Mr Mailer, die Recherchen für Ihr neues Buch scheinen Sie in eine Art Zwischenreich geführt zu haben. Glauben Sie an den Teufel?
MAILER: Ich vermute jedenfalls, dass es ihn gibt. Die Welt ergibt mehr Sinn, wenn man davon ausgeht, dass ein Teufel existiert. Wenn Astronomen ein unerklärliches Phänomen im Weltall entdecken, stellen sie Thesen darüber auf, was sich an diesem blinden Fleck befinden könnte: vielleicht ein unbekannter Planet oder eine Galaxie. So ähnlich würde ich die These aufstellen, dass es den Teufel gibt.
Um welchen blinden Fleck zu erklären: das Böse in der Welt?
Ja, aber auch die konkreten Strukturen des Bösen. Ich kann das nicht genau beschreiben, aber mein Gefühl, dass es den Teufel gibt, ist immerhin so stark, dass ich ihn zum Erzähler meines neuen Romans gemacht habe.
Zur Person
Mit 25 Jahren schrieb der Luftfahrtingenieur Norman Kingsley Mailer (*1923 in New Jersey, USA) sein Meisterwerk: "Die Nackten und die Toten" (1948) gilt als der vielleicht bedeutendste Roman über den Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Literatur. Für seine dem "New Journalism" verpflichteten Werke "Heere aus der Nacht" (1969) und "Gnadenlos" (1980), die durch ihre Mischung aus journalistischer Recherche und literarischer Sprachgewalt bestechen, erhielt er jeweils den Pulitzer Preis.
Der Linksintellektuelle drehte Ende der 60er Jahre experimentelle Gangsterfilme und schrieb zahlreiche Biografien, etwa über Marilyn Monroe, Pablo Picasso und Lee Harvey Oswald. Er ist in sechster Ehe verheiratet, hat neun Kinder und lebt in New York sowie auf Cape Cod am Atlantik. In seinem jüngsten Buch "Das Schloss im Wald" (Langen Müller, 29,90 Euro) will Mailer das Wesen Adolf Hitlers entschlüsseln.
"Das Schloss im Wald" wird erzählt von einem Unterteufel, der im Österreich des späten 19. Jahrhunderts damit betraut ist, den kleinen Adolf Hitler in die Welt des Bösen einzuführen. Hübsch, dass Sie diesen Teufel ausgerechnet Dieter genannt haben - auf Deutsch ein völlig harmloser Name.
Ich weiß. Aber seine Initialen sind "D. T.", und das steht für "Der Teufel". Ich beherrsche nur ein paar Brocken Deutsch, was schade ist, da ich die Sprache immer gemocht habe.
Welche Ihrer Romanfiguren kam zuerst: Hitler oder der Teufel?
Über Hitler wollte ich schon sehr lange schreiben, aber ich wusste nie genau, wie. Dann kam mir der Gedanke, ein Buch vom Teufel erzählen zu lassen, und ich dachte: So geht es. Ein Roman nimmt oft seinen Ausgang an der Schnittstelle von zwei Ideen, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben. Sie werden gemerkt haben, dass mich vor allem die Vorstellung fasziniert, wie wohl die Existenz eines Unterwelt- Beamten aussieht, der in einer Art teuflischer Bürokratie steckt, mit all den üblichen Problemen und Pannen und der Angst vor seinem Vorgesetzten. Eigentlich ist "Das Schloss im Wald" ein Roman über einen Teufel mit einem wichtigen Kunden.
Glauben Sie wirklich, dass Hitler so einzigartig ist, dass man teuflische Kräfte bemühen muss, um ihn zu verstehen?
Schauen Sie sich zwei der größten poli- tischen Ungeheuer des 20. Jahrhunderts an, Stalin und Hitler. Um Stalin zu verstehen, braucht man keinen Teufel. Er war ein Mensch. Zugegeben, ein besonders häss- licher, grausamer und starker Mensch, aber doch ein Mensch, und er lässt sich aus sei- ner Biografie heraus erklären, aus den Ver- werfungen des Bolschewismus und so wei- ter. Für Hitler gilt das nicht. Er war im Grunde ein Schwächling, hysterisch, zim- perlich, fast eine Heulsuse, und für den Führer einer Weltmacht hatte er eigentlich unverzeihliche Schwächen und Fehler. Aber er bewies ein politisches Genie, das ihn zumindest in den Jahren von 1932 bis 1938 all den außenpolitischen Schlauköpfen auf beiden Seiten des Atlantiks überlegen mach- te. Wie erklärt man das? Ich finde es plausi- bel, darin das Werk des Teufels zu sehen, zumindest für die Zwecke meines Romans.
