Es sind die letzten Minuten der Show, das Publikum im Münsterschen Hörsaal H1 ist im aufgedrehten Lachmodus. Aber Felix Lobrecht, 30 Jahre, der Nachwuchsstar der deutschen Comedy, hat jetzt keine Lust mehr auf Witze.
"Mein Programm heißt Hype – und man weiß ja, wie das ist mit Hypes: Die kommen plötzlich und können genauso schnell wieder vorbei sein." Er macht eine Pause, fixiert mit dem Blick den Bühnenboden. Das Publikum wird leiser. "Ich hab zum ersten Mal in meinem Leben Verlustängste." Es ist jetzt fast still. "Weil ich zum ersten Mal etwas zu verlieren habe."
Ohrringe und Nasenpiercing
Es braucht eine Sekunde, dann setzt der Applaus ein. Lobrecht hebt den Blick. Der Applaus wird lauter. Er macht einen Mic Drop, wie man es von Rappern kennt: Er lässt das Mikro aus Schulterhöhe auf den Boden krachen. Sprung zurück, Faustschlag aufs Herz. Aus den Boxen dröhnt Fat Joe, "All The Way Up". Ungewöhnlicher Abschluss für eine Comedyshow: ein Moment, der sich echt anfühlt.
Der nächste Tag. Lobrecht nimmt zum Interview in der Hotelsuite Platz. Er trägt seine Uniform: Gucci-Shirt, helle Sneaker, Rolex. Die glitzernden Ohrringe und das Nasenpiercing hat er für den Sport am Morgen abgelegt. Über dem Stuhl hängt ein Wende-Blouson, ebenfalls Gucci. Oder wie Lobrecht sagt: "Zwei Jacken zum Preis von 14." Akkurater Haarschnitt, akkurater Bizeps – er sieht sehr gut aus. Auf die Weise, wie auch Rapper und Fußballprofis gut aussehen: Man merkt, dass sich da einer viele Gedanken um seinen Style macht. Für seine Branche eher ungewöhnlich, die meisten Comedians tragen Verkleidung oder kleiden sich egal.

"Ick bin mit Rap und Breakdance aufgewachsen, Mode war immer ein Thema", sagt Lobrecht in diesem Berlinerisch, das selbst Gucci-Jacken erdet. "Damals konnt ich mir die Sachen nicht leisten. Und jetzt, wo ich's kann, denk ick mir: Gib ihm!"
Offenes Grinsen, dann wird Lobrechts Blick plötzlich starr. Er macht das oft, auch auf der Bühne: Der Wechsel von "Haha!" zu "Moment mal!" geht rasant, man muss konzentriert bleiben, um nicht noch zu kichern, während Lobrecht längst die Ernsthaftigkeitsausfahrt genommen hat. "Ich versteh schon, dass sich die Leute nach Eindeutigkeit sehnen, aber das ist mir zu doof. Wer mit mir zu tun hat, muss aushalten, dass ich 'ne Jacke für 1500 Euro trage und trotzdem regelmäßig Geld spende."
Die Großzügigkeit ist keine Pose. Auf seiner Homepage hat Lobrecht eine Notiz für Fans hinterlassen: Wer sich kein Ticket für seine Show leisten kann, möge seinem Management eine Mail schicken. "Hatte mein Leben lang keine Kohle und weiß genau, wie scheiße das ist."
"Gemischtes Hack"
26 Jahre zuvor, ebenfalls Münster. Felix Lobrecht ist gerade vier, als seine Mutter stirbt. Der Vater zieht mit ihm und den beiden jüngeren Geschwistern zurück in seine Heimat Berlin. Lobrecht beschreibt seine Kindheit als glücklich, auch wenn die Familie ständig Geldsorgen hat. Die Pubertät macht es nicht leichter. In seinem Neuköllner Viertel hat man als blonder Junge ohne ablesbaren Migrationshintergrund gute Chancen auf die Opferrolle. Er muss sich beweisen, so, wie man sich auf der Straße eben beweist.
Mit 14 fliegt Lobrecht von der Schule, jobbt später im Fitnessstudio und Pflanzengroßhandel. Das kann's irgendwie nicht sein, denkt er, macht sein Fachabi nach, beginnt eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Dort soll er tagelang technische Gase in Excel-Tabellen übertragen – und das kann es aber irgendwie auch nicht sein. Statt Tabellen zu pflegen, schreibt er einen Text darüber, mit dem ihn sein Bruder bei einem Poetry-Slam anmeldet. Schon besser, aber immer noch nicht genug. Lobrecht holt sein Abi nach, zieht nach Marburg, studiert Politikwissenschaften.
Die Miete für sein WG-Zimmer erspielt sich Felix Lobrecht mit Poetry-Slams. Bald schon tritt er in der Comedyshow "Night Wash" auf, schreibt parallel mit einem Kollegen ein Buch. 2017 gelingt Lobrecht mit "Sonne und Beton", einem biografisch inspirierten Roman über das Leben im Berliner Ghetto, ein Erfolg in der Literaturszene, der bald auch fürs Kino verfilmt wird. 2018 gewinnt er den Deutschen Comedypreis als Bester Newcomer. Im selben Jahr starten TV-Autor Tommi Schmitt und er den Podcast "Gemischtes Hack".
Die Menschen hören Lobrecht gern zu, egal in welcher Darreichungsform. Vielleicht, weil er von so vielen Facetten des Lebens glaubhaft erzählen kann und vermeintliche Widersprüche selbstverständlich lebt: "Irgendwann ist mir klar geworden, dass beides geht. Ich kann ein Proll aus Neukölln sein und trotzdem studiert haben." Einem Teil seiner Zielgruppe dient er so als Vorbild, dem anderen als Horizonterweiterer.
