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Plötzlicher Kindstod Schicksalsschlag aus heiterem Himmel

Der plötzliche Kindstod nimmt Eltern das größte Glück im Leben
Der plötzliche Kindstod nimmt Eltern das größte Glück im Leben
© Colourbox
Es passiert während des Schlafs: Das Baby hört auf zu atmen, einfach so. Die Eltern bleiben verstört zurück. Der plötzliche Tod sorgt für Selbstvorwürfe und Verdächtigungen.

Fast immer passiert es während des Schlafs: im Kinderbett, im Kinderwagen oder im Tragetuch, während der Nacht oder beim Mittagsschlaf. Die Kinder sterben - unbemerkt, einfach so. Der plötzliche Säuglingstod trifft die Familien aus heiterem Himmel. Das Kind war nicht krank, und auch im Nachhinein findet neimand Ursache für seinen Tod.

Forscher rätseln nach wie vor, warum Babys ohne ersichtlichen Grund sterben können. Zwar sind für die Risikofaktoren für den plötzlichen Kindstod bekannt. Wissenschaftlerinnen haben auch Gene gefunden, die eine Rolle spielen könnten. Doch eine einzige wahre Ursache für das Geschehen, auch Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) genannt, kennen Fachleute bislang nicht. Offenbar kommen die körperliche Verfassung des Kindes und Einflüsse aus der Umgebung zusammen - und verursachen schließlich ein tödliches Finale.

Im ersten halben Jahr leben Säuglinge besonders riskant, gefährdet sind sie vor allem während des zweiten bis vierten Lebensmonats. Tendenziell sterben mehr Jungen am plötzlichen Kindstod als Mädchen. Ein großer Teil der Kinder war zum Zeitpunkt des Todes leicht krank: Sie waren erkältet, hatten Durchfall oder hatten sich erbrochen; viele Eltern berichteten, ihre Kinder seien irgendwie angeschlagen gewesen.

Heute warnen Poster in jeder Kinderarzt-Praxis

Fast nirgendwo in Europa starben Ende der achtziger Jahre so viele Kinder am plötzlichen Säuglingstod wie in Deutschland. Das veranlasste Wissenschaftler, die Lebensweise der gestorbenen Kinder zu vergleichen mit der von Überlebenden. Dank der damaligen Erkenntnisse schlagen seit Jahren Elterninitiativen Alarm, engagieren sich Ärzte und Hebammen gegen den Todesschlaf. So kennt heute fast jede Mutter und jeder Vater die Botschaft auf dem Poster im Wartezimmer der Kinderärztin: Das Schlafen in Rückenlage und im Schlafsack kann lebensrettend sein.

Durch die Aufklärungsarbeit ist die Anzahl der toten Kinder in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen. Vor Jahrzehnten starben etwa 1300 Kinder in Deutschland pro Jahr plötzlich ohne ersichtlichen Grund, jetzt sind es nur noch etwa 250. Dennoch: Der Krippentod ist noch immer die am häufigsten vorkommende Todesart bei Babys, die unter einem Jahr alt sind.

Ursachen

Die Kinder sterben fast immer während sie schlafen. Forscherinnen und Ärzte vermuten daher, dass eine Atemstörung während des Schlafens eine Rolle spielt: Offenbar vergessen die Kinder zu atmen. Dann können weitere äußere oder innere Einflüsse dazu führen, dass das Kind stirbt.

Fachleute versuchen das Geschehen so zu erklären: Die Atemschwäche führt zu Sauerstoffmangel und damit zu einem verlangsamten Herzschlag. Weil keine frische Luft eingeatment wird, steigt die Konzentration von Kohlendioxid im Blut. Normalerweise ist dies der stärkste Anreiz für den Körper, um aufzuwachen und weiter zu atmen.

Doch manche Kinder verfallen lediglich in eine Schnappatmung. Und nicht einmal dieses abrupte Schnappen nach Luft weckt die Kinder auf. Letztendlich ersticken sie, weil sie nicht aufwachen. Möglicherweise ist das Atemzentrum im Gehirn bei bestimmten Kindern noch nicht reif genug, um im Notfall richtig zu reagieren.

Viele Puzzlesteine ergeben noch kein Muster

In den vergangenen Jahren haben viele Wissenschaftler nach der Ursache für diese Atemschwäche geforscht - bislang erfolglos. Ein Mangel an Serotonin wurde von manchen angenommen. Dieser Gehirnbotenstoff spielt eine Rolle bei der lebensrettenden Weckreaktion des Körpers. Am Herzen betroffener Kinder fanden Forscherinnen Zellschäden - defekte Ionenkanäle -, die den Herzschlag verändern.

