Krebserreger Acrylamid: Forscher geben keine Entwarnung

Vor einem Jahr reagierten Lebensmittelbehörden erstmals auf die Warnungen der Forscher vor dem Krebserreger Acrylamid. Während sich die Verbraucher kaum noch drum scheren, gibt es für eine Entwarnung keinerlei Anlass.

Die deutschen Verbraucher scheren sich kaum noch um Acrylamid - dabei ist der Giftstoff nach wie vor in frittierten, gebratenen oder gebackenen Lebensmitteln präsent. Vor einem Jahr, am 24. April, tauchte die möglicherweise Krebs erregende Substanz dank schwedischer Forscher erstmals auf dem Radar der Lebensmittelbehörden auf. Die Deutschen jedoch essen wieder munter Pommes frites und Kartoffelchips.

Nur 15 Prozent der Verbraucher - so ergab eine Umfrage des Instituts polis Anfang Februar - haben wegen der Warnungen vor Acrylamid ihre Essgewohnheiten geändert. Gut zwei Drittel machen sich keinerlei Sorgen wegen Acrylamid. Auch in den Verbraucherzentralen von Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hamburg und Baden-Württemberg ist das Desinteresse spürbar.

Verunsicherung bei den Verbrauchern

Die Webseite der Hamburger Verbraucherzentrale etwa regisitriert jüngst nur noch 7000 Anfragen im Monat zu Acrylamid, verglichen mit 28.000 "Hits" pro Monat im vergangenen Sommer. "So mancher Verbraucher ist angesichts der vielen Negativmeldungen über Lebensmittel verunsichert und resigniert dann", glaubt Verbraucherschützerin Karin Riemann-Lorenz. Der deutsche Appetit auf Kartoffelchips ließ dann auch wegen Acrylamid nur für kurze Zeit Ende vergangen Jahres nach. "Die Berichterstattung hat sich aber damals ausgewirkt", meint Klaus Dörflinger vom Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie in Bonn.

Entstehen kann Acrylamid in zahlreichen stärkehaltigen Lebensmitteln, beim Frittieren, Braten, Backen oder Rösten. Betroffen sind neben Fritten und Chips unter anderem Bratkartoffeln, Brot, Brötchen, Frühstücksflocken, Toast, Kaffee und Popcorn.

Ob und in welchem Maße Acrylamid schädlich ist, ist bislang ungeklärt

Ob die Substanz dem Menschen jedoch wirklich schadet, und ab welcher Menge, konnten Wissenschaftler in ganz Europa und Nordamerika bislang nicht klären. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit schätzt, dass jährlich rund 50 bis 100 Krebsfälle pro 100.000 Menschen auf Acrylamid zurückzuführen sind. Neben Acrylamid bergen Pommes und Chips aber noch Gesundheitsrisiken in höheren Größenordnungen. Wegen zu fettiger Ernährung und Übergewichts sterben jährlich in Mitteleuropa zwischen 6000 und 8000 Menschen pro 100.000 Einwohner frühzeitig, schätzt das Bundesamt.

Sicher ist, dass Acrylamid - das sogar beim Backen von Brot entsteht - den Menschen wohl seit Jahrtausenden in seiner Entwicklungsgeschichte begleitet hat. Was nicht etwa heißen muss, dass es ungefährlich ist. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) jedenfalls warnt: "Acrylamid stellt ein ernst zu nehmendes, gesundheitliches Risiko für den Menschen dar." Die BfR-Sprecherin Irene Lukassowitz resümiert: "Wir gehen davon aus, dass Acrylamid auch beim Menschen Krebs auslösen und das Erbgut schädigen kann." Bei Tieren hatten Forscher dies bereits im vergangenen Jahr nachgewiesen.

Verbesserte Produktionsmethoden angestrebt

Wer zu Hause Speisen wie Bratkartoffeln oder Pommes frites zubereitet, sollte sich daher an die von Bundesverbraucherministerin Renate Künast ausgegebene Devise halten: "vergolden statt verkohlen". Gleichzeitig hat das Ministerium die industriell hergestellten Lebensmittel im Fadenkreuz. Seit August 2002 treibt es gemeinsam mit den Lebensmittelbehörden der Länder und der Industrie eine Verbesserung der Produktionsmethoden voran.

"Wir sind weltweit die einzigen, die eine solche Minimierungsstrategie vorantreiben - die anderen Länder sammeln weiter Daten und bewerten das Risiko", betont der Staatssekretär im Verbraucherministerium, Alexander Müller. So sei der Signalwert - also der Acrylamid-Gehalt, ab dem die Industrie zum Handeln aufgefordert wird - bei feinen Backwaren bereits um 17,5 Prozent verringert worden. Der Signalwert bei Chips sank demnach um 20 Prozent und der bei Pommes frites um 25 Prozent.

Dennoch zeigt sich das Bundesinstitut für Risikobewertung enttäuscht: "Es hat kleine Erfolge bei der Senkung der Acrylamidwerte gegeben, aber keinen Durchbruch", urteilt BfR-Sprecherin Lukassowitz. Sie fordert die Industrie auf, die Acrylamidgehalte weiter deutlich zu reduzieren. Vorsicht solle aber auch in der eigenen Küche walten: "Wer die vorhandenen Informationen nutzt, kann den Acrylamidgehalt seines Essens gut selbst senken."

Sebastian Okada

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