Operation, Chemotherapie und Bestrahlung – das sind noch immer die drei wichtigsten Mittel im Kampf gegen Tumoren. Doch die Krebsforschung sucht unermüdlich nach Alternativen und hat in den vergangenen Jahren einige interessante Ansätze hervorgebracht, die einen Wandel erkennen lassen: Statt die Erkrankung wie mit der Chemotherapie eher unspezifisch zu behandeln, sind Mediziner heute bestrebt, Tumoren gezielter zu attackieren. Das gelingt zum Teil schon erstaunlich gut.
Selbstheilungskräfte nutzen
Ein Forschungsbereich, der in den letzten Jahren besonders für Aufsehen gesorgt hat, ist die Immuntherapie. Vielleicht, weil die Idee dahinter so simpel wie verlockend ist: Warum nicht die eigene Körperabwehr zur Krebsbekämpfung einsetzen? Grundsätzlich ist sie dazu in der Lage und tut das ständig – nur eben nicht immer. Denn Tumore sind trickreich und haben Strategien entwickelt, um dem Immunsystem zu entwischen. Sie tarnen sich beispielsweise oder schwächen die Immunantwort ab. Das Problem ist: Da das Immunsystem eigene Zellen normalerweise nicht angreift und Krebszellen einst aus körpereigenen Zellen hervorgegangen ist, erkennt es die Tumorzelle nicht immer als fremd an und toleriert sie, statt sie zu bekämpfen. Eine zentrale Frage in der Immunonkologie lautet daher, wie sich diese Bremsen des Immunsystems lösen lassen, sodass das Immunsystem selbst aktiv gegen den Krebs vorgehen kann.
Hierfür verfolgen Forscher verschiedene Ansätze. Die bisher größten Erfolge gab es mit sogenannten Checkpoint-Hemmern oder -Inhibitoren, wie sie in der Fachsprache heißen. Das sind Medikamente, die eine vom Tumor initiierte Unterdrückung der Immunzellen und der Immunantwort gegen den Tumor aufheben. Mittlerweile gehören sie zum festen Bestandteil der Krebstherapie, weil damit bei bestimmten Krebserkrankungen, etwa bei schwarzem Hautkrebs oder bei bestimmten Lungentumoren, im fortgeschrittenen Stadium beachtliche Behandlungserfolge möglich sind: Eigentlich todgeweihte Patienten, bei denen alle bisherigen Therapien versagten, erlebten, wie ihr Tumor verschwand und nicht wieder zurückkehrte, was nicht nur für sie, sondern auch für die Ärzte einem Wunder gleichkam.
Weitere Innovationen
Daneben haben Forscher auch andere immunonkologische Verfahren entwickelt. Sie testen zum Beispiel den Einsatz eines personalisierten Impfstoffes gegen Tumore oder gentechnisch veränderter Viren, die Krebszellen dazu bringen, sich selbst zu zerstören. Auch gibt es verschiedene Ansätze, die T-Zellen eines Patienten, also wichtige Abwehrzellen seines Immunsystems, außerhalb des Körpers zu verändern und sie gezielt auf den Tumor anzusetzen.
Eine Variante davon, die sogenannte CAR-T-Zell-Therapie (CAR: chimeric Antigen receptor), hat sich als besonders vielversprechend erwiesen. Hinter den komplizierten Namen verbirgt sich ein Verfahren, bei dem die T-Zellen gentechnisch modifiziert werden, sodass sie regelrecht scharf gemacht werden gegen einen Tumor. Auch die CAR-T-Zell-Therapie machte mit beachtlichen Behandlungserfolgen von sich reden: Mit ihr werden einige Leukämieformen behandelt, in rund 80 Prozent der Fälle sprechen Patienten gut darauf an. Ein weiteres Einsatzgebiet ist eine bestimmte Form von Lymphdrüsenkrebs. „Damit hilft die CAR-T-Zell-Therapie im Moment zwar nur bei wenigen und eher seltenen Erkrankungen“, sagt Katja Weisel, Oberärztin an der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Doch sie sind aus meiner Sicht Teil einer neuen Ära der Krebsbehandlung jenseits der Chemotherapie. Und da sicherlich eine der wesentlichen Innovationen.“ Die CAR-T-Zell-Therapie habe noch nicht immer ihren optimalen Platz gefunden, dafür sei viel Forschung nötig. Doch die Hoffnung ist groß, dass bald mehr Patienten davon profitierten, für die es sonst keine Optionen mehr gebe. Und dass diese Therapie künftig auch bei soliden Tumorerkrankungen wie Darmkrebs oder Brustkrebs wirkt, was bisher nicht der Fall ist.