Doch keine der Ursachen ist allein verantwortlich. Die bisher gefundenen Puzzlesteine können nicht das gesamte Geschehen erklären. Es treffen immer mehrere Umstände zusammen, bevor der Säugling plötzlich stirbt: etwa bei einem Kind, das auf dem Bauch liegt, einen Mangel am Gehirnbotenstoff Serotonin aufweist und sich außerdem in einer kritischen Entwicklungsphase befindet.

Ein paar Umstände gelten als besonders gefährlich:

  • die Mutter raucht während der Schwangerschaft und danach,
  • sie nimmt Drogen;
  • das Kind wog bei der Geburt nicht mal zwei Kilo,
  • es war eine Frühgeburt oder Mehrlings-Geburt,
  • der Mutterkuchen war nicht in Ordnung;
  • die Mutter stillt zu früh ab oder stillt nicht.

Gefährdet sind auch die Kinder, deren Mütter jünger als 20 Jahre sind und die ein Geschwisterkind haben, das bereits am plötzlichen Kindstod gestorben ist.

Diagnose

Nicht immer liegt die Todesursache so klar auf der Hand wie bei den vernachlässigten und misshandelten Kindern, deren Fälle bisweilen an das Licht der Öffentlichkeit kommen. Den plötzlichen Kindstod feststellen kann letztlich nur ein Pathologe oder eine Gerichtsmedizinerin. Diese Todesart wird dann bescheinigt, wenn sich bei der Leichenschau keine andere Erklärung für den Tod findet.

Betroffene Eltern sollten die Leiche ihres Kindes von Fachkräften genau untersuchen, also obduzieren lassen. Denn Kinder können auch aus anderen Gründen sterben. Schließlich gibt es Ursachen, die vielleicht einfach nicht erkannt wurden, beispielsweise eine Lungenentzündung, eine Stoffwechselstörung oder ein falsch gewachsenes Herz.

Elternverbände, Ärzte und Rechtsmedizinerinnen empfehlen allen Eltern, deren Kind plötzlich gestorben ist, den Leichnam obduzieren zu lassen. Das schafft bis zu einem gewissen Umfang Klarheit. Die Untersuchung kann Schuldgefühle nehmen und möglichen Vorwürfen aus Familie und Nachbarschaft vorbeugen.

Vorbeugung

Das wohl größte Risiko für den plötzlichen Kindstod besteht dann, wenn Ihr Baby auf dem Bauch schläft. Fachleute vermuten, dass Babys in Bauchlage eher ersticken können, weil ihr Hustenreflex in dieser Position nicht so gut funktioniert.

Ende der 60er Jahre hatten vor allem Orthopäden die Bauchlage empfohlen - mit der Begründung, sie stärke die Rückenmuskulatur. Auch Kinderärzte und Hebammen hielten diese Lage lange Zeit für günstig: Die Kinder, so hieß es, könnten im Schlaf Erbrochenes nicht einatmen. Außerdem entwickelten sich Kinder, die auf dem Bauch schlafen, besser hinsichtlich ihrer Bewegungsabläufe.

Doch bereits in den siebziger Jahren rieten Kinderärzte in der DDR, Säuglinge zum Schlafen auf den Rücken zu drehen. Babys wurden in Ostdeutschland schon in ihren ersten Lebenswochen in Krippen und Tagesheimen betreut; starb dort ein Kind, wurde es obduziert. So fanden Pathologen schnell heraus, dass die Bauchlage tödlich sein kann. Ab 1972 durften Kinder in die staatlichen Kindergärten der DDR nur noch auf dem Rücken liegen. Im Westen dagegen propagierten Mediziner und Hebammen weiterhin das Gegenteil - den Empfehlungen aus den USA folgend. Nach der Wiedervereinigung glichen sich die Zahlen zum plötzlichen Kindstod im Osten innerhalb weniger Jahre den höheren westlichen Zahlen an.

