Dem Jungen Billy Caldwell hat eine auf Cannabis basierende Therapien geholfen, seine Epilepsie in den Griff zu bekommen. Der Kinderarzt und Neurologe Stephan König erklärt, in welchen Fällen so eine Therapie Sinn hat und welche Gefahren und Probleme lauern.
Cannabis Ist medizinisches Cannabis für Kinder mit Epilepsie eine sinnvolle Therapie?

Epilepsie ist keine Krankheit, sondern es ist ein Symptom. Und so ähnlich wie es für Fieber hundert verschiedene Ursachen gibt, so gibt es für Epilepsien hundert verschiedene Ursachen.
Es kann eine Fehlbildung im Gehirn sein, dass Zellen nicht dorthin gewandert sind, wo sie hätten ankommen sollen. Das kann sein ein genetischer Defekt, das kann ein Tumor sein. Das kann eine abgelaufene Entzündung sein. Es kann eine Stoffwechselkrankheit sein, eine neurodegenerative Erkrankung. Also es gibt eine ganz große Anzahl von verschiedenen Ursachen und letztlich ist es wirklich nur ein Symptom.
Ist die Behandlung von Epilepsie bei Kindern mit Medikamenten auf Cannabis-Basis grundsätzlich wirksam?
Es ist definitiv eine Möglichkeit. Es gibt auch wissenschaftliche Studien, die das gezeigt haben. Es gibt eine Studie aus New York, da wurden Kinder mit Dravet-Syndrom untersucht. Dabei waren über 100 Kinder. Von ihnen haben 40 Prozent eine mehr als 50-prozentige Anfallsreduktion gezeigt. Und das ist schon bei einer Epilepsie, die durch einen genetischen Defekt ausgelöst wird, ein sehr, sehr gutes Ergebnis. Es gibt auch eine ganze Reihe anderer Studien, die zeigen, dass Cannabis für einzelne Indikationen einzelner Patienten auch eine gute Behandlungsmöglichkeit ist, aber auch nicht für alle. Und man muss auch wissen, dass es paradoxe Verschlechterungen bei Cannabis gibt. Das gilt noch viel mehr für das Naturprodukt, in dem hundert verschiedene Substanzen vermischt sind, als für die Behandlung mit Reinsubstanzen wie Cannabidiol.
Welche Auswirkung hat Cannabis auf die Entwicklung von Kindern?
Das ist eine wichtige Frage, weil Cannabis eine negative Wirkung hat, auch auf sich entwickelte Gehirne. Man kann in Tierversuchen messen, dass das Volumen von mit Cannabis behandelten Mäusen in Teilbereichen des Gehirns schrumpft. Wir haben eine Atrophie vom Mandelkern oder dem Hippocampus - wichtigen Teilen des Gehirns auch für die Epilepsieentstehung. Auch die weiße Substanz ist reduziert. Wenn man Cannabis Erwachsenen oder jugendlichen Patienten gibt, dann führt es auch zu Konzentrationsstörungen, insbesondere das Wortgedächtnis scheint beeinträchtigt zu sein. Die Patienten haben Probleme zu lernen, sich etwas zu merken. Für ein normal entwickeltes Kind, das in die Regelschule geht, ist es deshalb nicht ernsthaft eine Option. Zumal es das Risiko für Schizophrenien und Psychosen verdoppelt und das Risiko für Angststörungen versechsfacht.“
Seit März 2017 ist es möglich Cannabis auf Rezept zu verschreiben. Was hat sich seitdem für Sie als Arzt verändert?
Im Grunde hat sich nicht viel verändert. Es ist richtig, man kann das Rezept verschreiben, man bekommt es dann auch in der Apotheke. Damit ist der Vorgang aber nicht abgeschlossen, weil die Krankenkasse bis vier Jahre rückwirkend beschließen kann, dass ihnen ein Medikament nicht gefallen hat oder es als nicht adäquat erschien und dann kann die Krankenkasse das Medikament in Regress nehmen. Weil das so ist, hat sich im tatsächlichen Ablauf nichts geändert, denn man muss sich eine Kostenzusage holen. Und ohne Kostenzusage Cannabis aufzuschreiben, das wäre selbstmörderisch.
Was macht die Verschreibung von Cannabis so schwierig?
Die Formulierung für die Verschreibungspflicht von Cannabis heißt, „wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind“. Und diese Formulierung ist butterweich. Sie wird ja auch nicht von einer objektiven Stelle entschieden, sondern von der Krankenkasse und vom medizinischen Dienst, den die Krankenkassen eingerichtet haben, damit er in ihrem Sinne entscheidet. Tatsächlich muss man es beantragen, die Genehmigung abwarten und dann kann man behandeln. Aus der Not heraus Therapien dennoch anzubieten, habe ich selber vor vielen Jahren schon einen Verein gegründet. Ich mache es dann immer so, dass ich die ersten Monate vom Verein bezahle. Bei manchen Medikamenten klappt es sehr gut mit der Kostenübernahme. Bei Cannabis klappt es sehr schlecht, aber dann kann ich es durch den Verein vorübergehend bezahlen.