Keine neue Wunderwaffe
So beachtlich die Erfolge im Einzelfall sind: Von neuen Wunderwaffe zu sprechen, wäre verfrüht. Auch Checkpoint-Inhibitoren kommen bisher nur für wenige Patienten infrage und von denen sprechen, je nach Tumorart, wiederum nur 20 bis 35 Prozent darauf an – warum das so ist, weiß niemand so genau, aber es wird intensiv untersucht. Was auch ein Problem ist oder mit zunehmendem Erfolg eins werden könnte, sind die Kosten. Die Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren etwa kostet 150.000 Euro pro Jahr und Patient, in Kombination mit anderen Verfahren werden es sicher noch deutlich mehr – da könnten hohe Summen auf das Gesundheitssystem zukommen, bemerken Kritiker. Teuer sind auch die maßgeschneiderten Lösungen bei der CAR-T-Zell-Therapie: Ca. 350.000 Euro werden pro Behandlung fällig, die aus einer Gabe besteht.
Onkologen sind insgesamt dennoch optimistisch. Auch wenn noch viele Fragen ungeklärt sind, sehen sie großes Potenzial in der Immuntherapie, die ihnen neue Wege ermöglicht, einer Krankheit zu begegnen, die seit Jahrzehnten sehr viel Leid erzeugt.
Zielgerichtete Therapien
Eine andere Strategie verfolgen Forscher, die sich auf zielgerichtete Therapien spezialisiert haben. Im Fokus stehen hierbei charakteristische Erbgutveränderungen der Tumorzelle, die für das unkontrollierte Wachstum verantwortlich sind, sogenannte Treibermutation. Für eine Reihe dieser Treibermutationen gibt es Medikamente, die die veränderten Proteine hemmen, sodass sich das überbordende Wachstum eindämmen lässt – oft über Jahre. Vor allem bei Lungenkrebs und Lymphomen setzen Ärzte diese Methode ein, mittlerweile auch schon vor einer Chemotherapie, aber auch bei anderen Formen.
„Von der Heilung sind wir zwar weit entfernt“, sagt Jürgen Wolf, Lungenspezialist und Krebsforscher vom Centrum für Integrierte Onkologie in Köln. „Aber unser Vorbild ist die HIV-Erkrankung. Als ich noch Assistent war, ist jeder Patient innerhalb kurzer Zeit daran gestorben. Heute haben Betroffene in Deutschland mit dieser Erkrankung eine normale Lebenserwartung, wenn sie die entsprechenden Medikamente nehmen. So etwas sehen wir auch bei der zielgerichteten Behandlung von Krebs.“ Er kenne Menschen mit metastasiertem Lungenkrebs, die schon seit neun Jahre damit leben würden. „Vor einigen Jahren war das undenkbar.“
Gefährliche Tochtergeschwülste
Nicht zuletzt ist auch die Metastasen-Forschung ein wichtiger Forschungsbereich, der grundlegende Erkenntnisse für das Gesamtverständnis von Krebs liefert. Denn ein Tumor mag sich noch gut behandeln lassen – sobald er gestreut hat, sinken die Heilungschancen: Rund 90 Prozent aller Todesfälle bei Krebs sind den Tochtergeschwülsten zuzuschreiben, was sie gefährlicher macht als den Ursprungstumor selbst. Oft sind sie schwieriger zu behandeln, weil sie klein sind und verstreut in unterschiedlichen Organen liegen können, sodass sie sich nicht herausoperieren oder bestrahlen lassen.