Wir müssen gestehen, dass wir skeptisch bleiben ...
Besteht die Prämisse eines Autors nicht immer darin zu sagen: Ich werde erklären, was kein anderer erklären kann? Wann im- mer man einen Roman anfängt, versucht man, etwas zu beweisen. Ob mir das als Autor gelingt, müssen Sie als Leser dann entscheiden. Aber was mich betrifft: Ja, ich glaube, dass es so war.
Am Ende des Buches ist Hitler gerade 16 Jahre alt. Wollen Sie eine Fortsetzung schreiben?
Ursprünglich ja. Aber ein Roman dauert vier bis fünf Jahre, und ich weiß nicht, ob meine Kräfte ausreichen werden. Wenn ich vor zwei Jahrzehnten angefangen hätte, hätte ich vielleicht den Rest meines Le- bens diesem Stoff gewidmet, denn Hitlers Geschichte wird immer faszinierender, je älter er wird.
In Deutschland war es lange verpönt, sich mit Hitler als Person zu befassen. Aber zurzeit findet eine Art Renaissance statt, mit Filmen wie "Der Untergang" oder auch "Mein Führer - die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler".
Das wusste ich nicht. Erklären kann ich Ihnen dieses Phänomen auch nicht, weil ich Deutschland zu wenig kenne, aber mein Gefühl sagt mir: Wie sollten die Deutschen sich nicht für Hitler interessieren? Es war lange verboten, aber vielleicht ist inzwi- schen so viel Zeit vergangen, dass sie sich wieder an ihn heranwagen. Immerhin ist er mit großer Wahrscheinlichkeit die wich- tigste Figur in der deutschen Geschichte.
Haben Sie keine Angst, dass Hitler allzu menschlich erscheint, wenn man sich auf ihn als Individuum konzentriert?
Es stimmt vollkommen: Man macht Hitler dadurch menschlicher. Aber niemand fragt je, was geschieht, wenn man sich nicht mit ihm als Person befasst. Dann sitzt er als tote Stelle mitten in unserer Wahrnehmung der Vergangenheit, als eine Stelle, die man nicht erkunden darf. Das schadet unserer Erforschung der Geschichte, das ist unvernünftig und psychologisch unklug, und es schränkt unser Verständnis davon ein, wer wir als Menschen sind und wo wir in der Zeit stehen. Hitler menschlich erscheinen zu lassen ist der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, dass wir uns weiterentwickeln.
Wie viel hat Ihre jüdische Herkunft mit Ihrem Bedürfnis zu tun, über Hitler zu schreiben?
Oh, sehr viel. Als ich neun Jahre alt war, wusste meine Mutter schon, was den Staatsmännern Europas noch lange nicht klar war. Sie sagte: "Dieser Mann wird sehr viele Juden umbringen." Das war 1932, ein Jahr, bevor Hitler die Macht ergriff. Als Jüdin war meine Mutter mit Antisemitismus aufgewachsen, der damals in Amerika noch wesentlich verbreiteter war, und sie hatte einfach ein Gefühl dafür. Also wusste ich von meinem neunten Lebensjahr an, dass es einen Mann namens Adolf Hitler gibt, der mich eines Tages ermorden würde.
Hat es das für Sie besonders schwierig gemacht, sich in Hitler als Romanfigur hineinzuversetzen?
Als Schriftsteller muss man sich die entscheidende Frage stellen: Bin ich in erster Linie ein jüdischer Autor? Oder bin ich einfach ein Autor? Ich würde sagen, dass ich in erster Linie Autor bin. Und ich bin stolz darauf, dass ich mich in jeden Menschen hineinversetzen kann, so gut wie die meisten anderen Schriftsteller oder sogar besser. Dass ich Jude bin, hat meine Perspektive in "Das Schloss im Wald" beeinflusst, aber sie hat sie nicht bestimmt.
Sie haben häufig über herausragende Figuren der Geschichte geschrieben, etwa über Pablo Picasso, Marilyn Monroe oder auch Jesus Christus. Woher stammt dieses Faible?
Es hat damit zu tun, wie meine Laufbahn begann. Als ich 25 war, wurde ich quasi aus einer Kanone geschossen ...
... weil Ihr erster Roman "Die Nackten und die Toten" ein gigantischer Bestseller war ...
