"Half Moon" Der Schrei der Freiheit

Von Eva-Maria Senftleben
Ein alter Musiker macht sich nach dem Sturz Saddam Husseins mit seinen zehn Söhnen auf den Weg in den Irak. Er ist Kurde - Auftritte im Irak waren ihm lange Zeit verboten. Nun bereitet er sich auf das Konzert seines Lebens vor.

"Achtung, Polizeikontrolle! Versteckt sie!". In dem alten, orangen Schulbus auf einer staubigen Landstraße bricht Hektik aus. Schnell wird die Frau von ihren zwölf Mitreisenden in den doppelten Boden des Busses bugsiert. Die Holzklappe fällt zu, der Perserteppich wird wieder darüber geschoben. Gerade rechtzeitig sitzen die Männer auf ihren Plätzen. "Wohin fahrt ihr?", fragt der Polizist. "Ins irakische Kurdistan!", antwortet Mamo. Der alte Mann kramt langsam das Visum hervor, das er sicher in der Innentasche seiner Jacke verwahrt. Seine runzligen Hände zittern, als er das wertvolle Dokument auseinander faltet.

Von Todesvisionen nicht aufzuhalten

Mamos Traum wird wahr. Nach jahrzehntelangem Auftrittsverbot während der Diktatur Saddam Husseins hat er endlich wieder die Erlaubnis, im Irak ein Konzert zu geben. Obwohl er alt und krank ist und unter ständigen Todesvisionen leidet, ist er fest entschlossen, noch einmal im Irak aufzutreten. Es soll ein "Schrei der Freiheit" werden - für alle Kurden, die wie er unter dem Auftrittsverbot gelitten haben.

Die Reise ist gefährlich. Mamo will mit Hesho, einer berühmten Sängerin, auftreten, denn erst ihre "himmlische Stimme" macht seine Musik komplett. Doch Frauen dürfen im Iran nicht solo für Männer singen. Hesho lebt deshalb in der Verbannung: Sie wird mit über tausend anderen Sängerinnen in einem scheinbar idyllischen Bergdorf bewacht. In dem eigens für sie angefertigten Versteck im "Tourbus" schmuggeln die Männer sie erfolgreich durch eine Polizeikontrolle. Doch beim zweiten Mal fliegt ihr Versteck auf. Hesho wird verhaftet und die Instrumente der Musiker bei der Durchsuchung zerstört.

Reise zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Ohne Instrumente und ohne Sängerin sieht sich Mamo gezwungen aufzugeben. Als er bereits alle Hoffnung verloren hat, erscheint aus dem Nichts eine junge Frau in der Einöde. Niwemang ("Halbmond") verspricht, die Männer über die Grenze zu bringen und ihnen Instrumente zu besorgen. Sie selber will mit Mamo singen. Dieser ist jedoch mittlerweile am Rande seiner Kräfte.

Hier verschwimmen Realität und Fiktion. Die Musiker befinden sich auf einer Reise zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Leben und Tod. Mamos Visionen scheinen sich zu bewahrheiten, doch das Erscheinen der schönen Niwemang bleibt rätselhaft. In der kargen Landschaft der Kurdengebiete mit schneebedeckten Bergspitzen und trockenen Tälern ohne jegliches Grün wirken die reisenden Musiker ebenso unwirklich wie sie.

Ohne erhobenen Zeigefinger

"Half Moon" erzählt mit viel Humor eine im Kern traurige Geschichte. Durch die ganz eigene Komik der Charaktere und ihre angesichts der Umstände schwer begreifliche Lebensfreude geht sie besonders ans Herz. Der Film überzeugt, weil er nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Probleme der Kurden aufmerksam macht. Stattdessen gibt er ihnen mit dem liebevollen und fantasievollen Porträt der Musiker ein Gesicht. Der Regisseur und Drehbuchautor Bahman Ghobadi schafft es, Mitleid mit dem alten Mamo zu erzeugen. Ein uraltes und simples Mittel, den Zuschauer zu berühren - viel wirkungsvoller als jeder sachliche Bericht über die Beschneidung der Menschenrechte.

Im Rahmen des Internationalen Filmfestivals in Lissabon wurde der Film daher mit dem Amnesty International Award ausgezeichnet. Auf dem San Sebastian Film Festival 2006 gewann "Half Moon" die goldene Muschel und den Preis für die beste Bildgestaltung. Der neuseeländische Kameramann Nigel Bluck verwandelt die Ungastlichkeit der Gegend in bezaubernde Bilder voll außergewöhnlicher Schönheit.

Der Filmverleih Pandora hat sich dazu entschlossen, den Film ausschließlich auf Kurdisch mit deutschen Untertiteln zu zeigen. Dem von Synchronisierungen verwöhnten Zuschauer wird somit besondere Konzentration abverlangt, für die aber die durch den Originalton transportierte Stimmung entschädigt. Nicht zuletzt dadurch wird "Half Moon" zu einem besonderen Kinoerlebnis.

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