Auch gibt es keine Therapie, die sich gezielt gegen Metastasen richtet, sie werden behandelt wie der Primärtumor selbst. „Das ist zwar nicht grundsätzlich falsch, weil es sich um den gleichen Tumor handelt“, sagt Hellmut Augustin vom Deutschen Krebsforschungsinstitut (DKFZ), der seit Jahren Metastasen und vor allem ihre Mikroumgebung erforscht. „Doch biologisch verhält sich eine Metastase in vielerlei Hinsicht anders als der Primärtumor.“ Zudem werden Metastasen oft resistent gegenüber Medikamenten, die beim Ursprungstumor noch geholfen haben.
Was die genauen Mechanismen bei der Entstehung von Metastasen betrifft, ist vieles noch unklar: Wie und warum lösen sich Zellen eigentlich aus ihrem einstigen Verbund und wandern in andere Organe? Wie gelangen sie dorthin, über Blut- oder Lymphgefäße? Und wie können sie überhaupt überleben? Die Blutzirkulation zum Beispiel ist eine äußerst feindliche Umgebung, allein die mechanische Belastung darin ist so hoch, dass normale Gewebezellen dies nicht überstehen. Tumorzellen gelingt das aber. Warum? Klar ist mittlerweile, dass die Heterogenität des Tumors, dessen Wandelbarkeit, aber auch das Zusammenspiel mit normalen Zellen im Tumorgewebe, die von den Tumorzellen „umerzogen“ wurden, eine Rolle spielen. Solche und andere Mechanismen versuchen die Forscher zu ergründen, um den Weg für weitere neuen Therapien zu ebnen.
Woran Wissenschaftler aktuell forschen
Zum Hintergrund: Im Immunsystem gibt es eingebaute Bremsen, sogenannte Kontrollpunkte oder Checkpoints. Diese sollen verhindern, dass die Abwehr gegen eigene, gesunde Körperzellen angeht – ein Mechanismus, der vermutlich vor Autoimmunerkrankungen schützen soll. Das heißt, Immunzellen sind zwar da, auch im Tumor, können dort aber nichts ausrichten, weil die Krebszellen diese Checkpoints aktiviert und so die Immunantwort unterdrückt haben. Hier setzt ein Checkpoint-Inhibitor an: Er löst diese Bremse, sodass die T-Zellen wieder in der Lage sind, Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen.
Bei dem Medikament handelt es sich um Antikörper, die der Patient über eine Infusion erhält. Nebenwirkungen können auftreten, darunter leichtere wie Fieber, Juckreiz oder Ausschläge, aber auch schwere, etwa bedrohliche Entzündungen in Organen. Früh genug erkannt, sollen sie aber gut beherrschbar sein.
Mittlerweile gibt es mehrere solcher Checkpoint-Hemmer. Behandelt werden damit Patienten, die an schwarzem oder hellem Hautkrebs, Lungenkrebs, Blasenkrebs, Nierenzellkrebs oder dem Hodgkin-Lymphom erkrankt sind. Allerdings wirken die Medikamente nicht bei allen Patienten, sondern nur bei etwa 20 bis 35 Prozent, bei manchen Erkrankungen auch bei bis zu 50 Prozent von ihnen.
Aktuelle Forschung: Aktuell laufen klinische Studien für viele weitere Krebsarten. Erforscht wird auch, wie sich durch eine gezieltere Patientenauswahl höhere Ansprechraten erreichen lassen. Daneben testen Forscher Kombinationstherapien, etwa mit der Chemotherapie oder anderen Immuntherapien.
Weitere Informationen:
Infoblatt des DKFZ „Immuntherapie gegen Krebs“
https://www.krebsinformationsdienst.de/wegweiser/iblatt/iblatt-immuntherapie.pdf
Zum Hintergrund: Auch dieser Ansatz zählt zu den Immuntherapien. Gemeint ist nicht die Schutzimpfung gegen Humane Papillomviren (HPV), die Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Vielmehr wollen Forscher die sogenannte therapeutische Tumorimpfung gegen bestehende Krebsleiden einsetzen.