Babys können Erbrochenes nicht gut aushusten

Heute wissen Fachleute: Schläft jemand auf dem Bauch, liegt die Luftröhre unter der Speiseröhre. Der Schwerkraft folgend, fließt Erbrochenes also in die Luftröhre. Außerdem funktioniert bei Babys, die auf dem Bauch liegen, der lebensrettende Hustenreflex nicht so gut: Das Erbrochene wird dann nicht mehr aus der Luftröhre hinausgeschleudert. Hinzu kommt, dass Säuglinge auf dem Bauch viel tiefer schlafen als in der Rückenlage. Daher können sie Erbrochenes noch eher einatmen, ohne dass der Körper reagiert.

Dem Argument der schnelleren motorischen Entwicklung halten Kinderärzte heute entgegen, das sich das in den nächsten Lebensjahren von alleine korrigiere. Dass Bauchlagen-Kinder besser einschlafen und durchschlafen, ändert nichts daran, dass diese Lage das größte Risiko für den Krippentod darstellt.

Säuglinge sollten daher vor allem in den ersten sechs Lebensmonaten in Rückenlage schlafen. Trainieren Sie die Bauchlage und das Zurückdrehen auf den Rücken mit Ihrem Kind, wenn es wach ist. Das stärkt die Muskeln, die es dafür braucht.

Im Bett: Mütze ab, Kissen raus!

Kinder, die noch kein Jahr alt sind, sollten so im Bett liegen, dass ihr Kopf nicht durch Bettzeug verdeckt werden kann. Das erreichen Sie am einfachsten, indem Sie Ihr Kind in einen Schlafsack stecken. Denn es ist extrem gefährlich, wenn Kopfkissen, Kuscheltiere, Bettdecke, Fell oder Mullwindel das Atmen behindern. Die natürliche Neugier der Kinder steigert diese Gefahr: Säuglinge greifen nach allem, um es sich über den Kopf zu ziehen. Die erwähnten Gemütlich-Macher haben deshalb nichts im Kinderbett zu suchen.

Säuglinge brauchen im Bett kein Mützchen. Denn über den Kopf müssen sie Wärme abgeben. Die Temperatur im Schlafzimmer Ihres Kindes sollte zwischen 16° und 18° Grad Celsius liegen. Ob es Ihrem Kind warm genug ist, können Sie am besten zwischen den Schulterblättern oder im Nacken fühlen. Während des ersten Lebensjahres schläft Ihr Kind am besten in Ihrem Schlafzimmer, aber in seinem eigenen Bett. Lüften Sie das Schlafzimmer Ihres Kindes oft: Frischluft sorgt für ausreichend Sauerstoff.

Matratzen ohne Chemie sind für Babys am besten

Empfehlenswert sind Matratzen, die bestimmte Chemikalien nicht enthalten: Dazu gehören Flammschutzmittel sowie Weichmacher aus Arsen-, Antimon- oder organischen Phosphor-Verbindungen. Es gibt Matratzenhüllen aus Polyethylen, die vor diesen Schadstoffen schützen sollen.

Von solchen Hüllen raten Fachleute ab, weil die Atemluft dann schlechter zirkuliert: Das Kind atmet dann die Luft ein, die es zuvor ausgeatmet hat; zudem steigt das Risiko, dass sich die Atemluft übermäßig erwärmt. Aus den gleichen Gründen raten Experten von wasserdichten Unterlagen für Matratzen ab - es sei denn, Ihr Kind ist älter als zwei Jahre.

Stillen ist gut, rauchen nicht

Stillen Sie Ihr Kind möglichst bis zum sechsten Monat. Muttermilch schützt vor Infekten und Allergien. Bieten Sie Ihrem Kind ruhig einen Schnuller an. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ein Schnuller das Risiko für den plötzlichen Kindstod verringert.

Mit jeder gerauchten Zigarette steigt das Risiko, dass Ihr Kind plötzlich stirbt. Das Nikotin und die anderen Giftstoffe lagern sich überall ab, auch im Schlafzimmer und im Babybett. Weder Sie als Eltern sollten rauchen, noch Familie oder Freunde, die zu Besuch kommen. Verzichten Sie deshalb möglichst ganz darauf.