... und danach habe ich lange gedacht: Ich kann nie wieder so arbeiten wie andere junge Schriftsteller, einfach unauffällig durchs Leben gehen und andere Menschen beobachten. Denn ich stand ja selbst dauernd unter Beobachtung. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis mir klar wurde, dass das auch ein Vorteil war. Es hat mich in die Lage versetzt, Menschen zu verstehen, die ebenfalls ein Leben jenseits der Normalität führten. Darum habe ich über so viele außergewöhnliche Figuren geschrieben.
Im "Schloss im Wald" berichtet Dieter, dass der Teufel nach dem Zweiten Weltkrieg seine Truppen nach Amerika verlagert hätte. Sehen Sie ihn zurzeit am Werk?
Es war ein so abrupter Umzug, dass der Teufel die Lage nicht ganz im Griff hatte. Darum musste er sich mit Figuren wie dem Kommunistenjäger Joe McCarthy begnügen, die seiner Herausforderung nicht ganz gewachsen waren. Sagen wir einfach, es fehlten dem Teufel Figuren von europäischem Format. Darum hat er Fehler gemacht, und einer davon ist George W. Bush. Wenn der Teufel ganz bei Sinnen wäre, hätte er sich nie einen Mann wie Bush als Repräsentanten ausgesucht.
Sie haben George W. Bush einmal "den größten Glückspilz auf Erden" genannt.
Inzwischen glaube ich, dass er der größte Pechvogel ist. Er muss sich doch umschauen und fragen, ob überhaupt noch jemand Sympathie für ihn empfindet. Sogar seine Anhänger sagen heute: Ach, man hätte den guten alten George nie in die Lage bringen dürfen, Präsident zu werden; das hat er nicht verdient. Als sie Bush aufstellten, haben die Republikaner die politische Vernunft in den Wind geschossen. Sie dachten halt, sie hätten in Bush einen Star, mit dem sie die Wahlen gewinnen werden. Dafür haben sie bekommen, was sie verdienen. George W. Bush ist die Schande der Republikanischen Partei.
Wird er in die Geschichte als Präsident eingehen, der den Anfang vom Ende des amerikanischen Imperiums einläutete?
Das ist eine zu große Frage. Zweifellos gibt es unzählige Faktoren, über die man sich Sorgen machen muss, und ich glaube, dass das amerikanische Imperium heute in größeren Schwierigkeiten steckt als vor zwei oder drei Jahrzehnten. Sollte Amerika eines Tages wirklich seine Stellung verloren haben, dann werden wir vermutlich zurückblicken und sehen, dass der Irak-Krieg ein wichtiger Schritt auf unserem Weg nach unten war.
Wie beurteilen Sie den Krieg?
Er ist einer der schlimmsten und dümmsten Kriege, in die Amerika je verwickelt war. Es gibt ja Kriterien, nach denen man Kriege beurteilen kann, und nach denen ist dieser wirklich fast unhaltbar. Erstens droht uns von dem Land keine Gefahr, und zweitens wird uns dieser Krieg wohl in Zukunft mehr Schaden als Nutzen bringen. Dabei sollte es doch wohl Sinn eines Krieges sein, die Sachlage zu verbessern, statt sie zu verschlechtern.
Sollten die USA ihre Truppen sofort aus dem Irak abziehen?
Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, und ebendarum wird kein Politiker das Risiko eingehen, einen kompletten Truppenabzug anzuordnen. Ich vermute vielmehr, dass der Sieger der nächsten Präsidentschaftswahl sich mit dem Rückzug aus dem Irak Zeit lassen wird.
Haben Sie einen Favoriten für die Wahl?
Alle gehen davon aus, dass ich Barack Obama unterstütze. Ich halte ihn für klug und interessant und glaube, dass er eines Tages einen großen Präsidenten abgeben könnte. Aber ich glaube auch, dass Erfahrung in diesem Amt eine ungeheure Rolle spielt. Hillary Clinton ist nicht meine Lieblingskandidatin, aber ich bin überzeugt, dass sie eine gute Präsidentin wäre.
Sie als notorischer Macho unterstützen Hillary! Werden Sie auf Ihre alten Tage weiser?
Das will ich doch hoffen. Wenn man auf seinem Lebensweg nichts dazulernt, ist man wirklich nur ein liederlicher Hund. Aber natürlich sitze ich nicht herum und fühle mir den Puls, ob ich denn nun wirklich weiser geworden bin. Das wäre alles andere als ein Zeichen von Weisheit.