Die Idee: Ein personalisierter Impfstoff soll dem Immunsystem helfen, charakteristische Veränderungen (Mutationen) der Krebszelle als fremd zu erkennen. Dafür entnehmen die Forscher dem Patienten vorab Tumorgewebe, identifizieren die Antigene (Fremdeiweiße, die im Körper eine Abwehrreaktion auslösen), vermehren diese und stellen daraus einen individuellen Impfstoff her, den sie dem Patienten verabreichen. Der soll die T-Zellen seines Immunsystems gezielt auf den Tumor ansetzen, sodass sie diese zerstören.
Aktuelle Forschung: Verschiedene Ansätze der Tumorimpfung werden intensiv untersucht, noch gibt es keine Zulassung. „Erste klinische Studien bei Tumorpatienten mit Hautkrebspatienten zeigen, dass das technisch machbar ist, bei einem Teil der Patienten auch hilft, gut vertragen wird und praktisch keine Nebenwirkungen hat. Das hat durchaus Potenzial“, sagt Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, Abteilung Translationale Immuntherapie. Nun muss der Impfstoff an einer größeren Patientenzahl getestet werden.
Zum Hintergrund: Viren kennt die meisten als lästige Erreger, die eine Erkältung, Grippe, Herpes oder schlimmere Infektionen verursachen, weshalb der Körper – und Ärzte – normalerweise alles dransetzen, sie zu bekämpfen. In der Krebstherapie können sie jedoch von Nutzen sein. Denn sie lassen sich so umprogrammieren, dass sie gezielt gegen Krebszellen vorgehen und diese zerstören – nicht aber gesundes Gewebe. Dieser Ansatz gehört ebenfalls zu den Immuntherapien.
Vereinfacht gesagt passiert dabei Folgendes: Nachdem die Erreger – meist gentechnisch veränderte und harmlos gemachte Masern-, Herpes- oder Pockenviren – injiziert wurden, dringen sie in die Tumorzellen ein, um sie zu infizieren und schließlich zu töten. Als Nebenwirkung können grippeähnliche Symptome auftreten, die aber in der Regel nach 24 Stunden wieder vorübergehen.
Als alleinige Therapie ist die Wirksamkeit noch begrenzt. Zurzeit gibt es nur ein onkolytisches Virus, das eine Zulassung für die Behandlung von fortgeschrittenem schwarzem Hautkrebs hat. Dennoch schätzen Experten den Ansatz als vielversprechend ein. „Wichtig ist, dass das Immunsystem auf den infizierten Tumor aufmerksam wird“, sagt Guy Ungerechts, Leitender Oberarzt der Medizinischen Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. „Wenn wir die genetische Information für weitere immuntherapeutisch wirksame Substanzen wie zum Beispiel Checkpoint-Inbibitoren, Bispezifische Antikörper oder Zytokine in die Viren einzubringen, lässt sich der Effekt womöglich stark steigern.“
Aktuelle Forschung: Hoffnungen setzen Wissenschaftler vor allem auf die Kombination mit anderen Immuntherapien, etwa mit Checkpoint-Inhibitoren. Erste Ergebnisse hierzu stimmen zuversichtlich, doch es ist noch viel Forschung nötig, bis diese Methode eine breite Anwendung findet.
Zum Hintergrund: Bei dieser Methode werden dem Patienten T-Zellen (wichtige Abwehrzellen) aus dem Blut entnommen und im Labor unter strengsten Sicherheitsauflagen gentechnisch manipuliert. Dabei erhalten diese Zellen ein künstliches Molekül, den chimären Antigenrezeptor (=CAR), der die Tumorzellen des Patienten erkennt. Die so veränderten T-Zellen werden zuerst vermehrt und anschließend dem Patienten per Infusion verabreicht. Zuvor erhält er eine milde Chemotherapie, um die Anzahl der normalen T-Zellen zu verringern.
Seit 2018 sind in den USA und Europa zwei CAR-T-Zell-Medikamente zugelassen, mit denen eine seltene Form der Leukämie und eine Form des Lymphdrüsenkrebses behandelt werden können. Die Zulassung ist ausgesprochen für Patienten, bei denen der Krebs nach vorheriger Behandlung zurückkehrte. Die Therapie muss in spezialisierten Zentren erfolgen. Es kann zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen, darunter hohes Fieber, Kreislaufbeschweren oder Atemnot. Grund dafür ist der sogenannte Zytokinsturm, bei dem massenhaft Immunbotenstoffe ausgeschüttet werden. Und der kann durchaus lebensbedrohlich sein – Patienten sind schon daran gestorben. Mit entsprechenden Gegenmaßnahmen, etwa durch die Gabe von Tozilizumab, einem Rheumamedikament, lässt sich das auffangen.
