ein ungiftiges Kontrastmittel

Porträt Aruna Sherma
Aruna Sherma las in ihrer Freizeit Einführungsbücher für Chemie und Physik
© Max Arens
Preisträger von Jugend forscht und dem Deutschen Gründerpreis erzählen ihre Geschichte. Diesmal: Aruna Sherma, 20, belegte den zweiten Platz im Physik Bundesfinale von Jugend forscht mit einem ungiftigen Kontrastmittel.
Aufgezeichnet von Doris Schneyink

Meine Noten in der Grundschule waren miserabel. Ich hatte große Mühe, die Buchstaben und Laute zu unterscheiden. Meine Lehrer dachten, das Problem sei, dass meine Eltern aus Indien kommen und wir zu Hause fast nur Hindi sprechen. Dabei war ich Legasthenikerin, das wurde nur erst sehr spät diagnostiziert – wie bei vielen Kindern mit Migrationshintergrund. Ich bekam keine Gymnasialempfehlung und erhielt auf der Stadtteilschule Förderunterricht. Ich habe mich oft ziemlich dumm und entmutigt gefühlt. Damals trauten mir viele nicht mal den Hauptschulabschluss zu. Das Alphabet habe ich schließlich in einer Legasthenie-Therapie gelernt, und in der Mittelstufe merkte ich dann, dass Lesen mir großen Spaß macht.

Durch Zufall stieß ich auf Kontrastmittel und deren Gefahr ... 

Ich habe mich eigentlich für alles interessiert. Philosophie, Chemie, Physik, Mathe, Botanik. In meinem Zimmer habe ich Geräte gebaut, um bestimmte Extrakte von Nachtschattengewächsen herzustellen. Eine Lehrerin meinte, ich könnte doch mal in die Hamburger Staatsbibliothek gehen. Das hab ich dann gemacht und nachmittags Einführungsbücher für Chemie und Physik gelesen.

In meinen Klassenarbeiten hat man das natürlich gemerkt, plötzlich stand ich in allen Fächer auf Eins, nur in Deutsch hatte ich eine Zwei und Sport – na ja. Ich kam in eine Begabtenförderung. Und die Lehrer schickten mich zum Schülerforschungszentrum.

Als sie mich dort fragten, was ich machen wollte, sagte ich, etwas mit Magnetismus. Ich hatte mich eingelesen in die Magnetresonanztomografie und in die physikalischen Phänomene, auf denen dieses Verfahren beruht. Mit einem MRT-Gerät macht man hochauflösende Bilder vom Inneren des Körpers. Durch Zufall stieß ich auf einen Artikel über Kontrastmittel. Die werden Patienten gegeben, damit die Bilder besser werden. Aber sie enthalten ein toxisches Metall: Gadolinium. Es kann sich im zentralen Nervensystem ablagern. Deswegen sollte es in der niedrigsten Dosis gegeben werden.

... das Problem wollte ich lösen ...

Mein erster Gedanke war: Warum löst man das Problem nicht und nimmt ein anderes Metall? Aber das ist nicht so einfach. Ich habe lange nach Alternativen gesucht und irgendwann in der Nanophysik einen Ansatz gefunden. Nanopartikel sind unvorstellbar winzig. Aber sie können superparamagnetische Eigenschaften entwickeln und das Gadolinium sogar übertreffen. Da wusste ich, okay, ich brauche meine eigenen Nanopartikel. Ich war fest überzeugt von meiner Idee.

Über Kontakte zu einem Professor durfte ich schließlich im Nanopartikel-Labor der Uni Hamburg meine eigenen Teilchen herstellen. Das ist ein bisschen wie kochen, nur dass der Prozess extrem empfindlich ist. Stimmt etwas nicht mit Temperatur oder Sauerstoffgehalt oder einem der vielen anderen Parameter, schwanken die Partikel in ihrer Größe. Es ist auch sehr schwierig, sie zu stabilisieren.

Ich habe monatelang daran gearbeitet. Als ich dann zum ersten Mal meine Nanopartikel unter einem speziellen Spektroskop sah, war das ein überwältigendes Glücksgefühl. Nun musste ich nur noch herausfinden, ob mein Kontrastmittel auch verträglich war. Ich brauchte einen Toxizitäts-Test, der an lebenden Zellen durchgeführt wird.

... und tat es mit Erfolg!

Ich habe dann ganz viele Unis und Labore angeschrieben, bekam aber nur Absagen. Schließlich erklärten sich zwei Wissenschaftlerinnen vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf bereit. Als sie mich sahen, eine 16-jährige Schülerin, mussten sie lachen. Sie dachten, ich sei eine Studentin, die ihre Masterarbeit schreibt.

Sie waren aber total nett und meinten, sie könnten mich zwar nicht ins Labor hineinlassen, aber sie würden das Mittel an embryonalen Zellen für mich testen. Im Gegenzug sollte ich ihnen einen Kuchen backen. Das hab ich natürlich getan. Es war ein Marmorkuchen.

Die Ergebnisse waren gut – mein Mittel ist ungiftig. Ich würde gern noch weitere Testreihen durchführen. Aber inzwischen habe ich ein Physikstudium in Hamburg angefangen und wenig Zeit. Die Auszeichnung durch Jugend forscht war für mich ganz wichtig, weil ich dadurch Menschen kennenlernen konnte, die mich verstehen. Das war nämlich immer mein größtes Problem: andere davon zu überzeugen, dass ich das jetzt wirklich durchziehe.

Erschienen in stern 13/22

Mehr zum Thema

Newsticker