Expertenrat

Professor Gerhard Jorch, Direktor der Kinderklinik der Universität Magdeburg, antwortet
Warum kommen Wissenschaftler den Ursachen für den plötzlichen Säuglingstod nicht auf die Spur ? Das liegt vor allem daran, dass der plötzliche Kindstod keine echte Diagnose ist. Vielmehr ist er ein Sammelbegriff, der den Umstand beschreibt, dass ein Säugling plötzlich und unerwartet tot aufgefunden wird. Deshalb wird man auch zukünftig vergeblich darauf warten, eine einzige Ursache zu finden. Immerhin konnten wir schon so viele Risikofaktoren identifizieren, dass die Todesrate drastisch gesunken ist. Waren es Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre noch an die 1300 Kinder, sterben jetzt nur noch um die 250 pro Jahr in Deutschland. Damit will ich keinesfalls sagen, dass wir aufhören sollten, nach weiteren Ursachen zu forschen. Jeder tote Säugling ist einer zu viel. Aber wir haben schon viel erreicht. In keinem anderen Bereich der Kindermedizin konnten wir die Anzahl der Todesfälle so drastisch senken wie hier.

Was soll ich machen, wenn mein Kind sich immer wieder von selbst auf den Bauch dreht?

Viele dieser Säuglinge sind schon älter und haben die gefährlichsten ersten sechs Monate überstanden. Die Eltern sollten sich nicht verrückt machen - und einfach versuchen, alle anderen Risikofaktoren wie Bettzeug mit Überdeckungsgefahr, überheiztes Zimmer und Rauchen zu vermeiden. Auf keinen Fall sollten sie das Kind festbinden. Durch einfache Säuglingsgymnastik im ersten Lebenshalbjahr mit Übung der Bauchlage im Wachzustand kann die Muskulatur gestärkt werden und das Kind vor Atemstörungen beim Umdrehen in die Bauchlage geschützt werden.

Sind Matratzenüberzüge, Bewegungswächter und Monitoring sinnvoll?

Bisher gibt es keine Untersuchung, die den Nutzen von Monitoring und Bewegungswächtern bestätigt. Es sind auch schon Kinder bei eingeschalteten Monitor-Geräten gestorben. Dennoch kann es unter Umständen Sinn machen, ein Kind mit einem Monitor zu überwachen. Von Matratzen-Überzügen halte ich grundsätzlich nichts. Sie verhindern lediglich, dass die Ausatemluft des Kindes zirkuliert.

Kann eine Impfung Ursache für den Krippentod sein?

Ursprünglich hat man das Impfen verdächtigt, eine Rolle beim plötzlichen Kindstod zu spielen. Diesen Zusammenhang stellte man her, weil viele Kinder in der ersten sechs Lebensmonaten sterben - einer Zeit also, in der eine Vielzahl von Impfungen stattfindet. Mittlerweile hat man allerdings dieses Phänomen überprüft und festgestellt, dass geimpfte Kinder sogar seltener durch SIDS, den plötzlichen Kindstod, sterben. Ich empfehle Eltern dennoch, das Impfen in einen Zeitraum zu legen, in dem sie sich gut um ihr Kind kümmern können. In den ersten Tagen nach einer Impfung neigen die Kinder vermehrt zu leichtem Fieber, schlafen unruhiger und sind einfach nicht ganz auf der Höhe.

Forschung

Rauchen und zu viel Wärme erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neugeborenes am plötzlichen Kindstod stirbt. Das belegt eine Studie aus Kanada, die im Fachblatt "American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine" veröffentlicht wurde. Danach ist es besonders gefährlich, wenn die Mutter bereits während der Schwangerschaft raucht.

Studienleiter Shabih Hasan von der Klinik für Kinderheilkunde der University of Calgary setzte für seine Studie schwangere Ratten Zigarettenrauch und erhöhten Temperaturen aus. War die schwangere Ratte Tabakrauch ausgesetzt, litten viele ihrer Nachkommen unter einer Schnappatmung. Im Vergleich zu normalen Ratten war das Risiko einer Schnappatmung fast dreimal so hoch. War die trächtige Ratte erhöhten Temperaturen ausgesetzt, war das Risiko zweimal so hoch.

Schwangere Ratten, die Zigarettenrauch ausgesetzt waren, gebaren zudem vermehrt Tiere, die Atemprobleme hatten. Setzte man diese Neugeborenen in einen Raum mit relativ wenig Sauerstoff, konnten sie schlecht atmen. Normale Ratten hingegen, deren Mütter Frischluft atmen durften, bekamen keine Atemprobleme bei Sauerstoffmangel.

"Offenbar ist die Atmung bei Sauerstoffmangel oder unter Wärmestress besonders instabil, wenn die Mütter schon während der Schwangerschaft rauchen", sagt Hassan. Ob die Ergebnisse dieser Studie auf den Menschen übertragbar sind, ist allerdings noch nicht erwiesen.

Constanze Löffler

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