Aktuelle Forschung: Derzeit arbeiten Forscher intensiv daran, die CAR-T-Zell-Therapie auch für solide Tumoren wie Brust- oder Darmkrebs nutzbar zu machen. Außerdem testen sie, zu welchem Zeitpunkt sie idealerweise eingesetzt werden sollte und inwiefern sie sich mit anderen Therapien kombinieren lässt.
Weitere Informationen:
TED Talk von Carl June, dem Pionier auf dem Gebiet der CAR-T-Zell-Therapie (englisch):
https://www.ted.com/talks/carl_june_a_living_drug_that_could_change_the_way_we_treat_cancer
Zum Hintergrund: Das Immunsystem besteht aus zwei Teilen, der angeborenen und der erworbenen (spezifischen) Abwehr. Sie sind eng miteinander verwoben und übernehmen unterschiedliche Aufgaben im Körper. Das angeborene Immunsystem ist sofort zur Stelle, wenn es gilt, Keime und Fremdkörper abzuwehren, etwa über die Haut. Schaffen Erreger es dennoch, in den Körper zu gelangen, kümmern sich spezielle Immunzellen darum, sie zu bekämpfen. Erst wenn das nicht reicht, kommt das erworbene Immunsystem ins Spiel. Für die Immunantwort braucht es zwar einige Tage, doch es ist lernfähig und merkt sich einstige Eindringlinge, sodass die Abwehrreaktion beim nächsten Mal viel schneller erfolgt.
Aktuelle Forschung: Bisher greift die Immuntherapie für die Krebsbekämpfung nur in den lernfähigen, spezifischen Teil des Immunsystems ein. Der angeborene hingegen wird therapeutisch kaum gezielt genutzt. „Dabei ist der sehr wichtig“, sagt Immunonkologe Niels Halama vom DKFZ. „Die entsprechenden Zellen sind in praktisch allen Organen vorhanden. Man könnte sie mit einbinden, um gegen Tumoren vorzugehen, schließlich arbeiten sie im Körper auch perfekt zusammen. Nur hat man das bisher wenig bis gar nicht berücksichtigt.“ Erste Konzepte dazu seien aber in der Entwicklung, was Halama sehr begrüßt. Seine Hoffnung: „Wenn es gelingt, beide Teile der Abwehr zu aktivieren, ließen sich Tumoren möglichweise noch breiter, effektiver und langfristiger kontrollieren.“
Zum Hintergrund: Dank der enormen technologischen Fortschritte der vergangenen Jahre lassen sich Tumoren heute innerhalb kurzer Zeit genetisch analysieren. Und da zeigt sich: Tumor ist nicht Tumor, selbst innerhalb einer Krebsart gibt es viele Untergruppen. Diese Untergruppen haben charakteristische Veränderungen im Erbgut, Mutationen, die verantwortlich sind für das unkontrollierte Wachstum der Tumorzelle. Forscher nennen sie Treibermutationen.
Wurde eine Treibermutation identifiziert, kann der Arzt ein zielgerichtetes Medikament geben, das sich genau gegen diese Mutation richtet. Der eingesetzte Hemmstoff hindert den Tumor dann am Wachsen. Geheilt werden die Patienten nicht, sie müssen die Tabletten ihr Leben lang einnehmen.
Forscher entdecken laufend neue Treibermutationen. Noch gibt es nicht für alle ein passendes Medikament, aber Dutzende sind bereits zugelassen. Wenn eins vorliegt, ist der Vorteil gegenüber der Chemotherapie enorm, vor allem bei Lungenkrebs, wo dieses Verfahren am erfolgreichsten eingesetzt wird: Die zielgerichteten Medikamente sind verträglicher, bei Lungenkrebs sprechen 70 bis 80 Prozent der Patienten darauf an (bei der Chemotherapie sind es 20 Prozent) und die Patienten leben länger.