Felix Lobrecht ist Rap
Lobrecht verweigert sich den gängigen Comedykonzepten: Er ist keine Figur, er steht als er selbst auf der Bühne. Er macht sich nicht ständig zum sympathischen Deppen seiner Geschichten, sondern erwartet, dass das Publikum seine Coolness aushält. Wenn andere Comedians Pop sind, ist Felix Lobrecht Rap. Und er erzeugt Nähe. Er spricht etwa über den eigenen Alltagsrassismus so, wie man es an den richtig guten, hochgeschaukelten Abenden ein bisschen weniger lustig auch mit seinem besten Freund tut. Genau diese Nähe habe er selbst immer vermisst an deutscher Comedy: "Klar, wenn dir irgendwas Lustiges in 'nem Baumarkt auffällt, kann das auf der Bühne funktionieren. Aber wenn dein ganzes Programm ein einziger Baumarkt ist und die Leute nichts Substanzielles über dich als Person erfahren, find ich das künstlerisch langweilig."
Lobrechts Gags sind deshalb auch keine klassischen Anekdoten, die auf den einen großen Lacher zulaufen, sein Humor funktioniert hyperaktiv. Zuschauer seines Programms zu sein fühlt sich an, wie auf einem Tennisplatz mit vier parallel aktivierten Ballwurfmaschinen zu stehen: Dauerbeschuss. "Es muss eine permanente, positive Unruhe geben im Publikum", sagt Lobrecht. "Ziel ist, die Strecke zur Pointe mit so vielen Unterwegswitzen wie möglich zu flankieren."
Im Gegenzug verzichtet er auf das große Spektakel drum herum. "Ich glaube, das ist ein Merkmal der neuen Comedygeneration: Der Fokus liegt auf den Geschichten. Es geht dem Publikum nicht mehr um krasse Bühnenbilder oder dass der Typ da oben noch fünf Lieder singt und am Ende Luftballons von der Decke fallen."
Die These von der neuen "Generation Zuhören" würde auch den aktuellen Podcast-Hype erklären, an dem Lobrecht ebenfalls Anteil hat. "Gemischtes Hack" von Schmitt und ihm ist der derzeit meistgehörte Podcast des Landes. Der Proll aus Neukölln und der Arztsohn aus Detmold reden über aktuelle Themen und treffen dabei einen Ton, den viele in der restlichen Medienlandschaft vermissen. "Sagen wir's so", sagt Lobrecht, "wir sind nicht bereit, uns im vorauseilenden Gehorsam selbst zu zensieren. Die Leute müssen mal wieder lernen, was auszuhalten."
Von Übervorsicht zu Militanz
Wie meint er das? "Na Sensibilität gegenüber heiklen Themen ist ja löblich, aber seit wann gibt es im öffentlichen Raum bitte das Recht auf Safe Spaces? Es ist doch unmöglich, die Triggerpunkte aller Leute zu kennen. Wenn dein Hund bei 'nem Balkonsturz ums Leben gekommen ist, ist für dich vielleicht das Thema Balkon schwer belastet." Normalität, so Lobrecht, mache sich doch gerade daran fest, dass etwas nicht mit übertriebener Vorsicht behandelt werde. "Wie will ich denn als Queer oder Transgender selbstbewusst im Alltag stattfinden, wenn mich ein dämlicher Politiker-Witz über getrennte Toiletten ernsthaft persönlich angreift?"
Der Rechtsruck in Europa, findet Lobrecht, habe zu einer Überangepasstheit der breiten Masse geführt. Ihm komme das vor wie ein Trend. "Es ist gerade irgendwie hip, links zu sein. Was diese Modelinken aber nicht raffen: Sie befeuern damit, dass Diskussionen nur noch in Extremformen geführt werden. Entweder du bist ultralinks – oder du bist 'n Nazi. Entweder du verkneifst dir jeden Witz – oder wir unterstellen dir gleich das Schlimmste." Was mit Übervorsicht begann, habe sich zu Militanz gewandelt. "Wir scheißen uns doch alle nur noch gegenseitig an, in den Medien, vor allem aber auf Twitter. Statt ein starkes Team zu sein, ficken wir uns gegenseitig." Tacheles reden sei das einzig probate Gegenmittel; bei ihm werde niemand geschont, keine Minderheit, kein heikles Thema.
"Ich glaube, von allen Comedians in Deutschland kann ich mir auf der Bühne gerade am meisten rausnehmen. Weil zwischen mir und meinem Publikum klar ist: Wir glauben an Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes." Von dieser Basis aus könne ein harter Witz mehr geistige Bewegung in Gang setzen als ins Programm gestreute "Für eine bunte Gesellschaft!"-Ansagen. Lobrechts Handy leuchtet. Sein Bruder Julian ruft an, er ist auch sein Tourmanager. Sie wollen noch ihre Großeltern besuchen, danach geht es weiter nach Mainz.
"All The Way Up"
Der Moment am Ende der Show gestern, das mit der Verlustangst, ist das wahr? Er nickt. "Alles, was ich künstlerisch mache, mache ich intuitiv. Ich hab zwei Bücher geschrieben, ohne zu wissen, wie man ein Buch schreibt. Ich hab mit Comedy angefangen, ohne zu wissen, wie das geht. Ich hab einen Podcast gestartet, ohne einen Plan zu haben, was da genau gefragt ist." Ein letztes Mal der ernste Lobrecht-Blick. "Gerade funktioniert das. Aber wer weiß schon, wie's weitergeht?"
Der Ohrwurm vom Vorabend hält sich ein paar Tage. "All The Way Up."
Dieser Artikel ist dem aktuellen stern entnommen:
