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"Snow Cake" Lindas Gespür für Schnee

Er lief als Eröffnungsfilm der Berlinale und ist jetzt im Kino. "Snow Cake" ist die zarte Geschichte der Autistin Linda (Sigourney Weaver), in deren Welt aus Schneekristallen, Trampolinen und Pedanterie der traumatisierte Alan Rickman einbricht.
Von Kathrin Buchner

Irgendwo in Kanada: Das Land liegt unter einer dicken Schneedecke. Alex (Alan Rickmann, gerade auch in "Das Parfüm" zu sehen) ist allein unterwegs. An einer Raststätte erschwatzt sich die Tramperin Viviane (Emily Hampshire) eine Mitfahrgelegenheit von ihm. Mit ihrem unverblümten Charme und ihren wilden Ideen taut sie den stoischen Alex während der Fahrt auf. Gerade als die beiden eine gewisse Nähe aufbauen, gibt es einen ohrenbetäubenden Knall. Ein Sattelschlepper rammt Alex' Wagen, Emily ist sofort tot. Wie durch ein Wunder bleibt er äußerlich unverletzt. Aber Alex steht unter Schock. Vom schlechten Gewissen getrieben, will er die Todesnachricht Emilys Mutter Linda (Sigourney Weaver) persönlich übergeben.

Allerdings reagiert Linda völlig anders als er erwartet hat. Erst nach und nach wird Alex bewusst, dass sie Autistin ist und in einer ganz eigenen Welt zwischen Schneeflockenzauber, Trampolinspringen und akribischer beschrifteter Küchenzeile lebt. Alex lässt sich treiben, versteckt sich vor seiner eigenen Vergangenheit in dem Leben der fantastischen Autistin, beobachtet, versucht zu verstehen, gibt seine frostige Haltung auf, spielt Scrabble nach Lindas eigenen Regeln, bei denen Comicfiguren und erfundene Worte wie "dazlious" erlaubt sind. Bis in die unfreiwillige Gemeinschaft der Verschlossenen die Nachbarin Maggie (Carrie-Anne Moss) eindringt, Alex' tiefgekühlten Gefühlen zum Schmelzen bringt, und seine Vergangenheit ans Tageslicht kommt.

Es ist ein sehr leiser Film, den Regisseur Marc Evans inszeniert hat. Langsam, ganz sachte wird der Zuschauer eingeführt in die Welt der Linda, die so fabelhaft und undurchschaubar ist, so voller glitzernd-leichter Schneekristalle, aber auch mit tiefen Eiskratern, in die niemand vordringt. Und eine Paraderolle für Sigourney Weaver, die mal kindlich naiv, mal furienmäßig dominant, mal verletztlich zurückgezogen alle Register ihrer Schauspielkunst ziehen kann. "So ein wundervolles Angebot wie diesen Film bekommt man selbst in einer langen Schauspielerkarriere sehr selten", sagt Weaver bei der Pressekonferenz der Berlinale, wo "Snow Cake" als Eröffnungsfilm lief - und er wurde begeistert beklatscht.

Neben den großartigen Darstellerleistungen von Rickman und Weaver liegt die Intensität des Films im Drehbuch begründet. Autorin Angela Pell ist selbst Mutter eines autistischen Kindes. Und so steht die Symbolik des Schnees nicht nur allegorisch für die Gefühlswelt der Protagonisten, sie hat auch einen realen Hintergrund: Pells Sohn steht auf Schnee, genau wie Linda.

Am Ende tanzt sich Linda frei - gegen alle Konventionen, zum Entsetzen der Trauergäste, ein brodelnder Ausbruch von glühendheißer Lava aus einem eisiger Krater. Obwohl der Film mit dieser Szene kurz in die Kitschigkeit abrutscht, ist es doch ein würdiger Abschluss, ein Ausbruch aus verschlossener Melancholie, die Befreiung von Trauer und Ängsten. Und als Linda als kleine Rache gegen die Nachbarin den Zuckerguss von der Torte fegt, ist auch das Eis zwischen ihr und Alex geschmolzen.

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