Aktuelle Forschung: Im Fokus der Mediziner stehen zwei Themen. Erstens gilt es, für möglichst viele Patienten diese Treibermutationen zu finden. Bei Lungenkrebs ist man schon recht weit, da hat man sie für die Hälfte der Patienten identifiziert, aber etwa bei Bauchspeicheldrüsenkrebs liegt die Quote nur bei zehn Prozent. Und zweitens ist wichtig, ein besseres Verständnis für das Phänomen der Resistenzentwicklung zu gewinnen. Diese tritt bei vielen Patienten auf, bei denen der Krebs zunächst erfolgreich behandelt wurde.
Zum Hintergrund: Bekannt ist, dass Tumorzellen sich nicht nur ständig verändern, sie sind auch äußerst wandelbar und können ihren Stoffwechsel schnell an die Gegebenheiten einer neuen Umgebung anpassen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass ein Ursprungstumor bevorzugte Zielgebiete hat: Brustkrebszellen und Augenmelanome etwa wandern vorwiegend in die Leber. Das muss aber genauer verstanden werden.
Aktuelle Forschung: Besonders spannend: Ein Tumor scheint sein Zielgebiet auf seine Ankunft vorzubereiten, indem er Botenstoffe entlässt. Und das schon sehr früh, wenn der Tumor noch extrem klein ist. Das konnten Hellmut Augustin vom DKFZ und sein Team in einer präklinischen Studie nachweisen. Dafür haben sie Mäusen Tumoren eingepflanzt, diese später chirurgisch wieder entfernt und überprüft, ob es im Zielgebiet, in diesem Fall war es die Lunge, zu Veränderungen kommen würde. Und tatsächlich: Die eigentlich tumorfreien Mäuse entwickelten Metastasen. „Das war für uns auch eine Überraschung“, sagt Augustin. „Mit dieser Erkenntnis können wir zwar noch keinen Patienten heilen, aber neue Biomarker zur Früherkennung von Tumoren identifizieren und darauf aufbauend vielleicht neue Moleküle finden, sie sich als wirksam für die Therapie von Metastasen erweisen.“
Keine schnelle Lösung
So viel ist sicher: Auf schnelle oder einfache Lösungen braucht niemand zu hoffen, dafür ist die Erkrankung zu komplex. Worauf man aber hoffen kann, ist, dass es Medizinern dank intensiver Forschung und vieler neuer Erkenntnisse eines Tages gelingen wird, dem Krebs seinen Schrecken zu nehmen und einen Tumor, wenn er sich nicht heilen lässt, wenigstens gut in Schach zu halten, wie das bei vielen chronischen Erkrankungen bereits der Fall ist. Damit wäre schon viel gewonnen.
Patienten, die sich für neue Krebstherapien oder die Teilnahme an einer klinischen Studie interessieren, können sich an ihren behandelnden Arzt wenden oder an den Krebsinformationsdienst (telefonisch unter: 0800-420 30 40, täglich von acht bis 20 Uhr, oder per E-Mail unter: krebsinformationsdienst@dkfz.de). Daneben gibt es Online-Studienregister:
- https://www.nct-heidelberg.de/forschung/nct-core-services/nct-trial-center.html
- https://dktk.dkfz.de/de/klinische-plattformen/studienregister
- https://www.clinicaltrialsregister.eu
- https://www.eortc.org/clinical-trials/
- https://www.cancer.gov/about-cancer/treatment/clinical-trials/search
- https://www.drks.de/drks_web/navigate.do?navigationId=search
Wissenschaftliche Beratung:
Prof. Dr. Hellmut Augustin
Deutsches Krebsforschungszentrum und European Center for Angioscience der Universität Heidelberg
Prof. Dr. Dr. Jürgen C. Becker
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Partnerstandort Essen
PD Dr. Niels Halama
Abteilungsleiter Translationale Immuntherapie am DKFZ, Heidelberg
Prof. Dr. Dr. Guy Ungerechts
Leitender Oberarzt der Medizinischen Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg
Prof. Dr. Katja Weisel
Zentrum für Onkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Prof. Dr. Jürgen Wolf
Centrum für Integrierte Onkologie (CIO), Köln