Sie hatten immer einen Ruf als Provokateur und Quertreiber. Gibt es Dinge, die Sie im Rückblick bedauern?
Das werde ich Ihnen sicher nicht in einem Interview erzählen! Aber gut, als Schriftsteller bedauert man natürlich die Bücher, die man nicht geschrieben hat. Die sind so wie die Frauen, die man in seinem Leben nicht gehabt hat. Ich werde nie wissen, wie es gewesen wäre, Elizabeth Taylor zu ihrer Blütezeit besessen zu haben.
Oder Marilyn Monroe?
Oder Marilyn. Ach, da hat der alte Halunke Arthur Miller wirklich verfluchtes Glück gehabt.
Wenn Sie sich entscheiden müssten: die Taylor oder die Monroe?
Vor der Qual der Wahl hätte ich gern gestanden. Das wäre schwierig geworden. Wissen Sie, im Großen und Ganzen bedauere ich nicht allzu viel. Man tut, was man tun muss, man macht seine Fehler. Das ist schon in Ordnung. Das ist okay. Ich habe eigentlich meinen inneren Frieden gefunden.
Wer hätte das gedacht?
Ja, man muss sich mit den kleinen Ironien des Lebens abfinden.
Hätten Sie gern den Literaturnobelpreis gewonnen?
Ja, aber ich werde ihn nie bekommen. Ich habe schließlich ein Verbrechen begangen. Ich habe meine Frau mit einem Messer angegriffen. Das Nobelkomitee ist zu Recht stolz auf seinen Preis, und sie werden ihn nicht an jemanden geben, bei dem hinterher alle Zeitschriften schreiben: Ein Messerstecher hat die Auszeichnung bekommen. Das allein ist schon Grund genug, warum ich den Literaturnobelpreis nie gewinnen werde. Darum denke ich nicht darüber nach. Ich erwarte ihn jedenfalls nicht.
Aber das bedauern Sie?
Ach, kommen Sie! Manche Fragen beantworten sich schon dadurch, dass sie gestellt werden. Aber wenn man weiß, dass man etwas gern hätte, und auch weiß, dass es nie geschehen wird, hört man mit zunehmendem Alter auf, damit zu hadern. Man glaubt auch nicht mehr, dass es nicht fair ist. Stattdessen denkt man, was einmal eine Figur in einem meiner Bücher gesagt hat, der Killer Gary Gilmore: Niemand hat je behauptet, dass es gerecht zugehen muss. Und ganz abgesehen davon ist es fair - ich verdiene den Preis nicht. Man kann einer Institution nicht einfach eine lange Nase drehen, so wie ich das getan habe.
Was ist das Schlimmste am Alter?
Kurz gesagt: das Wasserlassen.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein, warum sollte ich? Ich bin unglaublich neugierig. Der Tod ist Teil eines ungeheuren Prozesses, und ich glaube, er wird spannend, vielleicht voller Abenteuer.
Was würden Sie Gott fragen, wenn Sie die Gelegenheit bekämen?
An Gott kommt man nicht heran. So viel weiß ich. Nicht einmal das Weiße Haus bekommt eine Einladung.
Sie glauben an die Wiedergeburt. Wie möchten Sie Ihr nächstes Leben verbringen?
Ich erzähle gern folgenden Witz: Nach meinem Tod warte ich in einem großen, zu meiner Enttäuschung sehr amtsmäßigen Saal, und schließlich wird mein Name aufgerufen. Der diensthabende Engel sagt: Nun, Herr Mailer, eine frohe Botschaft - Sie sind für eine Wiedergeburt vorgesehen. Was wären Sie denn gern? Ich sage: ein schwarzer Sportler. Darauf sagt der Engel: Das wollen alle, wir sind total überbucht mit schwarzen Sportlern. Da kann ich leider gar nichts für Sie tun. Lassen Sie mich nachsehen, was wir für Sie vorgesehen haben. Aha. Sie werden als Kakerlake wiedergeboren. Aber Herr Mailer, die gute Nachricht ist: Sie werden die schnellste Kakerlake der Straße sein.
Igitt. Dabei ist es doch schon Strafe genug, dass Sie in Ihrem nächsten Leben nicht Norman Mailer sein dürfen.
Vielen Dank. Das ist die erste nette Bemerkung, die Sie heute gemacht haben. Gehen wir einen trinken?
Interview: Susanne Weingarten