Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals zu Veröffentlichung der Autobiografie am 1. November 2022
Die Sitcom "Friends" gibt ihren Fans seit Jahrzehnten ein wohliges Gefühl. Man schaltet sie ein, um abzuschalten. Sich wohl zu fühlen und geborgen. Und um zu lachen. Matthew Perry, der in der Serie Chandler Bing verkörperte, weiß um die Magie von "Friends". Denn auch für ihn persönlich war die Zeit der Dreharbeiten ein Rettungsanker.
Matthew Perry beschreibt seine Sucht nach Ruhm
In seiner vor einem Jahr erschienenen Autobiografie "Friends, Lovers and the Big Terrible Thing" spricht Perry zum ersten Mal ausführlich über seine jahrelange Alkohol- und Drogensucht. Ihm gelingt dabei ein Seiltanz. Auf der einen Seite sind Charakterzüge, die er beschreibt, nicht wirklich sympathisch. Die Sucht nach Ruhm zum Beispiel, die er in sich erkannt hat. "Gott, du kannst mit mir machen, was du willst. Aber bitte mach mich berühmt", flehte er, bevor er die Rolle in "Friends" ergatterte. Doch gleichzeitig offenbart Perry die Gründe, warum er sein Leben lang nach Anerkennung lechzte. Und man beginnt zu verstehen, das hinter der oberflächlichen Suche nach Ruhm sehr viel mehr steckte.
Als Kind von sehr jungen Eltern – einem Musiker und Schauspieler und einer Schönheitskönigin – bekam er früh mit, was es heißt, die zweite Geige zu spielen. Sein Vater verließt seine Mutter, als er noch ein Kleinkind war. Um die Familie über Wasser zu halten, musste sie schuften. Perry beschreibt, dass er seinen Humor nutzte, um die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu bekommen. Menschen zum Lachen zu bringen wurde so zu seiner Hauptaufgabe.
Mit 14 Jahren trank Perry zum ersten Mal Alkohol. "Es passierte das, was mich körperlich und geistig von meinen Freunden unterscheidet", beschreibt er die Situation. Während seine Freunde sich neben ihm übergeben hatten, war der Alkohol-Effekt bei ihm ein anderer. "Umgeben von frischer Murray-Kotze lag ich im Gras, schaute den Mond an und stellte fest, dass mich zum ersten Mal in meinem Leben nichts störte. Die Welt ergab Sinn, ich war nicht gebeugt und verrückt", schreibt Perry.
"Friends": Fast in jeder Staffel war er seiner Sucht verfallen
Doch von da an trank Perry weiter, am Anfang unregelmäßig, später nach seinem Umzug nach Los Angeles jeden Abend. Als er die Rolle des Chandler Bing bekam, war er bereits Alkoholiker. Er versuchte damals, seine Sucht geheimzuhalten. "Anhand meines Gewichts kann man über die Staffeln hinweg den Verlauf meiner Sucht nachvollziehen – bin ich dick, ist es der Alkohol, bin ich dünn, sind es Tabletten. Trage ich Bart, sind es viele Tabletten", erklärt er es in seiner Autobiografie. 55 Vicodin-Tabletten (ein starkes Schmerzmittel) habe er zeitweise am Tag genommen.
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Und doch spielte er nie zugedröhnt. Er tat alles in seiner Macht stehende, um die Sitcom nicht zu gefährden. Trotz aller Mühen bemerkten seine Co-Stars, dass es Perry nicht gut ging. Besonders Jennifer Aniston habe sich liebevoll um ihn gekümmert. Teilweise wurde er vom Entzug zum Dreh gefahren. Die Hochzeit von Chandler und Monica war eine dieser Folgen. Die einzige Staffel, in der er die gesamte Zeit nüchtern war, sei die neunte gewesen, offenbart Perry.
Koma und der Beinahe-Tod
Den Tiefpunkt erreichte Perry 2018, als er nach sieben Tagen voller schlimmer Schmerzen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde und ins Koma fiel. "Kaum lag ich im Koma, erbrach ich mich in mein Beatmungsgerät, weshalb mir der Scheiß der letzten zehn Tage direkt in die Lunge geriet. Meiner Lunge gefiel das nicht besonders – die Folge: Lungenentzündung –, und dann platzte mir der Dickdarm. Ich wiederhole es noch mal für alle in den hinteren Reihen: Mein Dickdarm platzte", beschreibt Perry die Situation selbst.
Nach einer langen und schwierigen OP sei er an eine ECMO-Maschine angeschlossen worden. "ECMO steht für Extrakorporale Membranoxygenierung, es ist häufig ein letzter verzweifelter Versuch. In jener Woche waren zum Beispiel vier Patienten in den Kliniken der UCLA an eine ECMO angeschlossen worden, und alle waren gestorben", sagt der Schauspieler selbst. Einer der Gründe, warum Perry meint, er hätte längst tot sein müssen. Fünf Monate habe er anschließend im Krankenhaus verbracht.
Eine Achterbahnfahrt der Gefühle
Perrys Buch ist so unverfälscht und ehrlich, dass es stellenweise wehtut, es zu lesen. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Man empfindet Mitleid mit diesem Mann, der sich als Chandler in so viele Herzen spielte und dem die Welt zu Füßen lag. Eine Million Dollar verdiente er zeitweise – pro Woche. Er hatte die Möglichkeit, mit Privatjets zu seinen Entzügen zu fliegen und konnte sich die beste medizinische Unterstützung leisten. Es ist die Geschichte eines sehr privilegierten Mannes. Doch seine Privilegien spielen letztlich keine so wichtige Rolle. Denn an jedem Punkt seiner Karriere hatte Perry einen Feind, der ihn umbringen wollte: die Sucht.
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Gleichzeitig tut Perry erneut das, wofür er bekannt ist: Selbst während er die sensibelsten Themen und die schlimmsten Momente seines Lebens beschreibt, bringt er seine Leser und Fans zum Lachen. Für "Friends"-Fans dürfte es besonders rührend sein, seine Erinnerungen an die Sitcom zu lesen. Es kommt nicht selten vor, dass berühmte Menschen irgendwann ausgerechnet das Produkt (sei es ein Song, ein Film oder ein Buch) schlecht reden, das ihnen den Ruhm einbrachte. Bei Perry ist das anders.

Er beschreibt "Friends" so liebevoll und würdigend, wie es wohl die leidenschaftlichsten Hardcore-Fans tun würden (die Autorin dieser Zeilen eingeschlossen). Beim Lesen seines Buches wird klar, dass Perry nicht darauf aus ist, andere Prominente durch den Dreck zu ziehen (außer vielleicht Keanu Reeves, gegen den er aus irgendeinem Grund mehrfach stichelt). Sein Buch ist kein Klatsch, kein Rundumschlag – zum Glück.
Es ging dem 54-Jährigen darum, anderen zu helfen und sich sein Leid von der Seele zu schreiben. Mehrfach erklärte er selbst: "Alkohol will dich allein." Der Grund, warum es ihm so wichtig war, endlich ehrlich und unverblümt über seine Erlebnisse zu schreiben. Perry war sich seiner Reichweite bewusst. Wenn Chandler Bing etwas sagte, dann war ihm ein Publikum sicher.
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